Kölner Dom
Foto: epd-bild/Jörn Neumann
Im Gegensatz zu Ritterburgen und Fürstenschlö?ssern dienen die meisten Kirchen bis heute ihrem ursprünglichen Zweck als Orte für Gottesdienste und Gebet. Das zu akzeptieren, fällt manchen Touristen schwer.
"Wer Eintritt nimmt, hat vor dem Tourismus kapituliert"
Wie Kirchengemeinden mit Besucherströmen umgehen
Touristen sind für Kirchengemeinden Segen und Fluch zugleich: Sie bringen Aufmerksamkeit und spülen mancherorts auch Geld in die Kassen. Dafür kommen sie schonmal mit Bratwurst und Glühwein in die Kirche - oder nehmen sich für eine Welterbe-Kapelle nur zwölf Minuten Zeit.
10.07.2014
epd
Karsten Packeiser

Während eines Sonntagsgottesdienstes im Juni stand Manuela Rimbach-Sator im schwarzen Talar auf der Kanzel, als wieder einmal eine Reisegruppe in die Oppenheimer Katharinenkirche platzte. Die Besucher begannen, kreuz und quer durch das Kirchenschiff zu spazieren und die eindrucksvollen Glasfenster zu fotografieren. "Ich musste die Predigt unterbrechen und die Leute höflich bitten, sich doch noch fünf Minuten zu gedulden", erzählt die Pfarrerin. 30.000 bis 40.000 Touristen kommen jedes Jahr in die Kirche der rheinhessischen Kleinstadt, die zu den bedeutendsten gotischen Bauten entlang des Rheins zählt - doch nicht alle sind dabei besonders rücksichtsvoll.

Touristen-Zwischenstopp Wieskirche

Im Gegensatz zu Ritterburgen und Fürstenschlössern dienen die meisten Kirchen bis heute ihrem ursprünglichen Zweck als Orte für Gottesdienste und Gebet. Das zu akzeptieren, fällt manchen Touristen schwer. "Das Verständnis für das, was beim Gottesdienst passiert, lässt bei Besuchern leider nach", sagt Tabea Frey, Pfarrerin am Ulmer Münster. Gelegentlich fühle sich die Kirchengemeinde angesichts des Andrangs schon "etwas ausgestellt". In der Zeit des Weihnachtsmarkts kämen Touristen auch gerne mit Bratwurst und Glühwein in die Kirche, erzählt sie.

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Vor welche Herausforderungen der Tourismus Kirchen stellt, wird im oberbayerischen Steingaden besonders deutlich. Die dortige "Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies" ist nicht nur Rokoko-Kleinod und UNESCO-Welterbe. Sie liegt auch auf ziemlich direktem Weg zwischen Münchner Hofbräuhaus und Schloss Neuschwanstein. Unzählige Reisebusse mit Touristen aus aller Welt stoppen hier tagtäglich für - so hat es die katholische Kirche ausrechnen lassen - durchschnittlich zwölf Minuten.

Eine spirituelle Atmosphäre angesichts einer Million Besucher pro Jahr herzustellen, sei schwierig, klagt Wallfahrtspfarrer Gottfried Fellner. "Manche wollen auch ihre Hunde mitbringen und wenn man sie darauf anspricht, sagen sie, das seien doch auch unsere Mitgeschöpfe", erzählt er. "Ich frage dann immer, ob sie ihre Mitgeschöpfe auch in die Oper mitnehmen würden." Der Verein "Freunde der Wies" hat inzwischen einen Appell an die Reiseunternehmen gerichtet: Busgruppen sollten sich vorab möglichst anmelden, die Besucher wenigstens auf der Fahrt ein wenig über die Kirche informieren und mit einer Spende zu deren Erhalt beitragen.

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Auf der Klosterinsel Reichenau im Bodensee, wo der Welterbe-Titel ebenfalls die Besucherzahlen explodieren ließ, bleibt die St. Georgs-Kirche während der Sommermonate inzwischen für Touristen weitgehend geschlossen. Feuchtigkeit und der von den Besuchern aufgewirbelte Staub bedrohen dort die einmaligen frühmittelalterlichen Fresken.

Einige protestantische Kirchen, vor allem im Norden und Osten der Republik, sind dazu übergegangen, an die Besucher Eintrittskarten zu verkaufen. "Wer Eintritt nimmt, hat vor dem Tourismus kapituliert und erklärt seine Kirche gewissermaßen zum Museum", hält Harald Schlüter dagegen, Referent für Kirchenführungen beim Kölner Domforum. Am Rhein bemühen sich die Verantwortlichen für die Besucher der Kathedrale nach Kräften um geordnete Abläufe: Gruppen werden mit Kopfhörersets ausgestattet, um den Lärmpegel zu senken. Ohnehin dürfen nur lizenzierte Kirchenführer mit abgeschlossenem Theologie-, Geschichts- oder Kunstgeschichtsstudium im Dom arbeiten.

"Aktuell vermissen wir eine Kirchenbank"

Damit Touristen überhaupt noch eine Chance haben, das Kölner Wahrzeichen in einer andächtigen Stille kennenzulernen, bieten Dombauhütte und Domforum inzwischen sogar nächtliche Sonderführungen an. "Bestaunen Sie ungestört von den Tagesbesuchern den Bilderreichtum der Fußböden im Chor", wird das Angebot im Internet beworben. Die Teilnehmerzahl ist streng begrenzt, die Termine oft lange im Voraus ausgebucht. Neben nächtlichen Exkursionen gibt es im Touristenprogramm auch andere innovative Angebote, etwa Führungen über die Domdächer. Teilnehmer müssen mindestens 16 Jahre alt sein, außerdem "höhenfest und schwindelfrei".

Katharinenkirche in Oppenheim: Der gotische Bau ist ein Besuchermagnet.

Auch bei den Protestanten hat sich in den vergangenen Jahren viel getan: Wurden die meisten evangelischen Kirchen früher außerhalb der Gottesdienstzeiten kurzerhand abgeschlossen, gibt es seit Jahren eine ständig wachsende Zahl "offener Kirchen". Auf Wunsch der vielen Besucher richten sogar immer mehr protestantische Gotteshäuser Andachtsecken nach katholischem und orthodoxem Vorbild ein, in denen Kerzen entzündet werden können.

Vor allem kleinere Kirchen fürchten sich aber aus Angst vor Diebstählen und Vandalismus noch immer vor der Entscheidung, ihre Türen zu öffnen. Tatsächlich werden gelegentlich Spendenkästchen aufgebrochen oder auch einmal eine Altarbibel gestohlen. "Es wird bei uns auch geklaut", sagt Tabea Frey über ihr Ulmer Münster, "aktuell vermissen wir eine Kirchenbank." Gemessen an den Besucherzahlen halten praktisch alle offenen Kirchen die Risiken aber für überschaubar.