Kaum hat Maxi Rodriguez am Mittwoch in Brasilien den entscheidenden Elfmeter im Halbfinale gegen die Niederlande geschossen, bricht in ganz Argentinien ohrenbetäubender Jubel aus. Die Menschen reißen die Fenster auf, stürmen auf die Balkone und die Straßen, tanzend, schreiend, Fahnen schwenkend. Endlich, nach 24 langen Jahren, steht Argentinien wieder im Finale einer Fußvallweltmeisterschaft. In der Hauptstadt Buenos Aires wurde bis weit nach Mitternacht gefeiert, wie überall im Land.
Fußball, Geld und Macht sind eng verflochten
Die Freude stellt den Ärger über die Teuerungsrate und die Angst um die Arbeitsplätze in den Schatten, die viele Argentinier angesichts des Wachstumseinbruchs im Moment quält. Deutschland zu schlagen sei nicht unmöglich, orakelt Alt-Fußball-Star Diego Maradona mit Blick auf das Endspiel am Sonntag. Argentinien ist fußballverrückt - und Buenos Aires ist die Welthauptstadt des Fußballs. Nirgendwo sonst gibt es so viele Proficlubs wie in diesem Ballungsraum am La Plata mit 13 Millionen Menschen. Selbst Papst Franziskus ist ordentliches Mitglied beim Hauptstadtverein San Lorenzo.
###mehr-artikel###
Fünfmal stand eine argentinische Nationalmannschaft bereits in einem WM-Finale, zweimal hat sie den Pokal bisher gewonnen. 1986 im Endspiel gegen Deutschland, und zuvor 1978 im eigenen Land, während der blutigen Militärdiktatur, die von 1976 bis 1983 dauerte. Fast 30.000 Menschen wurden verschleppt und getötet, darunter 1977 die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann, Tochter eines bekannten Theologen. Damals nutzten die Generäle das Mega-Event, um ihr Prestige aufzupolieren.
Auch heute sind Fußball, Geld und Macht eng verflochten: Der Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, ein reicher Unternehmersohn, war vor seiner Wahl 2007 zwölf Jahre Präsident von Boca Juniors, einem der wichtigsten Vereine in der Hauptstadt. Und Hugo Moyano, der mit großem Abstand mächtigste Gewerkschaftsführer Argentiniens wurde in der vergangenen Woche neuer Präsident des Vereins Independiente, nachdem er seine Ambitionen auf den Gouverneursposten der Provinz Buenos Aires vorerst begraben musste.
Die Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner schlug einen anderen Weg ein. Unter dem Motto "Fußball für alle" kauft sie seit 2008 alljährlich die Übertragungsrechte für die Spiele der ersten Liga. Seither sind allen Partien live im staatlichen oder privaten Free-TV zu sehen. Die ursprünglich über Werbeeinahmen geplante Finanzierung erwies sich dabei als genialer Kniff: In den Halbzeitpausen laufen ausschließlich Spots mit Staats- und Regierungspropaganda. Die anfangs rund 70 Millionen Euro teuren Rechte, sind im Staatshaushalt 2014 mit inzwischen 127 Millionen Euro veranschlagt.
Die Fernseh-Rechte gehören der Regierung
Geschäfte mit dem berüchtigten Fußballfunktionär Julio Grondona abzuschließen, stört Kirchner nicht. Der heute 82-Jährige ist seit der Diktatur Vorsitzender des argentinischen Fußballverbands AFA und einer der FIFA-Vizepräsidenten. "In meinen 35 Amtsjahren bekam ich schon mehr Klagen an den Hals als Al Capone", kommentiert Grondona die Gerüchte, er sei einer der korruptesten Sportfunktionäre des Landes. "Und niemals wurde ich verurteilt." Aktuell steht sein Sohn Humberto im Zusammenhang mit einem Ticket-Skandal unter Verdacht.
###mehr-links###
Da sich die Kirchner-Regierung die Fernsehrechte an der WM gesichert hat, werden die Spiele fast ausschließlich vom staatlichen Fernsehsender Canal 7 ausgestrahlt. Aufschlussreich sind die Werbespots in den Halbzeitpausen. Mit viel nationalem Pathos und in Torjubelmanier feiern Menschen Erfolge dank der Errungenschaften der zwölf Jahre Kirchner-Ära. Der WM-Sieg wäre der absolute Triumph.
Doch die Präsidentin hielt sich bisher zurück. Ohnehin hat sie alle Hände voll zu tun, um im Streit mit mächtigen US-Hedgefonds um Alt-Schulden zu verhindern, dass Argentinien für zahlungsunfähig erklärt wird oder Umschuldungen platzen. Trotz einer schweren Halsentzündung dürfte sich Kirchner aber den Besuch des Finales gegen Deutschland am Sonntag in Rio de Janeiro nicht entgehen lassen. Damit würde sie Geschichte schreiben: Zusammen mit Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und Bundeskanzlerin Angela Merkel säßen erstmals drei weibliche Staats- und Regierungschefinnen bei einem WM-Endspiel auf der Ehrentribüne.