Die Parteien und die Kirchen: Neue Nähe, neue Distanz
Am 27. September wird die CDU/CSU in katholischen Gegenden besser abschneiden als anderswo. Und bei der SPD ist es umgekehrt. Also alles wie gehabt?
14.09.2009
Von Rainer Clos

Rund zwei Drittel der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl sind kirchlich gebunden. Aber die Zeiten, in denen Hirtenbriefe und Kanzelworte die Wahlentscheidung von Christen beeinflussten, scheinen passé. Traditionelle Bindungen, die in der Vergangenheit Katholiken mehrheitlich für die Unionsparteien stimmen ließ und den Sozialdemokraten protestantische Wähler eintrug, sind porös geworden. Neben den Noch-Volksparteien und bisherigen Koalitionspartnern CDU/CSU und SPD sind auch die Oppositionsparteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen bestrebt, Stimmen von den Kirchenmitgliedern unter den Wählern zu gewinnen. Nur die Linkspartei macht bei diesem Wettlauf nicht mit.

2005: Spitzenkandidaten trafe Papst

Ein Blick zurück: Kurz vor der Bundestagswahl 2005 gab es für die Formel von der Rückkehr der Religion in Köln eine eindrückliche Demonstration. Mehr als eine Million Jugendlicher hatte sich zum römisch-katholischen Weltjugendtag eingefunden. Am Rande dieses religiösen Megaereignisses und Glaubensfestes, mitten im Wahlkampf, empfing Papst Benedikt XVI. in Köln Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine christdemokratische Herausforderin Angela Merkel zu Privataudienzen.

Vier Jahre später sind Treffen von Spitzenpolitikern mit dem "Heiligen Vater" in Rom nicht geplant. Den Kontrahenten Merkel und Frank-Walter Steinmeier scheint an weltkirchlichem Glamour nicht übermäßig gelegen. In der Pha se des Vorwahlkampfes nutzte der evangelisch-reformierte Christ Steinmeier den 500. Geburtstag des Reformators Johannes Calvin, um dessen Verdienste für die Herausbildung der modernen Demokratie zu würdigen. Und die pragmatische Protestantin Merkel suchte die Katholischen Akademien von Berlin und München als Bühne, um Irritationen unter romtreuen Katholiken wegen ihrer umstrittenen Intervention in der Kontroverse über die Pius-Bruderschaft zu zerstreuen. Denn gerade im traditionell-katholischen Lager hatte man der Kanzlerin die Einmischung in die Affäre um den Holocaust-Leugner und Bischof Richard Williamson am Beginn des Wahljahrs übel genommen.

Thema Religion pflichtgemäß gestreift

Im Wahlkampf, in dem die Auseinandersetzung über kühne Zukunftskonzepte bislang unterblieb, spielen Glaube und Religion so gut wie keine Rolle. Nur marginal und meist pflichtgemäß streifen die Parteien das Stichwort Religion in den Wahlprogrammen. Die CDU bescheinigt den christlichen Kirchen eine große Bedeutung für das "geistige Klima" und menschliche Miteinander im Land: "Religionsgemeinschaften vermitteln Werte, die einen positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft ausüben." Die öffentliche Präsenz der Kirchen trage maßgeblich zur Festigung und Vermittlung des auf der christlich-abendländischen Tradition stehenden Wertefundamentes bei. Das Bekenntnis der Unionsparteien zum konfessionellen Religionsunterricht überrascht ebenso wenig wie die Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache.

Das SPD-Regierungsprogramm "Sozial und demokratisch. Anpacken. Für Deutschland" vermerkt, Kirchen und Religionsgemeinschaften seien für eine Bürgergesellschaft unverzichtbar: "Sie sind für uns zugleich wichtige Partner zu einer humanen Gesellschaft und im ethischen Diskurs."

Ganz große Koalition in Religionsfragen

Im Deutschlandprogramm der FDP wird Toleranz und Respekt vor der Glaubensüberzeugung des anderen zur Voraussetzung für ein "friedliches Miteinander" für Staat und Gesellschaft erklärt. Das Zusammenwirken von Staat und Kirchen im Interesse des Gemeinwesens wird von den Liberalen bejaht.

Die Grünen, die in den Vorjahren auf Kirchentouren ihre Nähe zu den Kirchen landauf und landab demonstrierten, konzentrieren sich in ihrem grünen Gesellschaftsvertrag auf den Islam. Dessen Gleichstellung mit den christlichen Kirchen ist für die Grünen ein Essential. An die islamischen Verbände richten sie die Forderung, für Religionsfreiheit von Muslimen und die Freiheit des Wechsels der Religion einzutreten. Wie die Linkspartei lehnen auch die Grünen jegliche Benachteiligung aufgrund religiöser Überzeugungen strikt ab. Die Kirchen- und Religionsbeauftragten aller Bundestagsfraktionen vermitteln mit gemeinsamen Aktionen mitunter den Eindruck, als bestehe in Religionsfragen eine ganz große Koalition.

Entfremden sich SPD und evangelische Kirche?

Doch unter der Oberfläche der Programmgrundsätze, lässt sich an der Schnittstelle von Religion und Politik reichlich Bewegung beobachten. Bei diesen Veränderungen spielen Personen und Posten eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt die Wahl der Grünen Katrin Göring-Eckardt zur Präses der Synode der EKD im Mai wird von Beobachtern als Beleg für eine fortschreitende Entfremdung zwischen evangelischer Kirche und SPD gedeutet. Nach einer langen Phase, in der Sozialdemokraten das evangelische Kirchenparlament dirigierten, rückte eine Grüne in diese Position. Und als Präsidentin wird die ostdeutsche Theologin in zwei Jahren den Kirchentag in Dresden leiten.

Zur Überraschung für viele wurde mit Günter Beckstein gar ein CSU-Politiker, der vielen engagierten Kirchenfunktionäre wegen seines harten Kurses als Innenminister in der Ausländerpolitik als Feindbild galt, zum stellvertretenden Synodenpräses gewählt.

Die Lücke, die der Abgang von profilierten Protestanten wie Jürgen Schmude, Johannes Rau oder Erhard Eppler hinterlässt, hat die SPD noch nicht wieder schließen können. Gewiss sind in der Parteispitze viele bekennende Christen zu finden, wie die Katholiken Franz Müntefering, Andrea Nahles, Wolfgang Thierse und der Protestant Steinmeier: Doch die Bildung eines Arbeitskreises von Christen in der SPD, dem die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnet und EKD-Synodale Kerstin Griese vorsitzt, signalisiert, dass die protestantischen Wurzeln der Partei ausgedünnt sind. Erschwerend hinzu kamen Konflikte über den Religionsunterricht und den Sonntagsschutz in Berlin. Diese mit Verve ausgetragenen und bundesweit beachteten Kontroversen haben das Verhältnis zwischen SPD und Kirchen über Berlin hinaus belastet.

Annäherung Union - evangelische Kirche

Parallel dazu hellte sich durch gemeinsame Positionen in diesen Konfliktfeldern das Verhältnis zwischen evangelischer Kirche und Union auf, wie es der ehemalige EKD-Bevollmächtigte in Berlin, Stephan Reimers, beschrieb. Auch in anderen Sachfragen ließen sich Annäherungen beobachten, etwa hinsichtlich eines EU-Beitritts der Türkei. Aufmerksam wird auch registriert, dass die CDU Spitzenpositionen mit Protestanten besetzt hat: Neben der Pfarrerstochter Merkel sitzen im Kanzleramt mit dem Amtschef Thomas de Maiziere und Staatsminister Hermann Gröhe evangelische Synodale. Beide stehen im regelmäßigen Dialog mit den Vertretern der eher konservativen Deutschen Evangelischen Allianz. Gerade Gröhe, der auch dem Rat der EKD angehört, wird eine wichtige Scharnierfunktion zum Lager der Glaubenskonservativen zugebilligt.

Zudem erwies sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als wichtiger Ansprechpartner für die Kirchen. Dem badischen Protestanten gelang mit der Deutschen Islamkonferenz das Thema religiöser Identität und Integration zu verschränken.

Dagegen wuchs die Distanz zwischen den Unionsparteien und Teilen des Katholizismus. Zwar gibt es noch immer eine starke personelle Verflechtung katholischer Verbände mit der CDU. Dennoch suchten mehrfach katholische Bischöfe wie Walter Mixa und Joachim Meisner den offenen Konflikt in der Familienpolitik und Abtreibungsfrage. Gerade der Schwenk der Union in der Biopolitik mit dem Eintreten für die Verschiebung des Stichtages für den Import von Stammzellen sorgte in der katholischen Kirche und bei kirchentreuen Katholiken für tiefe Verunsicherung.

Auch die Opposition umwirbt Kirchenverbundene

Daneben wird registriert, dass sich auch Grüne und Liberale neu sortiert haben und dabei gezielt das kirchenverbundene Bürgertum umwerben. Zwischen katholischer Kirche und Grünen gab es gerade in biopolitischen Fragestellungen eine Annäherung, ungeachtet fortdauernder Differenzen über Abtreibung, Familienpolitik und Kinderbetreuung. Von den Grünen werden die Kirchen spätestens seit dem gemeinsame Sozialwort 1997 als potenzielle Partner gesehen.

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Besonders auffällig erscheint die Kurskorrektur der Freidemokraten im Verhältnis zu den Kirchen. Ablesen lässt sich dies nicht allein an den "Liberalen Leitlinien zum Verhältnis von Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften". Darin wird eine eine partnerschaftliche Zuordnung von Staat und Religionsgemeinschaften als mit dem Neutralitätsgebot vereinbar bezeichnet. Diese Position unterscheidet sich fundamental von den radikalen "Kirchenthesen" aus den Siebzigerjahren, mit denen die FDP damals unter anderem den Religionsunterricht in Frage gestellt hatte. Vor allem jüngere FDP-Politiker sind sichtlich bemüht, abgerissene Kirchenkontakte neu zu knüpfen.

Keine offiziellen Kontakte pflegen die Kirchen zur Linkspartei. Ohne deren klare Auseinandersetzung mit der Rolle der SED bei der Drangsalierung von Christen in der DDR, werde es keine Normalität in den Beziehungen geben, lautet die Devise.

Was von den Politikern in der Wahlauseinandersetzung erwartet wird, hatten die beiden großen Kirchen bereits in einem "Gemeinsamen Wort" 2006 formuliert. Darin wird gewarnt: "Auf Kosten der Gemeinschaftsbelange profilieren sich Parteien auch, wenn sie ihren Wählern nach dem
Munde reden und unvernünftige Wahlgeschenke machen."
 


Rainer Clos ist Redakteur des epd. Der obige Text ist zuerst in der Zeitschrift "zeitzeichen - Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft" erschienen (Ausgabe September 2009).