Foto: Wikimedia Commons / Rudolf Stricker
Der Udenheimer Glockenturm
"Wir woll'n die Glocken hör'n, wir woll'n die Glocken hör'n"
Ein Dorf streitet um sein Kirchengeläut
Nachbarschaftsstreitigkeiten um Kirchenglocken gibt es in der deutschen Provinz regelmäßig. Nicht ganz alltäglich ist, mit welcher Vehemenz eine Ortschaft in Rheinhessen für ihr Glockengeläut kämpft.
12.07.2014
epd
Karsten Packeiser

Innerhalb weniger Minuten ist es aus mit der Ruhe auf dem beschaulichen Dorfplatz von Udenheim. Wo gerade noch Schwalben über den menschenleeren Straßen ihre Runden zogen, haben sich rund hundert Menschen versammelt. Mit Rasseln, Trillerpfeifen und Vuvuzelas machen sie gehörig Radau, denn sie sind richtig wütend.

Es ist die zweite Kundgebung innerhalb von acht Tagen in dem 1.300-Einwohner-Dorf südlich von Mainz. Anlass des Ärgers ist ein Streit um die angebliche Lärmbelästigung durch die Glocken im evangelischen Glockenturm.

"Wenn die Glocken läuten, mussten wir nach Hause kommen"

"Das ist doch eine jahrzehntelange Tradition", sagt Edith Breyer-Melzer, die gerade mit Megafon ihre Nachbarn begrüßt und selbst 28 Jahre lang ganz in der Nähe des Glockenturms gewohnt hat. Wie sich jemand durch den Stundenschlag oder das Feierabendgeläut gestört fühle, könne sie nicht nachvollziehen. Vielen Udenheimern ist der etwa 140 Jahre alte Turm, der separat von der außerhalb gelegenen evangelischen Dorfkirche mitten im Ortszentrum errichtet wurde, ans Herz gewachsen. "Für uns als Kinder war immer klar: Wenn die Glocken läuten, mussten wir nach Hause kommen", sagt Breyer-Melzer.

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Was die Dorfbewohner als "Klang der Heimat" empfinden, werteten rheinland-pfälzische Behörden wie die Kreisverwaltung in Alzey und das Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht in Mainz etwas nüchterner - nämlich als Lärmquelle mit Spitzenwerten von 86,8 Dezibel. Nach Beschwerden einer Anwohnerin hatte es bereits Dämmarbeiten an dem Turm gegeben, doch die reichten ihr nicht aus. In der Folge wurde in Udenheim zunächst der nächtliche Stundenschlag abgestellt und schließlich auch das dreimalige tägliche Polizeigeläut um 11 und 13 Uhr sowie abends zur Feierabendzeit untersagt.

Seit Jahren schon müssen sich Kirchengemeinden und Kommunen in der Bundesrepublik immer wieder einmal mit vergleichbaren Beschwerden und sogar Klagen wegen des Klangs von Kirchenglocken befassen. Überregionales Aufsehen erregte vor einigen Jahren ein Rechtsstreit in Niedersachsen, wo sich eine Nachbarin vergeblich gegen die Orgelmusik aus dem Verdener Dom durch die Instanzen klagte. Eine einheitliche Rechtsprechung gibt es bislang nicht.

"Wenn's nicht passt, dann geh doch fort"

Grundsätzlich reiche die Beschwerde eines einzelnen Bürgers, damit Ämter aktiv werden, heißt es bei der Kreisverwaltung in Alzey. Dass die lärmgeplagte Anwohnerin beim Immobilienkauf den direkt neben ihrem Haus stehenden Glockenturm eigentlich hätte sehen können, spielt dabei zunächst keine Rolle.

In Udenheim hat sich die unmittelbar von dem Konflikt und den Solidaritätsbekundungen der Anwohner betroffene evangelische Kirchengemeinde bislang nicht zur Situation geäußert. Gemeindepfarrer Kurt Rainer Klein gibt sich äußerst wortkarg: "Kein Kommentar!" Dafür haben sich die Dorfbewohner für ihre zweite Kundgebung Beistand aus der Landeshauptstadt geholt. Fastnachtslegende Andreas Schmitt ("Obermessdiener vom Mainzer Dom") schmettert den Demonstranten eine Büttenrede entgegen und wendet sich unter Johlen und Beifall auch direkt an die Beschwerdeführerin: "Wenn's nicht passt, dann geh doch fort."

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Der Abend in Udenheim endet mit einer überraschenden Nachricht. Eine Fachfirma habe die Dämmung nochmals verstärkt, die Glocken ertönten nun wieder rund um die Uhr. Nun sei es an der Nachbarin, diesen Kompromiss zu akzeptieren und den Streit zu beenden, fordern die Demonstranten. "Wir woll'n die Glocken hör'n, wir woll'n die Glocken hör'n", singt die Menge. Und einige ältere Damen wollen endlich wieder schlummern können. Sie klagten über Schlafstörungen, nachdem der jahrzehntelang gewohnte Stundenschlag ausgeblieben war.