Die Milch macht's - nur nicht für die Bauern
Verärgerte Bauern kippen Milch auf Äcker - weil sie von dem Geld, das sie bekommen, nicht existieren können. Einzelhandel, Molkereien und Politik schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Was läuft schief in der Milchindustrie? Und was können Verbraucher tun?
22.09.2009
Von Heino Reents

Die gute Nachricht für die deutschen Bauern vorab: Laut Prognose des Instituts für Ernährungswirtschaft (ife) in Kiel, wird der Milchpreis, der zuletzt mit gut 20 Cent auf einem historischen Tiefstand angekommen ist, bald wieder steigen. Auch die EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel berichtete jüngst, dass die Erzeugerpreise für Milch sich nach Monaten wieder leicht nach oben bewegen. Butter, Milchpulver und Käse seien innerhalb eines Monats um vier bis acht Prozent teurer geworden. Dass es wieder aufwärts geht, liegt nach Einschätzung von ife-Geschäftsführer Holger Thiele auch am Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Denn weil der Milchpreis so heftig gesunken ist, produzieren die Bauern in Europa weniger Milch. Zugleich klettert aus dem gleichen Grund wieder die Nachfrage nach Frischmilch, Käse oder Joghurt.

Die schlechten Nachrichten lassen jedoch nicht lange auf sich warten: Denn zum einen wird der prognostizierte Preisanstieg lange nicht so kräftig ausfallen, wie von den Bauern erhofft. Zum anderen aber, so Milchexperte Thiele, müssten sich die Landwirte langfristig auf den weltweiten Wettbewerb und damit auf stark schwankende Preise einstellen. Der Hauptgrund dafür ist, dass sich die Europäische Union (EU) Schritt für Schritt aus der Regelung des Marktes zurückzieht, so Thiele.

Dabei hatte die EU die Milchquote in den 80er Jahren eigentlich festgelegt, damit nicht zu viel Milch auf den Markt kommt. Anfangs war das noch sinnvoll. Doch über die Jahre hat sich das ins Gegenteil gewandelt. Milchviehbetriebe haben als einzige Möglichkeit mehr Geld zu verdienen, immer mehr und mehr Milch geliefert. Die Bauern befinden sich also in einem Teufelskreis, da die erhöhten Mengen bei gleichzeitigem Absatzproblem den Druck auf die Preise verstärken.

Bauern fordern 40 Cent pro Liter

Mittlerweile hält die EU die Quoten für überholt, sie will Jahr für Jahr höhere Mengen zulassen und die Produktion 2015 ganz freigeben. Die – längst globalen – Milchmärkte seien genügend aufnahmebereit, heißt es. Doch die Realität sieht ganz anders aus. Gerade in Deutschland wird der Markt nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) wieder überschwemmt. Die Preise stürzen, vor allem in den Discountern, die noch vor einem Jahr auf Druck der Bauern die Milchpreise erhöht hatten. Zwischen 60 und 80 Cent kostete seinerzeit der Liter im Handel, heute ist er in Billigmärkten für unter 50 Cent zu haben. Hintergrund: Zwischen den Discountern tobt seit Monaten ein Preiskampf. Die Supermarktketten versuchen, bei den Kunden mit immer neuen Angeboten zu punkten. Und Milch und Butter zählen nun einmal zu den Gütern des täglichen Lebens.

Für die Bauern bleibt immer weniger übrig. Um kostendeckend produzieren zu können, halten die Landwirte mindestens 40 Cent für notwendig. "Von dem aktuellen Milchpreis kann kein Bauer leben", sagt BDM-Vorsitzender Romuald Schaber. Im vergangenen Jahr hätten bereits 3.500 milchproduzierende Betriebe aufgeben müssen. Rund 80.000 gebe es noch. "Wenn sich nichts tut, müssen allein in diesem Jahr noch 20 bis 30 Prozent dichtmachen", sagt Schaber. Er fordert deshalb: Die Bauern sollen weniger produzieren dürfen und dafür höhere Preise erzielen.

Das dürfte aber wohl nur ein Wunschtraum sein. Die EU hat jetzt in einem Hilfspaket ganz andere Maßnahmen im Visier, um das Problem in den Griff zu kriegen. Demnach können EU-Staaten künftig die Milchquoten von Bauern aufkaufen, die nicht mehr produzieren wollen. Diese Mengen dürfen dann in die sogenannte nationale Reserve gestellt werden. Steigt die Nachfrage nach Milch, können die Quoten aus der nationalen Reserve wieder heraus gekauft werden.

EU-Kommissarin kritisiert Discounter

Außerdem dürfen Staaten künftig Strafen gegen Milcherzeuger verhängen, die mehr Milch produzieren als ihnen durch ihre Quote zusteht. So soll es besser möglich sein, dass die Bauern auf eine gesunkene Nachfrage auch diszipliniert mit einer geringeren Produktion reagieren, um ihre Preise zu stabilisieren.

Die EU-Kommission arbeitet derzeit zudem an einer Analyse der Geschäftsbeziehungen in der Milchbranche. Es geht darum, herauszufinden, weswegen die Erzeugerpreise massiv, die Preise im Supermarktregal aber nur minimal zurückgegangen sind. Zwischen Mai 2006 und Mai 2009 sind laut EU-Parlament die Preise für Milch und Käse in den Supermärkten um durchschnittlich 14 Prozent gestiegen. Die Preise, die die Bauern für ihre Milch erhielten, seien hingegen in einigen EU-Staaten innerhalb eines Jahres um 40 Prozent gesunken. Bis voraussichtlich Ende des Jahres sollen die Ergebnisse der Analyse vorliegen.

Immerhin: Kritik äußerte die EU-Kommissarin Fischer Boel an der Praxis vor allem deutscher Discount-Supermärkte. Diese lockten mit sehr niedrigen Milchpreise Kunden an und wälzten dies anschließend auf die Erzeuger ab. Die EU-Kommissarin forderte die Wettbewerbsbehörden auf, diese Praxis unter die Lupe zu nehmen.

Der Einzelhandel schiebt die Schuld derweil weit von sich: "Der deutsche Handel hat nichts anderes getan, als die niedrigen Einkaufspreise an die Verbraucher weiterzugeben. Mit den niedrigen Preisen wird die Nachfrage nach deutschen Milchprodukten im In- und Ausland angekurbelt", sagt der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE), Stefan Genth. Die Höhe des Milchgeldes der Bauern bestimmten allein die Molkereien, die sich zu 70 Prozent im genossenschaftlichen Besitz der Landwirte befinden würden.

Verantwortung auch bei Verbrauchern

In der Tat haben die knapp 200 Molkereien in Deutschland ein gehöriges Wort beim Milchpreis mitzureden. Alle sechs Monate handeln sie mit den großen Einzelhandelsketten die Preise aus. Laut Berechnungen des Ife-Instituts verbleiben derzeit stolze 34 Prozent bei den Molkereien. Die überwiegend genossenschaftlich organisierten Molkereien nehmen die Milch der Bauern ab und verhandeln hinterher über den Preis - und das offensichtlich nicht immer zugunsten der Landwirte.

Auch Verbraucher können den schwarzen Peter nicht von sich schieben. Denn tatsächlich gibt es in Supermärkten verschieden teure Milch- und Butterangebote. Unklar ist für den Konsumenten jedoch, wo genau die Unterschiede liegen. "Es ist nur logisch, dass Verbraucher zu den günstigsten Produkten greifen, weil sie nicht die Qualität der Produkte unterscheiden können. Bei Milch gibt es nun mal auf den ersten Blick keinen großen Unterschied", sagt Martin Rücker, Sprecher der Verbraucherorganisation Foodwatch. Konkrete Tipps für Verbraucher sind aus seiner Sicht wenig sinnvoll.

Die Hersteller von Lebensmitteln seien vielmehr in der Verantwortung, für mehr Transparenz zu sorgen, fordert Rücker. "Die Verbraucher erfahren ja gar nicht, warum die eine Milch teurer ist als die andere. Eine genaue Information über Produktion und Herstellung ist von Nöten." Freiwillige Kennzeichnungsregelungen hält Foodwatch dabei für den falschen Weg. "Eine verlässliche und einklagbare Orientierung für Verbraucher gibt es nur mit einer Kennzeichnungspflicht", sagt Rücker und verweist auf das Beispiel ESL-Milch (ESL für "Extended Shelf Life", also längere Haltbarkeit im Regal). Das Bundesernährungsministerium hatte sich zwar mit der Wirtschaft auf eine freiwillige Kennzeichnung für die neuartige, länger haltbare ESL-Milch geeinigt: In Zukunft soll sie den Zusatz "länger haltbar" tragen, herkömmliche Frischmilch dagegen die Aufschrift "traditionell hergestellt". "Tatsächlich aber hält sich kaum ein Hersteller daran", so der Foodwatch-Sprecher.