Neun Tage vor der Bundestagswahl haben 1096 Wahllokale ihre Türen geöffnet - für Kinder und Jugendliche. Dabei ist auch Marburg, erstmalig. Trotzdem hoffen die Organisatoren in der oberhessischen Universitätsstadt auf rege Beteiligung. Das örtliche Wahllokal befindet sich im Haus der Jugend. Einer, der mitmacht, ist Leonard, Stammesführer des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder. "Man kann Demokratie praktisch erfahren und ihre Arbeit ausprobieren", lobt er die U18-Wahl.
Aufmerksam wurden die potenziellen Wählerinnen und Wähler über Vereine, Zeitschriften oder auch durch Zufall. So etwa der 16-jährige Philip, der oft nach der Schule zum Jugendhaus kommt und nach eigener Aussage "sehr positiv überrascht" wurde von der Wahl: "Sie hat mir einen guten Überblick über den Verlauf der richtigen Wahl gegeben."
Mobile Sprechstunde mit Direktkandidaten
Der Wahltag am 18. September ist fraglos Höhepunkt der Initiative, die 1996 in einem Berliner Jugendklub erfunden wurde und im Superwahljahr 2009 bereits die fünfte Wahl durchführte. Und doch geht es bei U18 um mehr: eine langfristige, inhaltliche Auseinandersetzung mit Politik und Demokratie. Dies konnte vor Ort ganz unterschiedlich organisiert werden. So bot ein "Mobiles Wohnzimmer" - ein umgebautes Feuerwehrauto - im Berliner Südwesten eine mobile Sprechstunde mit den Direktkandidaten des Wahlkreises an. In Hamburg veranstaltete das Kinder- und Jugendradio "Funkstark" einen Radioworkshop, bei dem unterstützt von Kommunalpolitikern eine eigene Radiosendung zum Thema Bundestagswahl entstand.
Mit selbst geplanten und gemeinschaftlich durchgeführten Aktionen junge Menschen begeistern - darum geht es den Initiatoren von U18. Marcus Lehmann, der Gründungsvater des Projekts: "Wir haben U18 1996 in Berlin ins Leben gerufen, weil wir zeigen wollten, dass sich auch Kinder und Jugendliche für Politik interessieren." Inzwischen sei aus der ursprünglich regionalen Initiative "die größte politische Bildungskampagne für Menschen unter 18 in Deutschland geworden". Mit im Boot sind bundesweite Organisationen wie der Bundesjugendring, das Kinderhilfswerk oder die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej).
Piraten und Tierschützer nehmen Hürde
Am Wahltag lief dabei vieles wie bei der echten Wahl. Über 127.000 Kinder und Jugendliche nahmen Teil - mehr als doppelt so viele wie 2005. Auf dem Stimmzettel standen originalgetreu je Bundesland verschiedene Listen zur Auswahl für die Zweitstimme; die Informationen zu den Direktkandidaten konnten die örtlichen Initiativen zusätzlich eintragen. Nach Schließung der Wahllokale begann um 18 Uhr die öffentliche Auszählung der Stimmen; es gab Hochrechnungen und Spannung, bis die U18-Wahlleitung gegen 22 Uhr das Endergebnis veröffentlichte.
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Dabei zeigte sich dann, dass die Wähler von morgen andere Akzente setzen als die Wähler von heute: Knapp gewonnen hat die SPD mit 20,45 Prozent der Zweitstimmen, gefolgt von den Grünen mit 20 Prozent und der CDU/CSU mit 19,35 Prozent. Neben Linkspartei (10,35 Prozent) und FDP (7,6 Prozent) wären, ginge es nach den jugendlichen Wählern, auch die Piratenpartei mit 8,7 Prozent und die Tierschutzpartei mit 5,19 Prozent der Stimmen in den Bundestag eingezogen.
Auf den Geschmack gekommen
Besondere Aufmerksamkeit verdient das Ergebnis in Sachsen und Thüringen: Dort erwarb die NPD 12,78 beziehungsweise 9,42 Prozent - im Gesamtergebnis wäre sie mit 4,22 Prozent knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.
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In Hessen ergab sich ein ganz anderes Bild: Die Grünen gewannen mit 23,7 Prozent knapp vor der SPD; die CDU bereits abgeschlagen auf Platz drei (12,5 Prozent). Rechte Parteien sind hier nur unter ferner liefen zu finden. Keine Statistik gibt es, wie die jugendlichen Wähler die Wahl selbst bewerten - trotzdem ist zu vermuten, dass der zwölfjährige Klemens kein Einzelfall ist, wenn er erklärt, dass ihn U18 auf den Geschmack gebracht hat: "Ganz gern würde ich auch am 27. September dabei sein."