Skandal-Rapper wirbt um Wahlmüde
An der Allee der Kosmonauten ist vor allem Petra Pau präsent. "Rot, radikal, realistisch", wirbt die Rothaarige auf Plakaten, sie will erneut den Berliner Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf für die Linke erobern. Nicht alle Politiker haben es leicht hier, auf dem Mund von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) prangt der Schriftzug "Keine Wahl" und Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat eine knallrote Nase.
22.09.2009
Von Georg Ismar

Marzahn im Osten Berlins ist eine Hochburg der Linken, seit 1990  gewannen sie jedes Direktmandat. Arbeitslosigkeit und ein Gefühl des Abgehängtseins sind verbreitet. Es gibt Verdruss über die Politik. Ausgerechnet Skandal-Rapper Sido will junge Leute hier zur Teilnahme an der Bundestagswahl bewegen.

"Steinmeier, wer is dat denn? Ick bin da keen Insider."

Über die Marzahner Promenade, eine Einkaufsmeile im Schatten von Plattenbauten schlappen Philippe (18) und sein Kumpel Alex. "Die erzählen doch eh’ den gleichen Müll", lautet Phillipes Urteil über Politiker. Eine Textildrucker-Ausbildung hat er abgebrochen. "Wenn wir auch so nen Obama hätten, dann würd ick wählen gehen." Oder, wenn es einen Mann als Kanzler gäbe. Dann könnte er doch SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier seine Stimme geben, oder? "Wer ist dat denn, noch nie gehört, ick bin da auch keen Insider." Er wisse nicht, was die Politiker machen, "ick weeß nur, dass Merkel die Mehrwertsteuer erhöht hat." Auch sein Kumpel Alex sagt, er geht nicht wählen.

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Während Steinmeier ihnen nichts sagt, so kennen beide aber Sido, der wie sie in einem schwierigen Umfeld aufgewachsen ist. Er polarisiert mit seinen teils derben Texten, er ist einer der erfolgreichsten Rapper in Deutschland. "Ich habe mir früher nie einen Kopf über Politik gemacht. Dazu war ich bisher einfach zu faul", sagt er, während er sich in einem orangenen Ledersessel in einem Berliner Tonstudio flezt. Mit 28 Jahren wird er am 27. September nun das erste Mal wählen gehen - und er will so Vorbild sein.

 

Skandal-Rapper präsentiert sich geläutert

Sido hat - unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung - für ProSieben eine TV-Dokumentation gemacht (Sendetermin 26. September). Darin quetscht er Politiker aus und will alles über den Bundestag wissen. Die Jungwähler, die er ansprechen will, seien Kurzentschlossene, deshalb der Sendetermin kurz vor der Wahl. Sein Engagement überrascht. Denn noch 2006 hatte Sido (Kurzform für "superintelligentes Drogenopfer") im Lied "Wahlkampf" Dampf über die Politik abgelassen: "Wer hat wie ich genug von den Heuchlern im Bundestag? Wählt mich und ich mach Deutschland gesund und stark. Ich bring das Land in Ordnung. (...) Ich geb Merkel ne Schelle und box diesen Westerwelle. Mein Name steht für mehr Jobs und mehr Bordelle."

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Nun gibt er den Geläuterten, er habe sehr viel gelernt in den vergangenen Wochen - durch mehr Information bekomme man eine andere Einstellung zur Politik. "Es ist nicht alles perfekt. Trotzdem finde ich es sehr wichtig, wählen zu gehen", sagt er. "Wenn man ein Problem, hat, das man geändert haben will, soll man doch nicht nur rumsitzen und rumhängen, sondern die zwei Kreuze, die können schon einiges bewegen." Er meint aber auch, Politiker müssten dringend an ihrer Sprache arbeiten, damit sie auch Leute wie in Marzahn erreichen. "Hier weiß nicht jeder, was ein Konjunkturpaket ist." Und das ganze System sei viel zu abgeschottet, ein Zirkel der Elite.

Jeder dritte Jugendliche lebt in Hartz-IV-Haushalt

Ein paar Meter von Philippe und Alex entfernt sitzt Annette Rieger (22), sie verkauft Eis auf der Marzahner Promenade. Sie braucht keine Aufmunterung durch Leute wie Sido. Sie geht wählen, das sei eine staatsbürgerliche Pflicht, allein schon um Extremisten aus dem Bundestag rauszuhalten. "Ich denke, es kommt darauf an, aus welchem Elternhaus man kommt, da spielt auch Bildung eine wichtige Rolle, ob zu Hause auch über Politik diskutiert wird." Und die soziale Lage sei ein Riesenproblem, sagt die Studentin. In Marzahn-Hellersdorf wächst fast ein Drittel der 14- bis 18-Jährigen in Hartz-IV-Haushalten auf. Die Wahlbeteiligung war hier 2005 fünf Prozent geringer als im Bundesschnitt (77,7 Prozent), vor allem junge Wähler blieben daheim.

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Sido betont, es müsse viel mehr für die Bildung getan werden - auch um die Gefahr von rechts zu bändigen. Petra Pau, die für die Linke erneut diesen Wahlkreis gewinnen will, sagt zum Erfolgsrezept der Linken in Marzahn: "Wir versuchen hier eine Partei des Alltags zu sein". Sie hat sich Sido für ein Interview zur Verfügung gestellt. "Das ist ein sehr guter Ansatz", so die Bundestags-Vizepräsidentin.

dpa