Honduras-Experte: Beide Seiten im (Un-)Recht
Nach der Rückkehr des gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya nach Honduras leidet das zentralamerikanische Land unter neuen Zusammenstößen zwischen Zelaya-Anhängern und dem Machtapparat der neuen Regierung. Peter Peetz, Zentralamerika-Experte am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg, erklärt die Komplexität der Situation: Einerseits sei der Putsch klar Unrecht gewesen und international dementsprechend verurteilt worden. Andererseits habe auch der gestürzte Präsident Fehler gemacht, und neben dem Militär stehe auch der Großteil der honduranischen Zivilgesellschaft auf der Seite des neu installierten Staatschefs Roberto Micheletti.
23.09.2009
Das Interview führte Tillmann Elliesen

Peter Peetz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg. Der Politikwissenschaftler forscht derzeit zum Thema Gewalt und öffentliche Sicherheit in Zentralamerika.


Frage: Was hat in Honduras stattgefunden: ein klassischer Militärputsch oder die Absetzung eines Präsidenten, der die Verfassung aushebeln wollte?

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Peter Peetz: Der Unterschied zu einem klassischen Putsch besteht darin, dass eine breite Front ziviler Kräfte ihn gutheißt. Das Vorgehen des Militärs war vom Obersten Gericht angeordnet worden und wurde vom Parlament unterstützt. Nichtsdestotrotz bleibt es ein Militärputsch, weil es für ein derartiges Eingreifen der Armee – den Präsidenten morgens um fünf aus dem Bett zu holen und ins Ausland zu bringen – keine rechtliche Grundlage gibt. Zelaya hätte nicht auf diese Weise aus dem Amt entfernt werden dürfen.

"Zelaya hat die rechtsprechende Gewalt nicht respektiert"

Frage: Laut Zelayas Verteidigern wäre die geplante Volksbefragung über die Einsetzung einer verfassungsgebenden Versammlung legal gewesen. Zelaya selbst hat gesagt, er habe nie eine Verfassungsänderung angestrebt mit dem Ziel, eine zweite Amtszeit für sich zu ermöglichen.

Peetz: Tatsächlich ist ihm das sehr schwer nachzuweisen. Aber wenn es wie jetzt in Honduras einen Rechtsstreit zwischen verschiedenen politischen Instanzen gibt, dann müssen die Urteile der Institutionen akzeptiert werden, die legitimiert sind, solche Streitigkeiten zu lösen. Und das ist nun mal die rechtsprechende Gewalt. Zelaya hat das nicht respektiert, und das hat den großen Konflikt ausgelöst.

Frage: Nach Ansicht der US-Regierung ist Zelaya wegen "provokanter Maßnahmen" mitverantwortlich für seine Absetzung. Stimmen Sie dem zu?

Peetz: Ja, das würde ich auf jeden Fall unterschreiben. Ich möchte Zelaya natürlich nicht die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass er weggeputscht wurde. Aber das Oberste Gericht hatte klar gesagt, das Militär dürfe sich nicht an der Durchführung der Volksbefragung beteiligen. Die Armee hat das akzeptiert, woraufhin Zelaya mit seinen Anhängern zu der Militärbasis gegangen ist, wo die Wahlurnen lagerten, um sie zu holen und selbst im Land zu verteilen. Das ist natürlich eine Riesenprovokation. Zwar rechtfertigt sie keinen Militärputsch, aber Zelaya konnte sich ausrechnen, dass die Armee das nicht einfach hinnehmen würde.

"Verurteilung ja - Hinwegsehen über Details nein"

Frage: Wie bewerten Sie, dass die Vereinten Nationen, die Organisation Amerikanischer Staaten und die Europäische Union den Putsch sofort eindeutig verurteilt haben?

Peetz: Das war richtig, es blieb ihnen gar nichts anderes übrig. Es ist nun einmal eine Grundregel der Demokratie, dass ein gewählter Präsident nicht mit einer derartigen Aktion vom Militär aus dem Amt entfernt werden darf – was auch immer sich im Detail hinter dem Streit verbirgt. Wenn es darum geht, eine Lösung zu finden, muss man diese Einzelheiten natürlich genau betrachten und darf in seinem Urteil nicht so oberflächlich bleiben wie einige Regierung im Fall Honduras.

Frage: Deshalb hat die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung im August zu einer Diskussion auch Putschbefürworter nach Berlin eingeladen. Die Partei "Die Linke" warf der Stiftung daraufhin vor, sie legitimiere den Putsch. Wie sehen Sie das?

Peetz: Ich finde es nicht falsch, sich in einem Konflikt beide Seiten anzuhören – vor allem wenn man an einer pragmatischen und friedlichen Lösung interessiert ist. Zu der von der Naumann-Stiftung organisierten Diskussion war auch ein Vertreter der EU eingeladen, die den Putsch verurteilt hat. Aber der wollte sich nicht äußern, was man nicht der Stiftung anlasten kann.

"Politische Klasse bewertet Putsch als rechtens"

Frage: Wie beurteilen wichtige gesellschaftliche und politische Kräfte in Honduras die Vorgänge in ihrem Land?

Peetz: Von kleinen Ausnahmen abgesehen bewertet die gesamte politische Klasse das Vorgehen der Armee als rechtens. Das gilt für die beiden großen Parteien, einschließlich des größten Teils der Liberalen, denen sowohl Zelaya als auch Micheletti angehören. Für die katholische Kirche hat Kardinal Óscar Andrés Rodríguez klargestellt, dass die Absetzung Zelayas rechtmäßig war. Die protestantischen Kirchen sehen das genauso. Allerdings ist die Position der Katholiken nicht einheitlich: Es haben sich auch Priester für Zelaya ausgesprochen.

Frage: Das klingt, als sei das Land sich weitgehend einig. Aber es hat doch große Demonstrationen für Zelaya gegeben?

Peetz: Honduras ist polarisiert. Es gab und gibt Demonstrationen auf beiden Seiten. Mein Eindruck ist, dass die internationalen Medien überwiegend über Proteste zugunsten Zelayas berichten, weil es da am Rande immer mal zu Gewalt kommt. Es wird weniger wahrgenommen, dass auch für die neuen Machthaber teilweise sehr große Demonstrationen stattfinden.

Frage: Welche anderen Möglichkeiten hätte es gegeben, Zelaya von seinem Vorhaben einer Volksbefragung abzubringen?

Peetz: Die honduranische Verfassung sieht ein Amtsenthebungsverfahren nicht ausdrücklich vor. Sie enthält aber eine Klausel, nach der der Präsident sein Amt verwirkt, wenn er gegen die Verfassung verstößt. Ob das der Fall war, hätte vor Gericht geklärt werden müssen – inklusive der Möglichkeit für Zelaya, sich zu verteidigen. Das ist die rechtliche Seite. Die andere Seite betrifft die politische Sinnhaftigkeit der Aktion: Im November wird in Honduras ein neuer Präsident gewählt. Zelaya hätte es nicht geschafft, bis zu den Wahlen die Spielregeln grundsätzlich zu ändern. Seine Gegner hätten also gelassen sagen können: "Lassen wir ihn seine Volksbefragung doch machen. Die Gerichte und das Parlament werden sie ohnehin nicht anerkennen." Das hätte dem Land sehr viel Schaden erspart.

Frage: Warum haben seine Gegner derart überzogen reagiert?

"Nicht mit klarer internationaler Reaktion gerechnet"

Peetz: Wegen Zelayas Provokation. Zelaya hatte außerdem nach der Weigerung der Armee, ihm bei der Volksbefragung zu helfen, deren Oberbefehlshaber abgesetzt. Das Oberste Gericht wies das als illegal zurück. Dann trat der Verteidigungsminister zurück. Die militärische und politische Elite war in dieser Situation der Ansicht, es gebe eine überwältigend breite Front gegen den Präsidenten. Sie hat sich relativ sicher dabei gefühlt, konsequent durchzugreifen. Nicht gerechnet hat sie offenbar mit der schnellen und klar ablehnenden Reaktion der internationalen Gemeinschaft.

Frage: Zelaya hat sein Amt vor vier Jahren als Kandidat der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht angetreten und sich seitdem politisch nach links orientiert und Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez angenähert. Hat die alte Elite in Honduras die Gelegenheit genutzt, Zelaya loszuwerden, weil sie ihre Pfründe gefährdet sah?

Peetz: Das spielt ohne Zweifel eine große Rolle.

Frage: Das honduranische Militär hat seit je gute Beziehungen zur US-Armee. Findet in Honduras eine Art Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Venezuela statt?

Peetz: Ich würde nicht "Krieg" sagen, sondern vielleicht Stellvertreterkonflikt – wobei die Rolle der USA viel weniger eindeutig ist, als sie es zu Zeiten von Präsident Bush gewesen wäre. Präsident Obama hat den Putsch verurteilt, auch wenn Zelayas Anhänger monieren, er habe das nicht energisch genug getan. Vor allem habe er zu wenig praktische Schritte folgen lassen, etwa Privatkonten blockiert oder allen Mitgliedern des neuen Regimes das Einreisevisum für die USA entzogen. Obama hat entgegnet, dieselben Leute, die jetzt von ihm ein stärkeres Eingreifen forderten, hätten sich früher immer darüber beschwert, wenn die USA sich einmischten. Ich denke, Washington kann gar nicht anders, als eine pragmatische Position einzunehmen.

"Wir wollen Zelaya nicht, weil wir Chávez nicht wollen"

Frage: Laut Medienberichten hat Zelaya mit dem Gedanken gespielt, die US-Militärbasis Soto Cano zu schließen. Das muss Washington doch nervös gemacht haben.

Peetz: Die Diskussionen über die Militärbasis Palmerola, wie sie im Volksmund heißt, laufen schon länger. Zelaya hatte darüber bereits mit Bush verhandelt und ihm angeboten, stattdessen eine neue Basis in der Moskitia im Osten des Landes zu errichten, durch die wichtige Routen des Drogenschmuggels verlaufen. Die Regierung wollte in Palmerola lediglich einen zivilen Flughafen bauen, weil der in der Hauptstadt Tegucigalpa einer der gefährlichsten der Welt ist. Ich denke, Honduras wäre zu einer Verhandlungslösung mit den USA gekommen – zumal seit Obama Präsident ist.

Frage: Wie weit geht die Annäherung Zelayas an Chávez?

Peetz: Honduras ist den von Venezuela initiierten Bündnissen ALBA – einem Handelsbündnis, das sich als Alternative zum Nordamerikanischen Freihandelsgebiet NAFTA versteht – sowie Petrocaribe beigetreten; letzteres verschafft seinen Mitgliedern verbilligten Zugang zu venezolanischem Öl. Darüber hinaus hat er sich Chávez symbolisch stark genähert, etwa durch Staatsbesuche und der Teilnahme an Gipfeltreffen der ALBA-Staaten. Das fanden in Honduras viele nicht gut. Als Chávez die honduranischen Gegner eines ALBA-Beitritts als "petty yankees" – kleine Yankees – verunglimpfte, hat das einen Sturm der Entrüstung im Land ausgelöst. Das ist mit ein Grund dafür, dass sich die Gegner Zelayas heute derart gegen seine Rückkehr sträuben. Sie sagen: "Wir wollen Zelaya nicht, weil wir Chávez nicht wollen."

Frage: Wie geht es weiter in Honduras?

Peetz: Das hängt zum einen stark davon ab, was die verschiedenen Verhandlungsmissionen in nächster Zeit erreichen. Zum anderen hängt es davon ab, wie die Wahlen im November verlaufen. Vor allem aber muss die amtierende Regierung angesichts der bevorstehenden Wahlen die Menschenrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit wieder voll und ganz respektieren. Denn wenn die Wahlen im November nicht unter denkbar fairen Bedingungen stattfinden, kann die internationale Gemeinschaft sie nicht anerkennen. Und wenn das passiert und gegen Honduras dauerhaft Sanktionen verhängt würden, würde das Land in eine lang anhaltende, schwere Krise stürzen. Die Leittragenden wären nicht zuletzt jene Hälfte der Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze lebt.


Dieses Interview ist in der Zeitschrift "welt-sichten" erschienen.