Im Jahr 2009 besucht eine Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Nordkorea - das hat eine besondere Note: Zum 20. Jubiläum des Berliner Mauerfalls liegt es nahe, Parallelen zwischen dem noch in einen kommunistischen und einen demokratischen Teil gespaltenen Korea und der deutschen Wiedervereinigung zu ziehen. So betonte der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber bei einem Treffen mit der Korean Christian Federation (KCF), Deutsche könnten der Tragödie der Teilung Koreas seit mehr als 50 Jahren und dem Schicksal der Millionen gewaltsam getrennten Familien nicht gleichgültig gegenüberstehen. Huber appellierte an Regierungen und Politiker in aller Welt, "ernsthaft den Weg zu bereiten, damit Frieden, Einheit, Wohlstand und Freiheit auch für die koreanische Halbinsel erreicht werden können".
"Nur Gott und sonst niemanden fürchten"
Die Vertreter des deutschen Protestantismus sind auf Einladung der KCF, zu der schon seit zwei Jahrzehnten gute Kontakte bestehen, in die weitgehend abgeschottete Volksrepublik gereist. Es ist der erste Besuch dieser Art; dabei sind neben Huber unter anderem der stellvertretende Ratsvorsitzende Christoph Kähler, die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann und der EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte. Der KCF-Vorsitzende Kang Yong Sop bedankte sich in einer Rede für die "Zusammenarbeit und Solidarität" der EKD im Versöhnungsprozess zwischen den Christen in beiden Teilen Koreas. Huber äußerte die Hoffnung, dass "freies christliches Leben in ganz Korea möglich werde" und die Menschen "nur Gott und sonst niemanden" zu fürchten bräuchten.
In dieser Äußerung des scheidenden EKD-Chefs klingt an, was nicht offizielles Thema eines offiziellen Besuchs sein konnte: das Christentum hat in Nordkorea einen schweren Stand. Die wenigen vom Staat zugelassenen und kontrollierten Kirchen bringen es zusammen auf weit unter 20.000 Mitglieder. Das ist nicht einmal ein Promille der Gesamtbevölkerung von rund 23 Millionen Menschen und nur ein Bruchteil der Zahl von Christen, die es vor dem Koreakrieg (1950-53) und dem Beginn des kommunistischen Regimes gab.
Offizielle Kirchen nur ein Feigenblatt im "Paradies"
Einst war die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang als "Jerusalem des Ostens" bekannt - heute ist das Land zutiefst von der quasireligiösen Verehrung des Staatsgründers und "Ewigen Präsidenten" Kim Il Sung und seines Sohns und Nachfolgers Kim Yong Il geprägt. Ein von der ganzen Welt beneidetes "Paradies" sei Nordkorea, hieß es laut "Neuer Züricher Zeitung" vor wenigen Tagen anlässlich des 61. Jahrestags der Staatsgründung im Staatsfernsehen. Tatsächlich gilt Nordkorea, das vor allem mit seinem Atom- und Raketenprogramm Schlagzeilen macht, als eines der ärmsten Länder weltweit. Das Regime schirmt die Menschen mit eiserner Hand von der Außenwelt ab. (Siehe auch den Artikel "Bösartiger Dinosaurier" aus der Zeitschrift "Welt-Sichten" 09/2009)
Die offiziellen Kirchen dienen als Feigenblatt. "Von der Regierung gesponserte religiöse Gruppen existieren, um die Illusion von Glaubensfreiheit aufrechtzuerhalten", schreibt das "World Fact Book" des US-Geheimdienstes CIA über Nordkorea. Dem Missionswerk "Open Doors" zufolge liegt die tatsächliche Zahl an Christen zwischen 200.000 und 400.000, die sich aber angesichts massiver Verfolgungen nur im Untergrund versammeln können. Das überkonfessionelle, weltweit tätige Hilfswerk für unterdrückte Christen führt Nordkorea seit Jahren an der Spitze seiner Liste derjenigen Länder, in denen Christen am schärfsten verfolgt werden. Mehrfach hat "Open Doors" auch Christen in Deutschland zu Gebetskampagnen speziell für die bedrängten nordkoreanischen Glaubensgeschwister aufgerufen.
Lagerhaft für Bibelbesitz
Berichten zufolge, die auch das US-Außenministerium in seinem jährlichen Bericht zur Religionsfreiheit zitiert, kann schon der Besitz einer Bibel reichen, um verhaftet, ins Arbeitslager gesteckt oder sogar getötet zu werden. Ein Teil der geschätzt 150.000 bis 200.000 politischen Gefangenen sei aus religiösen Gründen interniert; Überläufern zufolge habe das Regime die Repression in den vergangenen Jahren noch verschärft.
Bei sämtlichen Zahlen handelt es sich um vage Schätzungen - dass belastbare Informationen nach außen dringen, unterbindet die nordkoreanische Führung offenbar wirkungsvoll. "Das einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist: Es gibt eine Untergrundkirche", erklärt Max Klingberg, Korea-Experte bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Südkoreanische Organisationen hätten Kontakt zu Christen aus Nordkorea, die nach China geflohen seien - aber im Vergleich zu anderen Ländern mit Untergrundkirchen sei im Fall Nordkorea der Austausch mit dem Ausland extrem gering, so Klingberg. Zudem hielten sich die Beteiligten angesichts der Gefahr sehr bedeckt.
"Christen besonders beargwöhnt und verfolgt"
Eine seriöse Schätzung, wie viele Christen es in Nordkorea tatsächlich gibt, hält der Menschenrechtler deshalb für unmöglich. "Die Zahlen, die im Umlauf sind, könnten stimmen - ebenso gut könnte es aber auch nur ein winziger Bruchteil davon sein." Schließlich sei selbst in der DDR, wo sich die Christen im Vergleich zu Nordkorea noch fast frei entfalten konnten, die Zahl der Gläubigen stark gesunken.
Dass das Regime unkontrollierte religiöse Aktivitäten zu unterdrücken versucht, steht für Klingberg außer Frage. Betroffen seien alle Religionen - allerdings gehe er davon aus, dass Christen besonders beargwöhnt und verfolgt werden. Zum einen werde, anders etwa als beim Buddhismus, das Christentum entweder mit Rom oder, im protestantischen Fall, mit den USA identifiziert - "in jedem Fall also mit dem feindlichen Ausland", so der IGFM-Experte. Hinzu komme, dass den nordkoreanischen Machthabern die aktive Rolle der Kirche beim Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa sehr bewusst sei. Schwierige Aussichten also für Christen - nicht nur im Jubiläumsjahr des Mauerfalls.