Venedig: Festspiele der Gesellschaftskritik
Bei den Filmfestspielen in Venedig waren in diesem Jahr vor allem Filme erfolgreich, die Position bezogen haben: Für Gleichberechtigung und gegen Krieg und zügellosen Kapitalismus.
14.09.2009
Henrik Schmitz

Man könnte beinahe sagen, die Filmfestspiele von Venedig waren in diesem Jahr ein Festival der Werte, oder zumindest der Werthaltung der Filmemacher der Streifen, die in Venedig präsentiert wurden. Anders als etwa bei den Oscars oder den Golden Globes dominierten vor allem politische Filme den Wettbewerb um den Goldenen Löwen, der schließlich an an das israelische Antikriegsdrama "Lebanon" von Samuel Maoz ging.

Der Film versteht sich als vehementes Antikriegsplädoyer und zeigt den Einmarsch der israelischen Armee 1982 ins Nachbarland Libanon aus der Perspektive einer Panzerbesatzung. Für die eingeschlossenen Soldaten erweist sich der Krieg als traumatische Erfahrung des Orientierungs- und Kontrollverlusts. Für den Zuschauer macht der Film dies als klaustrophisches Erlebnis nachvollziehbar, indem er ausschließlich das eingeschränkte Sichtfeld der Soldaten abbildet und realistisch deren Hilflosigkeit und Angst zeigt.


  Auch bei der Vergabe des Silbernen Löwen für die beste Regie unterstützte die Jury unter Vorsitz des taiwanesischen Regisseurs Ang Lee («Tiger and Dragon») eine Art Plädoyer: Die im Iran geborene Fotografin Shirin Neshat erzählt in ihrem Frauendrama «Women without Men» von vier weiblichen Schicksalen im Teheran des Jahres 1953. Vor dem Hintergrund des damaligen Sturzes von Ministerpräsident Mossadegh zeigt der Film, wie sich in den damaligen gesellschaftlichen Veränderungen bereits die Vorboten der islamischen Revolution Jahrzehnte später erkennen lassen. In Ausstattung und Farbgebung bringt Neshat atmosphärisch genau die Epoche auf die Leinwand und sendet einen Appell für die Gleichberechtigung der Frauen im Islam aus.

Publikumsliebling Michael Moore

 

Für einige Beobachter vielleicht überraschend ging hingegen ein weiterer politischer Streifen leer aus. Michael Moore hatte mit seinem "Capitalism - A Love Story" zwar das Publikum von den Sitzen gerissen, aber offensichtlich nicht die Jury. Dabei hatte Moore eigentlich das Thema gewählt, was momentan die meisten Menschen intensiv beschäftigt: Die Finanzkrise und die Folgen eines ungezügelten Kapitalismus. Dass Moore in dieser Frage eine eher "linke Haltung" einnimmt, überrascht nicht.

So deutlich wie noch in keinem seiner bisherigen Filme übt Moore in seinem neuen Streifen fundamentale Kritik am Kapitalismus und scheut nicht davor zurück, seine Mitbürger zu massivem Protest aufzurufen. Einmal mehr gelingt es ihm dabei, trotz des ernsten Themas und komplizierter Sachverhalte über die kompletten zwei Stunden des Films auch noch unterhaltsam zu sein. 

  Zugleich hat Moore noch in keinem seiner Filme so klar und überzeugend argumentiert wie in "Capitalism - A Love Story". Wenn er von den Piloten berichtet, die für ein Jahresgehalt von 20.000 Dollar fliegen und deshalb nicht selten in Nebenjobs dazuverdienen müssen, teilt man seine Angst um Amerikas Flugsicherheit. Wenn er von Jugendlichen erzählt, die von korrupten Richter wegen Minimaldelikten verurteilt werden, damit das Privatunternehmen, das die Jugendhaftanstalt führt, Gewinne macht,  schüttelt man mit ihm zusammen den Kopf.
 

Preis für Fatih Akin

Als wollte sie einen Gegenakzent zu Moores und den anderen eher politischen Filmen setzten, vergab die Jury ihren Spezialpreis aber an den deutschen Regisseur Fatih Akin und seine Komödie aus dem Hamburger Szenemilieu «Soul Kitchen». Am vorletzten Tag der «Mostra» präsentiert, avancierte der Film binnen kurzem zum absoluten Publikumsfavoriten des Festivals. Im Heimatland der «commedia all'italiana» traf Akins vor keinem Klamauk zurückschreckende Komödie um den vom Pech verfolgten Restaurantbesitzer Zinos, einem Hamburger mit griechischem Migrationshintergrund, punktgenau den Sinn für Humor.

  Insgesamt wurde die Preisvergabe in diesem Jahr mit verhaltenen Reaktionen aufgenommen. Den zweifellos heftigsten Applaus erhielt Colin Firth, der für seine Rolle in «A Single Man» die begehrte «Coppa Volpi» bekam. Im Regiedebüt des bekannten Modemachers Tom Ford spielt er einen zum Selbstmord entschlossenen Homosexuellen, der den Schmerz über den Verlust seines Lebenspartners nicht verwinden kann. Auf weniger Gegenliebe stieß die Entscheidung bei der besten weiblichen Darstellerin, spielte die russisch-italienische Schauspielerin Kseniya Rappoport nach Auffassung vieler doch in einem der schlechteren Filme des Programms: im italienischen Thriller «La Doppia Ora».

Einen der schönsten Filme des Wettbewerbs überging die Jury bei ihrer Auswahl  In Brillante Mendozas «Lola» geht es um zwei Großmütter, die einen heiklen Ausgleich finden müssen: der Enkel der einen hat den der anderen umgebracht. Voller Respekt enthüllt der Film, wie es aussieht, wenn Gewalt einmal nicht mit Gewalt beantwortet wird. Ihre jeweilige Notlage zwingt die in bitterer Armut lebenden Großmütter dazu, eine Lösung zu finden, die das Weiterleben ermöglicht. Am Ende hat man den Eindruck: diese Greisinnen könnten jeden Krieg verhindern - vielleicht sogar den Nahostkonflikt lösen.

mit Material von epd