Nackte Tatsachen: Kurioses aus dem Wahlkampf
Etwas lahm war der Wahlkampf. Allerdings war auch Verlass auf einige Politiker, die aus den hinteren Reihen nach vorne preschten und den Wahlkampf mit lustigen Einfällen – na ja – "belebten".
21.09.2009
Von Henrik Schmitz

Nackte Tatsachen kommen im Wahlkampf immer gut, dachte sich beispielsweise Vera Lengsfeld. Mit ihrem eigenen Dekolleté und dem von Kanzlerin Angela Merkel warb sie unter der Überschrift "Wir haben mehr zu bieten" um die Stimmen der Wähler. Die aufreizende Kampagne mag ihren Grund darin haben, dass Lengsfeld im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost antritt. Dort gehört die CDU eher zu den kleineren Parteien und erreichte 2005 nur etwa elf Prozent der Erststimmen. Etwas mehr Aufmerksamkeit kann den Christdemokraten dort also nicht schaden. Sollte Lengsfeld es nun tatsächlich schaffen, ausgerechnet dem Grünen Christian Ströbele ("Gebt das Hanf frei") das Direktmandat abzujagen, dürfte diese Leistung wohl als das "Busenwunder von Berlin" in die Geschichte deutscher Bundestagswahlen eingehen. Immerhin: Das Lengsfeld-Plakat ist bereits jetzt ein begehrtes Sammlerobjekt.

 

Ziemlich nackt fiel auch das Plakat des Grünen-Chefs in Kaarst bei Düsseldorf aus. Statt blankem Busen gab es dort das berühmte Maurer-Dekolleté zu sehen: ein nacktes Gesäß. Konkret war es das einer farbigen Frau. Der Slogan "Der einzige Grund, Schwarz zu wählen" sorgte allerdings für solchen Ärger, dass die Grünen das Po-Plakat wieder abhängten. Etwas unter ging in der aufgeregten Mediendebatte allerdings, dass das Plakat nicht für die Bundestagswahl, sondern für die NRW-Kommunalwahl Ende August gedacht war. Nackte Tatsache ist: Die Grünen in Kaarst verbesserten ihr Ergebnis von 10,47 auf 12,7 Prozent.

 

Ohrwurm-Qualitäten

Gern wird in jedem Wahlkampf auch gedichtet und gesungen. In den 70ern erfreute beispielsweise die CDU ihre Wähler mit einem Hit im Stile erfolgreicher Schlager. "Wir wählen CDU, CDU, wähl' auch Du, CDU. Ich weiß längst schon, was ich tu. Was denn sonst? CDU!", hieß es damals in dem Song, der absolute Ohrwurm-Qualitäten aufwies. 

Der Hit von einst mag Vorbild für ein Lied der Jungen Union Tempelhof-Schöneberg in Berlin gewesen sein, das in diesem Jahr für Furore sorgte. Heiter singt dort ein Jung-Unionist so hochkomplexe Liedzeilen wie: "Die Junge Unio-hon / ist unsere Missio-hon / die Zukunft unseres Landes / das sind wir / Wir lieben unser Heimatland / vom Allgäu bis zum Ostseestrand / gemeinsam haben wir / ein großes Ziel." Der Vorsitzende des JU-Kreisverbands, Niklas Schubert, ließ sich in der Presse gar mit den Worten zitieren, der "eingängige Refrain und die stimmungsvolle Melodie" seien Garanten für den Erfolg dieses "unkonventionellen" Werbemittels. Böse Zungen hingegen behaupteten, der Song habe nicht unbedingt dazu beigetragen, dass Image der Jungen Union und ihrer Mutterpartei CDU als seriöse Regierungspartei zu festigen.

 

 

Unter die Rubrik kurios fallen auch in diesem Jahr wieder die Wahlwerbespots diverser Klein- und Kleinstparteien, wobei man zugeben muss, dass das Niveau der Werbung diesmal deutlich höher liegt als in vergangenen Jahren. Vielleicht macht sich hier bereits die digitale Produktionstechnik bemerkbar, die mit weniger finanziellen Mitteln ansprechende Ergebnisse ermöglicht. So rauscht etwa bei der Rentnerinnen- und Rentnerpartei eine agile ältere Dame mit einem sogenannten Segway durch eine idyllische Landschaft und erfreut mit klaren und konkreten Ansagen zur politischen Agenda: "Wenn Sie uns Ihre Stimme geben, ändern wir, was geändert werden muss."

 

 

Dass sich im Wahlwerbespot der Piratenpartei vier von fünf Männern unter dem Slogan "Ich bin ein Pirat" mit Vollbart (allerdings ohne Augenklappe) präsentieren, sei hier nur am Rande erwähnt. Spannender ist da schon der Spot der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) mit deren "Kanzlerkandidatin" Helga Zepp-LaRouche. Sie sagt Sätze, die auch von Oskar Lafontaine stammen könnten: "Die Krise, vor der ich seit Jahren gewarnt habe, ist jetzt da." Bestens informiert ist Helga Zepp-LaRouche auch über die Lage in den USA, wo nach ihrer Aussage bereits ein "Massenaufstand gegen die Regierung" ausgebrochen ist. Wo sich andere Parteien mit der Schaffung von einer oder vier Millionen neuer Arbeitsplätze begnügen, legt die BüSo noch eine Schippe drauf und will zehn Millionen "produktive Arbeitsplätze" schaffen. Bescheidenheit ist die Sache von Helga Zepp-LaRouche dabei nicht: "Ich trete an, weil ich weiß, wie die Krise zu lösen ist."

Etwas ratlos lässt einen vielleicht der Spot der "Familienpartei" zurück. Ein animiertes Stoffmännchen flitzt dabei durch die Landschaft, macht komische Geräusche und fliegt schließlich von einer Wippe. "Rettet die Kinder. Rettet die Eltern. Rettet die Rentner. Rette sich wer kann", heißt es danach lapidar.

Letzteres könnte angesichts so mancher Wahlkampf-Groteske in der Tat eine gute Empfehlung für alle Wähler sein. In diesem Sinne: Der nächste Gaga-Wahlkampf kommt bestimmt.