Küssen für den großen Gewinn
Sie lösen Woche für Woche Kreuzworträtsel, kaufen Lose, schicken SMS an TV-Sender, lassen sich kameraüberwacht einsperren – der attraktive Preis ist jede Mühe wert. Jede? Anscheinend. Auf der diesjährigen IAA forderte ein Wettbewerb Unglaubliches von den Mitstreitern: Zehn Kontrahenten küssten ein Auto, Tag und Nacht, nur von kurzen, vorgegebenen Toilettenpausen unterbrochen.
22.09.2009
Von Melanie Huber

Wer die Lippen vom Wagen nahm, schied aus. Nach 32 Stunden war Schluss. Neun der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten durchgehalten, am Ende entschied das Los. Der 21jährigen Kamilla gehört nun das 26.000 Euro teure Auto.

War es das wert? Vielleicht, vielleicht hat sich die Gewinnerin nichts mehr gewünscht als den Wagen, braucht ihn womöglich dringend. Doch ist es richtig, alles für etwas zu tun, das man unbedingt besitzen möchte? Oder braucht, haben muss? 32 Stunden lang ein Stück Blech zu küssen ist harte Arbeit – und es ist entwürdigend. Gaffer stehen herum oder spannen im Internet auf das Bild der Live-Webcam, nachts wird es feucht und kalt an der frischen Luft, die Knochen schmerzen, die Blase drückt. Mit Menschenwürde hat das nichts zu tun. Natürlich kann jeder für sich entscheiden, wo die eigenen Grenzen liegen. Doch durch die Bereitschaft, an einem solchen Gewinnspiel mitzumachen, trägt man auch als Teilnehmer dazu bei, dass die Kampagnen immer abstruser werden, nach und nach immer extremer. Wir gewöhnen uns daran, so wie es normal erscheint, dass Menschen ihr Intimstes preisgeben. Jeder Einzelne sollte sich überlegen, ob er oder sie durch die Teilnahme diesen Prozess beschleunigen möchte.

Die Gewinnchance beim Kuss-Wettbewerb war groß, viel größer als bei den meisten Verlosungen. Eine echte Verlockung. Umso größer ist Verantwortung, die auf den Veranstaltungen solcher Wettbewerbe lastet. Aber auch auf uns. Nur, weil wir von immer spektakuläreren Aktionen hören wollen, weil uns das Abartige interessanter erscheint als das Gewöhnliche, werden derartige Ideen entwickelt. Schweigen wir also lieber darüber und küssen die, die es wirklich verdient haben.

Über einen ähnlichen Wettbewerb gibt es sein sehr lesenswertes Buch von Antony McCarten. In "Hand aufs Herz" schildert dieser die menschlichen Tragödien und Intentionen, die mit dem unbedingten Wunsch nach dem großen Preis verknüpft sein können.