Allein im vergangenen Winter sind zwölf Seeadler in der Tierklinik Berlin-Düppel aufgenommen worden: zehn davon mit Bleivergiftung. Da sich Seeadler im Winter von den Innereien erlegten Wildes ernähren, nehmen sie Blei aus der Jägermunition auf. Die Folge: Die Seeadler erblinden und ihre Blutbildung wird beeinträchtigt.
"Mehr als 50 Prozent der toten Seeadler hierzulande sind bleivergiftet", sagt der Biologe Helmut Brücher, Experte für die Jagd beim Naturschutzbund Deutschland. Doch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz "ist nicht bereit, eine Umstellung auf bleifreie Jagdmunition gesetzlich zu regeln, solange Tötungswirkung, Umwelttoxikologie der Alternativmaterialien und Sicherheit im Jagdbetrieb nicht hinreichend geklärt sind", heißt es von der dortigen Pressestelle.
Brücher wirft Jägerlobby und Munitionsindustrie "Verzögerungstaktik" vor. In Kalifornien und Japan sei bleihaltige Munition längst verboten, um Kondor und Riesenseeadler zu schützen.
Ein Seeadler-Paar bindet sich für die Ewigkeit
In Deutschland leben zurzeit etwa 600 Brutpaare des europäischen Seeadlers. Der Greifvogel bewohnt waldreiche Seenlandschaften von Mitteleuropa bis Kamtschatka. Am liebsten horsten die braunen Adler mit dem weißen Schwanz auf hohen Bäumen. Müritz und Schaalsee bieten ihnen Fische, Enten und Blesshühner
- ihre Lieblingsbeute. Erfahrene Seeadlerpaare stellen Gründelenten und Tauchern oft gemeinsam nach, bis der Wasservogel erschöpft ist. Ein Paar bleibt ein Leben lang zusammen.
Anfang des 20. Jahrhunderts war der Seeadler in West- und Mitteleuropa nahezu ausgestorben - die Folge intensiver Jagd. Einige Brutpaare hatten sich nur in den heutigen Bundesländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gehalten. 1928 rüttelte der schwedische Tierschriftsteller Bengt Berg das Gewissen seiner Leser mit einem Buch über "Die letzten Adler" auf. Kaum war die Jagd verboten, da besiedelten sie auch schon wieder Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Dänemark.
Verbot von Pflanzenschutzmittel brachte Besserung
Doch in den 50er und 60er Jahren ging der Nachwuchs zurück. Die Eier zerbrachen unter den brütenden Weibchen oder die Brut starb ab. Das Pflanzenschutzmittel DDT hatte sich in der Nahrungskette so angereichert, dass die Eierschalen immer dünner wurden. Mit dem Verbot des Umweltgifts stabilisierten sich die Bestände wieder und breiteten sich sogar aus. Allein zwischen 1990 und 2004 stieg die Zahl der
Brutpaare von 185 auf 470.
Das ist auch der Verdienst von Umweltverbänden. Der World Wide Fund for Nature hat schon 1968 mit einem Seeadlerschutzprojekt in Schleswig-Holstein begonnen. Die Naturschützer kauften Wald- und Wasserflächen. Gemeinsam mit Grundeigentümern, Förstern, Jägern und Naturschutzbehörden, vor allem aber mit ehrenamtlichen Gebietsbetreuern richteten sie Horstschutzzonen ein - denn auch neugierige Spaziergänger oder Jogger stören die Brut.