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TV-Tipp des Tages: "Paulette" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Paulette", 14. Juli, 20.15 Uhr im Ersten
Als die Rentnerin Paulette zufällig mitbekommt, wie viel Geld die Nichtsnutze aus ihrer Nachbarschaft mit dem Verkauf von Haschisch machen, bietet sie sich dem Vorortboss als Hilfskraft an.

Die Geschichte ist verbürgt, auch wenn sie sich in Wirklichkeit kaum derart vergnüglich zugetragen haben dürfte: Vor einigen Jahren geriet eine Rentnerin aus einer französischen Hochhaussiedlung in die Schlagzeilen, weil sie ihr kärgliches Einkommen mit den Verkauf von Cannabis aufgebessert hatte. Eine Teilnehmerin von Jérôme Enricos Drehbuchwerkstatt an der Pariser Filmhochschule schlug vor, den Stoff zu einem Drehbuch zu verarbeiten, das Enrico dann inszenierte. Auf diese Weise ist eine Sozialkomödie entstanden, die an die große Tradition des italienischen Kinos anknüpft und an die Filme des Briten Ken Loach erinnert. Hierzulande liegt dieses Genre bedauerlicherweise fast völlig brach; dabei kann man unter dem Deckmantel der amüsanten Unterhaltung Geschichten von großer gesellschaftlicher Relevanz erzählen.

Enrico und sein Autorenteam haben zudem den Mut, eine ausgesprochene Antiheldin zur Hauptfigur zu machen. Paulette ist eine rüstige Rentnerin um die achtzig, aber alles andere als eine sympathische Zeitgenossin. Der Vorspann erzählt in fröhlichen Farben von ihrem einstigen Leben als diplomierte Konditorin mit eigenem Lokal, doch seit dem Tod des Gatten vor zehn Jahren ist es rapide bergab gegangen. Heute ist Paulette eine verbitterte alte Frau voller Vorurteile vor allem gegen Einwanderer. Sogar bei der Beichte schimpft sie über Bimbos und Schlitzaugen. Und dann hat ihre Tochter auch noch ausgerechnet einen Afrikaner geheiratet! Ohne Skrupel sagt sie ihrem Enkel Leo ins Gesicht, sie könne ihn nicht leiden, weil er schwarz sei.

Als Paulette zufällig mitbekommt, wie viel Geld die Nichtsnutze aus ihrer Nachbarschaft mit dem Verkauf von Haschisch machen, bietet sie sich dem Vorortboss als Hilfskraft an. Der setzt sie zwar umgehend vor die Tür, doch dann landet ein Päckchen Stoff zufällig und buchstäblich in ihrem Schoß. Anstatt das Cannabis pur zu verkaufen, macht sie wunderbare Backwaren draus und avanciert sehr zum Unwillen der anderen Kleindealer zur ersten Adresse im  Viertel. Dann mischen auch noch ihre Freundinnen mit, und die Umsätze schießen in die Höhe, was prompt die Aufmerksamkeit des russischen Oberbosses weckt. Dessen Pläne hält jedoch selbst Paulette für unmoralisch; aber nun wird sie die Geister, die sie rief, nicht mehr los.

Natürlich liegt der Reiz des Films in der originellen Geschichte und der bösartigen Hauptfigur, doch Enricos Kunst besteht darin, trotz aller Abneigung Sympathie für Paulette zu wecken. Außerdem wandelt sich mit ihrer sozialen Situation auch ihr Auftreten; selbst den kleinen Leo schließt sie schließlich in ihr Herz. Die Glaubwürdigkeit der charakterlichen Metamorphose ist ein kleines Kunststück von Hauptdarstellerin Bernadette Lafont, die ihre ersten Filme vor 55 Jahren für François Truffaut und Claude Chabrol gedreht hat und eine der populärsten französischen Schauspielerinnen ist. Schon allein die Verwandlung der liebenswürdigen, attraktiven älteren Dame in die zänkische Kratzbürste Paulette ist ein Meisterwerk von Maskenbild und Schauspielkunst. Ähnlich treffend besetzt und gespielt sind die Nebenfiguren, allen voran die aus vielen Filmen Pedro Almodóvars bekannte Carmen Maura ("Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs").

"Paulette" ist erst der zweite Kinofilm von Jérôme Enrico. Sein Stil mag nicht so kraftvoll sein wie der seines Vater Robert, der einst unter anderem mit Lino Ventura und Alain Delon "Die Abenteurer" (1967) gedreht hat, aber die Inszenierung verrät gerade in den beiläufig umgesetzten kleinen Momenten, die viel zur Charakterisierung der Figuren beitragen, großes Feingefühl. Und die Dialoge sind von einer erfrischenden Boshaftigkeit.