Er wirkt wie ein echter Pflasterer, wenn er da so neben dem Warburger Bürgermeister Michael Stickeln steht: ein Westernhut auf dem Kopf, zerschlissene dunkelblaue Hose, dickes Jeanshemd, Bauarbeiterschuh. Und Gunter Demnig schwingt schnell die Kelle, wenn es um seine "Stolpersteine" geht: "Hier wohnte, Frieda Fanny Goldschmidt, deportiert 1942, Warschauer Ghetto, ermordet" steht auf der goldglänzenden Messingplatte, die er vor dem Haus "Am Markt 3" professionell in das Pflaster legt. Für sein Projekt erhält Demnig am Mittwoch die Josef-Neuberger-Medaille.
Warburg, eine kleine Stadt im östlichen Nordrhein-Westfalen, ist der 488. deutsche Ort, in dem der Kölner Künstler "Stolpersteine" verlegt. Sie sollen an das Schicksal der jüdischen Mitbürger und anderer Menschen erinnern, die in der Nazizeit verschleppt und ermordet wurden. Mehr als 20.400 der "10x10x10"-Zentimeter großen Steine hat Demnig inzwischen verlegt, bundesweit und in anderen europäischen Ländern wie Polen, Österreich und den Niederlanden.
Menschen den Namen zurückgeben
"Es geht darum, den Menschen ihre Namen zurückzugeben - an dem Ort, an dem sie einmal gelebt haben", sagt Demnig. Und dieses Gedenken finde auf der Straße statt und nicht in abgelegenen Museen. Für sein Projekt, das 1996 mit der ersten noch illegalen Verlegung von 50 Stolpersteinen in Berlin-Kreuzberg begann, ist er inzwischen mit zahlreichen Preisen überhäuft worden: Er bekam unter anderem den Verdienstorden der Bundesrepublik und wurde als "Botschafter für Demokratie und Toleranz" ausgezeichnet. Über die Josef-Neuberger-Medaille freue er sich besonders, sagt Demnig, weil es die Auszeichnung der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf ist.
Denn die Aktion ist in den jüdischen Gemeinschaften nicht unumstritten. Die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, lehnt sie ab. Das Andenken der Juden werde mit Füßen getreten, es werde auf ihnen herumgetrampelt, sagt sie zu der "Stolperstein"-Aktion.
Das sehen Demnig und zahlreiche Bürgerinitiativen und Kommunen anders, die sich für die Stolpersteine entschieden haben. "Wer die Inschrift liest, der blickt nach unten und verbeugt sich so vor den Opfern des Holocaust", sagt der Warburger Bürgermeister Michael Stickeln (CDU).
80.000 Kilometer gefahren
Der 1947 in Berlin geborene Demnig hat seit 1985 sein Atelier in Köln. Seit 2000 ist er nur noch in Sachen "Stolpersteine" unterwegs. Mit seinem roten Kombi hat er in zwei Jahren mehr als 80.000 Kilometer zurückgelegt. "Manchmal habe ich in 16 Tagen nur zweimal im gleichen Bett geschlafen", erzählt er. Hammer, Kelle, Schaufel, Eimer und Beton sind auf der Ladefläche immer dabei.
Bei den Verlegungen kommt es auch immer wieder zu bewegenden Situationen. Eine Frau, Mitte 80, war zum ersten Mal aus den USA angereist - sie hatte ihre Eltern in der NS-Zeit verloren. "Jetzt kam sie wegen der Stolpersteine nach Deutschland - zusammen mit ihrer Tochter, und der schwangeren Enkelin", berichtet Demnig. Allerdings hat er bei der ganzen Vielreiserei vergessen, an welchem Ort er die Familie getroffen hat.
95 Euro pro Stein
Besonders freut sich der Künstler über das Interesse von Jugendlichen. In Warburg hat eine Religionsgruppe vom Gymnasium Marianum die Patenschaft und damit die Finanzierung für einen Stolperstein übernommen. Die Herstellung und Verlegung kosten 95 Euro. Das Geld kommt von Privatleuten, Bürgerinitiativen, Kirchengemeinden und eben Schülern. "Sechs Millionen ermordete Juden ist eine sehr abstrakte Zahl, durch die Stolpersteine wird der NS-Terror für die Schüler konkret", sagt Demnig,
Aber viel Zeit für Gespräche bleibt ihm meist nicht. Bis Weihnachten sind die Termine ausgebucht und im nächsten Jahr geht es weiter. "Es ist mein Lebenswerk geworden", sagt der Künstler - auch, wenn er sich durchaus vorstellen könnte "mal wieder was anderes zu machen".
epd