Tor für Deutschland! Oder auch nicht! Wie auch immer, die ganze Nation sitzt gebannt vor den Fernsehern, Fußball-WM in Brasilien. Wie viele Ecken, Elfmeter, gelbe und rote Karten, und was waren die spektakulärsten Aktionen auf dem Rasen? Ganz selten erfahren Fernseh-Zuschauer etwas darüber, was auf den Tribünen oder rund um die Stadien passiert. Über Homophobie, Antisemitismus oder Rassismus rund um den Fußball wird im TV so gut wie nicht berichtet. Löbliche Ausnahme ist die 30-Minuten-Reportage von Lars Ohlinger, die aber nicht auf den gängigen Sportberichtssendeplätzen läuft, sondern auf dem Sendeplatz "Gott und die Welt" der ARD.
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"No to racism!" Jede Fußballübertragung der Champions League beginnt mit dem Uefa-Spot, in dem Europas Spitzenspieler gegen Rassismus protestieren. Die Realität sieht aber oft anders aus, auch in deutschen Stadien. Im Film von Lars Ohlinger kommt etwa der schwarze Fußballspieler Danny Da Costa vom FC Ingolstadt zu Wort: "Schwarzes Schwein! Da war ein ganzer Block. Immer wenn ich am Ball war, kamen rassistische Beleidigungen. Man wird relativ häufig beschimpft im Stadion, gerade von gegnerischen Fans. Nachdem ich einen Zweikampf gewonnen hatte, kam dann: Haut doch mal den Scheiß-Nigger um oder so was."
Rückhalt in der Mannschaft, aber nicht bei allen Fans
In seiner Ingolstädter Elf genießt der U21-Nationalspieler Danny Da Costa Rückhalt. Auf den Tribünen aber scheint das nicht so zu sein. Die Täter müssen dabei kaum mit einer Bestrafung rechnen. Beweismaterial durch Video- oder Tonaufnahmen gibt es in der Regel nicht. Am Ende steht Aussage gegen Aussage.
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Auch vor Top-Spielern macht der Rassismus nicht halt. Vor kurzem wurde Dani Alves, brasilianischer Nationalspieler und Star in der Abwehr des FC Barcelona, attackiert. Er wurde mit einer Banane beworfen, die er geistesgegenwärtig aufaß, bevor er seinen Eckball gegen Villarreal schoss. Die Szene ging via Facebook um die Welt. Humor sei die beste Art und Weise, mit Rassismus im Sport umzugehen, sagte Alves nach dem Spiel.
Ähnliche Erfahrungen musste auch der aus Ghana stammende Gerald Asamoah machen. Über 40 Mal trug er das Trikot der DFB-Auswahl. Er war der erste farbige Nationalspieler Deutschlands überhaupt. Auch bei der WM 2006 kickte Asamoah für die Bundesrepublik. Doch nur einige Wochen später in einem Spiel gegen Rostock um den DFB-Pokal zeigt sich, dass nicht alle glücklich über andersfarbige Spieler im Stadion sind. "Uhuhuhu"-Rufe und andere rassistische Beleidigungen des Rostocker Anhangs trafen ihn dieses Mal besonders. Damit hatte er kurz nach der WM nicht gerechnet.
Vereine verschweigen das Thema Rassismus zu häufig
"Ich hab das lange nicht mehr erlebt und heute war wieder der Anfang. Es ist einfach schade, dass bestimmte Leute das einfach nicht kapieren wollen, und deshalb muss man drauf Scheißen", sagt Asamoah in einer älteren Archivaufnahme.
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Asamoah engagiert sich bis heute aktiv gegen Rassismus im Fußball, aber solche Beleidigungen in deutschen Stadien ignorieren, das tun immer noch viel zu viele. Der Saarbrücker Fernsehjournalist Lars Ohlinger will das Thema deshalb auch mit seinem Film mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit holen. Doch gerade von den Vereinsfunktionären wird er dabei kaum unterstützt.
"Ich habe mit vielen Verbänden gesprochen. Da besteht noch eine Mauer des Schweigens. Es besteht eine Scheu, weil man das Image des Vereins beschmutzt sieht. Im Film ist Energie Cottbus ein Beispiel von mehreren. Das gibt es auch in Vereinen der 1. Bundesliga. Auf der anderen Seite hat man Angst, den Kontakt mit den Fans kaputt zu machen", schätzt Ohlinger ein.
Zwar gibt es in vielen Vereinen Antirassismus-Kampagnen. Auch Fanbeauftragte äußern sich kritisch im Film. Nur das reicht offensichtlich nicht, um dem Problem Herr zu werden. Denn nach Einschätzung des Filmemachers erlangen Alt-Hooligans und die Neonazi-Szene in den letzten Jahren immer mehr Macht in den Stadien, von den unteren Ligen bis in die Bundesliga. Auch sind die meisten Vereine weder interessiert, sich aktiv damit auseinanderzusetzen, noch sind sie es gewohnt, dass Journalisten kritisch nachfragen.
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"Das war ganz gut, dass ich aus einem anderen journalistischen Bereich komme. Wenn man sagt, ich bin jetzt nicht der normale Sportjournalist, dann wissen Spieler wie auch Vereinsverantwortliche, mit dem kann man vielleicht auf eine andere Art und Weise sprechen. Sie wissen, dass es jetzt durchaus auch kritischer werden kann", beschreibt Lars Ohlinger, der eben kein Sport-Journalist ist.
Schon verwunderlich, dass die 30-Minuten-Reportage über Rassismus im deutschen Fußball gerade auf dem ARD-Religionssendeplatz "Gott und die Welt" läuft. Das Material hätte noch wesentlich mehr hergegeben. Ohlinger überlegt, ob er noch mit einem Film über Antisemitismus oder Homophobie in deutschen Stadien nachlegen soll.
Ausverkaufte Stadien und Werbeverträge scheinen wichtiger als umfassende Berichte
Kümmern sich Sportjournalisten also wirklich nur um höher, schneller, weiter? Lars Ohlinger will keine Kollegen-Schelte betreiben, aber die normalen Berichte rund um den Fußball scheinen auch ihm ziemlich einseitig zu sein: "Sportreportagen, die kritisch hinterfragen, was in der Branche passiert, gibt es sehr wenige. Ich verstehe aber meine Kollegen auch. Es ist in letzter Zeit immer schwieriger geworden, an Spieler und Verantwortliche heranzukommen. Da will man sich den Kontakt mit kritischen Fragen nicht kaputt machen."
Gerade Vereine sind aber auch an nur positiver Berichterstattung interessiert. Für sie geht es um möglichst ausverkaufte Stadien und lukrative Werbeverträge. Dabei nehmen Sportübertragungsrechte einen nicht unerheblichen Teil des öffentlich-rechtlichen Budgets ein. Hätten die Zuschauer da nicht auch ein Recht auf eine umfassendere Berichterstattung rund um die Stadien? Justus Demmer, Sprecher des Rundfunk Berlin Brandenburg, wehrt Kritik ab. Sport-Berichterstattung sei eben nicht Sporttribünen-Berichterstattung, sagt er. Gerade die unangenehmen Seiten des Fußballs aufzudecken, sei Sache des ganzen Senders und nicht nur der Sportredaktion.
"Ich halte es für gefährlich, zu sagen, Rassismus oder Homophobie sei allein ein Sportproblem. Der Nazi wird ja nicht zum Nazi, wenn er ins Stadion tritt. Und der Schwulenhasser wird ja nicht zum Schwulenhasser, wenn er Fußball sieht, sondern die nehmen ihr Problem mit ins Stadion und tragen es auch wieder raus. Das ist eine Aufgabe an alle Redaktionen, sich damit auseinanderzusetzen", sagt rbb-Sprecher Justus Demmer.
Lars Ohlingers Reportage ist hier in der ARD-Mediathek zu sehen.