Mangelernährung gefährdet Hälfte der Altenheim-Bewohner
Mangelernährung wird unterschätzt, nicht erkannt und nicht behoben, die Dokumentation stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein, das zu wenige Personal ist schlecht ausgebildet: Es steht nicht gut um deutsche Altenheime. Die Leidtragenden sind die Senioren.

Die Hälfte der Altenheim-Bewohner ist einer Studie zufolge von Mangelernährung bedroht. Grund sei unter anderem der Personal- und Zeitmangel in den Heimen, heißt es in der am Freitag von der Universität Witten/Herdecke vorgestellten Untersuchung. Oft sei der Ausbildungsstand der Pflegekräfte so schlecht, dass sie eine Mangelernährung der Bewohner nicht frühzeitig genug erkennen. Nur etwa die Hälfte der Pflegekräfte seien vollständig ausgebildete Altenpflegerinnen und -pfleger.

Grundlage der Studie waren Befragungen in 73 Altenpflegeeinrichtungen mit insgesamt 6.000 Bewohnern im April. Rund 55 Prozent der alten Menschen waren völlig oder überwiegend pflegeabhängig. Das Durchschnittsalter betrug 82 Jahre. Das höchste Risiko für eine Mangelernährung haben den Angaben zufolge Demenzkranke. Es liegt bei rund 60 Prozent. Das zweithöchste Risiko tragen alte Menschen, die sich nicht mehr bewegen können.

Aufseiten der Pflegebedürftigen sind Appetitlosigkeit, mangelndes Durstgefühl, schwere Krankheit und Schluckbeschwerden die häufigsten Ursachen dafür, dass sie zu wenig essen und trinken. Zudem fehlt ihnen Hilfe beim Zerkleinern des Essens oder dem Halten eines Trinkgefäßes.

Der Studie zufolge, die von der Pflegewissenschaftlerin Sabine Bartholomeyczik betreut worden ist, klafft zwischen der Realität im Heim und der Dokumentation in den Papieren eine deutliche Lücke: In fast allen Fällen wird der Ernährungszustand der Menschen beim Einzug ins Heim erfasst und auch das Risiko für eine Mangelernährung vermerkt. Ebenso häufig (98 Prozent) wird bei einem Risiko Zusatzkost bestellt. Offenbar sei aber die "Umsetzung schwierig", heißt es in der Studie.

Mangelernährung in Heimen werde immer noch unterschätzt, warnte Bartholomeyczik. Die Ergebnisse der Befragungen würden den einzelnen Heimen zur Verfügung gestellt. Die Pflegewissenschaftlerin empfahl den Einrichtungen, "offensiv" damit umzugehen, um die Situation der alten Menschen zu bessern.

Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDS) geht nach seiner zweiten bundesweiten Qualitätsprüfung aus dem Jahr 2007 davon aus, dass rund ein Drittel der Heimbewohner mit Essen und Trinken unterversorgt ist und zehn Prozent durch schlechte Pflege körperlich Schaden nehmen. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte dem epd, die Wittener Studie sei "ein wertvoller Beitrag" zur Fachdiskussion in der Pflege. Sie zeige, dass besonders Demenzkranke der Gefahr einer mangelhaften Ernährung ausgesetzt seien. Heime, die sich Qualitätsprüfungen unterzögen, könnten gezielt reagieren. Das Ministerium werde seinerseits die Ergebnisse der Studie auswerten, kündigte der Sprecher an.

epd