Wasser, wohin das Auge auch blickt – wochenlang kein Land in Sicht. Mal Hitze. Dann wieder Temperaturen um den Gefrierpunkt. Stürme, die sich zu Orkanen aufbauen. Haushohe Wellen. Das Schiff, mit dem Boris Herrmann und Felix Oehme hart am Wind segeln, ist gerade mal zwölf Meter lang. Auf den Ozeanen kaum mehr als eine Nussschale. Seit Oktober sind die beiden 28-Jährigen mit der „Beluga Racer“ unterwegs.
Ein Abenteuer: „Etwas mulmig war mir schon – wie bei jedem großen Rennen in der ersten Woche“, gesteht Boris. „Diese endlose Weite, diese Abhängigkeit von begrenzten Vorräten und modernder Technik, der permanente Druck, schneller segeln zu wollen.“ Das Rennen ist eine Herausforderung. Sechs Teams segeln beim Portimão Global Ocean Race um die Wette. Eine Regatta, die in fünf Etappen rund um die Welt führt. Wenn Boris und Felix um den 21. Juni herum in dem portugiesischen Städtchen Portimão den Zielhafen erreichen, werden sie rund 30.000 Seemeilen bewältigt haben.
Schon nach der ersten Etappe hatten Boris und Felix Geschichte geschrieben. Die beiden erreichten als Erste das Ziel in Kapstadt. Somit sind sie die allererste deutsche Crew, die auf einem deutschen Schiff bei einem internationalen Hochseerennen eine Etappe gewonnen hat. Auch die zweite Teilstrecke von Kapstadt nach Wellington (Neuseeland) hat das Duo gewonnen. Boris und Felix haben Erfolge gefeiert, aber auch Enttäuschungen erlebt. Bei der dritten Etappe von Wellington nach Ilhabela (Brasilien) müssen sie sich knapp geschlagen geben. In Führung liegend, geraten sie kurz vor der brasilianischen Ostküste in eine Flaute. Geschickt nutzen die erfahrenen Skipper Felipe Cubillos und José Muñoz den Moment. Das chilenische Team erreicht Ilhabela 52 Minuten eher als die „Beluga Racer“.
Mit der Seefahrt vergangener Zeit kaum vergleichbar
Als Verlierer sehen sich Boris und Felix deswegen nicht. In der Gesamtwertung liegen die Deutschen auch nach der dritten Etappe knapp vor den Chilenen. „Und diese unvergleichlichen Erlebnisse und Erfahrungen nimmt uns niemand mehr“, sagt Felix. Erfolgreich haben sie das Südpolarmeer gemeistert. Und haben das legendäre Kap Hoorn umrundet. Dann das Pech vor Brasilien: „Wir hatten diese lokale Kaltfront schlicht nicht auf der Rechnung“, sagt Boris. „Die Windunterschiede sind hier auf wenigen hundert Metern so extrem, dass auch der Glücksfaktor eine große Rolle spielt.“ Segeln ist ein Sport, bei dem es stark auf Technik, Logistik, Strategie und Taktik ankommt. Die Jachten sind hochmodern mit elektronischer Navigation ausgestattet: Internet, GPS-Geräte, Autopilot, elektronische Seekarten. Wetterinformationen über das jeweilige Seegebiet mailt ihnen zudem der Beluga-Meterologe Sven Taxwedel zu.
„Mit der Seefahrt vergangener Tage ist dies nicht zu vergleichen“, sagt Felix. „Den Wandel symbolisiert unser Sextant.“ An Bord haben sie zwar ein Modell aus extrem leichtem Kunststoff. Aber auf See nach Sonne, Mond und Sternen navigieren? Boris und Felix vertrauen auf GPS und Elektronik. Selbst Papierseekarten hat das Team nur vom Zielgebiet und von Notstopphäfen dabei: „Manchen erfahrenen Seebären wird dies leichtsinnig vorkommen.“ Doch die beiden überlassen nichts dem Zufall. Akribisch haben sie sich auf das Abenteuer vorbereitet. „Wir haben zwei Monate zusammen am Boot gearbeitet – quasi auf dem Werftgelände kampiert“, sagt Boris. „Da nur wir verantwortlich sind, kommt es für mich nicht infrage, die Inspektion des Schiffes zu delegieren und in den Urlaub zu fahren.“
Nachlässigkeiten können auf See fatal sein
Ob Mast, Kiel oder Wanten: die Materialeigenschaften werden auf das Sorgfältigste getestet und gewartet. Jede Schraube, jedes Kabel wird bearbeitet. Kleine Nachlässigkeiten können auf See fatal sein. Der Zustand der „Beluga Racer“ muss tipptopp sein. Nur so kann das Boot in einem Hurrikan bestehen, wie ihn Boris und Felix zum Beispiel Mitte März erlebt haben. Windstärke zwölf. Böen peitschen mit 55 Knoten (102 km/h) über die See, schüttelten die „Beluga Racer“, drücken sie gefährlich zur Seite. Aber das Boot hält stand.
Das Team funktioniert. Boris und Felix kommen sehr gut miteinander klar. Wochenlang zu zweit auf einem zwölf Meter langen Boot: Gibt es gar keinen Lagerkoller? „Nie! Und das ist für mich ein Wunder“, gesteht Boris. „Das war eine meiner Sorgen vor dem Rennen.“ Wie kommt es denn, dass die beiden so gut miteinander harmonieren? „Wir verwirklichen einen Traum, für den wir bewusst alle Strapazen in Kauf nehmen“, antwortet Boris. Die beiden Männer kennen sich seit zehn Jahren. Auch als Konkurrenten. Sie sind zahlreiche Regatten gegeneinander gesegelt. „Aus dieser Zeit resultiert ein großer Fundus an Respekt und gegenseitiger Achtung“, so Boris. Felix hatte in der olympischen 470er Jolle die Nase vorn, Boris beim Einhand-Hochseesegeln.
Besser zu zweit als allein
Gemeinsam weisen sie 20 Jahre Segelerfahrung vor. „Damit sind wir nicht mit zusammengewürfelten Grundwehrdienstleistenden zu vergleichen, sondern eher mit spezialisierten Berufssoldaten“, findet Boris. Um erfolgreich zu sein, müssen sich die beiden Segler blind aufeinander verlassen können. Und möglichst perfekt ergänzen. Wende, Halse, Beiliegen: „Wir arbeiten bei Manövern routiniert und unaufgeregt miteinander – fast ohne zu sprechen“, erklärt Boris. Langweilig wird es nie an Bord. Stets haben sie die Navigation und die Wetterkarten im Blick. Ständig fallen Arbeiten an: kleinere Reparaturen, Wartungen, Verbesserungen, kochen, aufräumen. In entspannten Momenten können die beiden über gemeinsame Freunde, Segelprojekte, Politik oder Bücher reden. Oder sie schauen sich einen Film am Computer an. Aber: „Man lebt wie eine Wildkatze“, schildert Boris den Alltag an Bord. „Immer auf der Lauer, bereit aufzuspringen.“ Boris und Felix wechseln sich mit dem Schlafen ab. Aber auch in der Koje: Sie müssen jederzeit bereit sein. Das kleinste Geräusch oder eine sanfte Neigung können schon Indiz sein für ein Aufdünen der See oder ein Abweichen vom Kurs.
Besser zu zweit als allein. Darin sind sich beide einig – obwohl sie nun schon monatelang jeden Tag auf kleinstem Raum zusammen sind. „Zu zweit fühlt es sich deutlich sicherer an“, sagt Boris, der auch als Einzelkämpfer im Einhandsegleln erfolgreich unterwegs ist. „Ich fühle mich im Team stärker.“ Gerade kritische Situationen sind zu zweit besser zu meistern als allein, stellt Felix fest: „Wir haben Stürme erlebt und Langeweile bekämpft, Zieleinkünfte gefeiert und bis zur Erschöpfung die Starts vorbereitet – wir erleben dieses Abenteuer zu zweit: das ist fantastisch.“
Vor der vierten Etappe liegt das „Beluga Racing Team“ in der Gesamtwertung vorn. Rund 5000 Seemeilen sind es von Ilhalbela bis Charleston im US-Bundesstaat South Carolina (Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest). Unterwegs lauern Winddreher, Meeresströmungen und unberechenbare Flauten. Im Juni kommt es zum Showdown: Die fünfte und letzte Etappe startet am 31. Mai in Charleston. Bis 21. Juni soll der Zielhafen Portimão erreicht werden.