[linkbox:nid=3056,2554,3062,3073,3078,3092,3085,3084,3103,3105;title=So waehlt Deutschland ]
Maik Pohlmann ist blind. Das hält ihn weder davon ab, im Rathaus der Stadt Cuxhaven am Empfang zu arbeiten noch davon, sich schnell und mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Gänge des verwinkelten Gebäudes zu bewegen. Jetzt steht er im Wahllokal, im Erdgeschoss des Rathauses und möchte mal ausprobieren, wie das geht, mit der Wahlschablone für Blinde und Sehbehinderte. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein riesiger Zettel. Das ist der Wahlschein zur Europawahl, etwa 1,20 Meter lang, 31 Parteien stehen zur Wahl. Eine ebenso lange Schablone aus weißer Pappe liegt daneben. Ihre Löcher sind in Brailleschrift durchnummeriert, der Schrift aus Punktmustern, die Blinden seit 1825 das Leben erleichtert und das Lesen ermöglicht.
System ermöglicht geheime Wahl auch für Blinde
Pohlmann wendet sich einem kleinen grauen Gerät mit Lautsprecher zu. Das Gerät, das er für 370 Euro persönlich anschaffen musste, heißt DAISY, eine Abkürzung für "Digital Accessible Information System" (zu deutsch: Digitales System für den Zugang zu Informationen). Er drückt Daisys blauen Startknopf. Eine Frauenstimme erklingt: "Klappen Sie die Schablone nun auf. Legen Sie den Stimmzettel so hinein, dass er genau an der linken Falz und der oberen Lasche anliegt. Klappen Sie die Schablone wieder zu. Die großen runden Aussparungen liegen nun genau auf den für die Stimmabgabe vorgesehenen runden Feldern des Stimmzettels." Dann liest die Frauenstimme vor, was auf dem Wahlzettel steht: Die Namen der Parteien und Kandidaten, ihre Berufe und Heimatorte. Unter Nummer 1 findet man die CDU, 2 ist die SPD, 3 sind die Grünen und so weiter. So findet Maik Pohlmann die richtige Stelle für sein Kreuz einfach unter der Nummer seiner favorisierten Partei. Die Nummer kann er per Blindenschrift ertasten.
Seit 2002 gibt es die Schablone, die kompatibel ist mit dem Daisy-Standard. Dieser Standard wird von einem weltweit aufgestellten Konsortium gepflegt und erweitert, das sich zum Ziel gesetzt hat, dass Menschen mit Leseschwierigkeiten "den gleichen Zugang zu Information und Wissen haben, und zwar zur gleichen Zeit und zu den gleichen Kosten", so heißt es auf der Daisy-Webseite (englisch). Blinde können so ganz alleine wählen gehen. Früher mussten sie jemanden mit in die Wahlkabine nehmen, der ihnen den Stimmzettel vorliest und dem sie vertrauen mussten, dass er ihnen das richtige Feld zum Ankreuzen zeigt. Eine geheime Wahl war so unmöglich. "Das ist ein tolles System", sagt Wahlsachbearbeiter Hendrik Nitzel, der den Testlauf im Wahllokal beobachtet hat. Ernst wird es dann am Sonntag, ob man nun blind ist oder nicht.