Als er nach Majdanek eingeliefert wird, drehen sich die Gedanken des kleinen Jozef Psuik noch um sein Holzpferdchen, das er an einer Schnur hinter sich herzieht. Darum, ob er es wird behalten können. Doch ein Mann in Uniform reißt es dem polnischen Jungen aus der Hand. Drei Monate später ist er schwer krank, abgemagert bis auf die Knochen. "Zu essen gab es meist Kohl und Kartoffeln, gedüngt mit der Asche aus dem Krematorium", erinnert sich Jozef Psuik, der heute nicht weit von dem ehemaligen Lager entfernt wohnt.
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Er war fünf Jahre alt, als er im Frühjahr und Sommer 1943 in einer Baracke hinter Stacheldraht lebte, zusammen mit seinen Eltern. Bei den Feierlichkeiten zur Auflösung des Lagers am 22. Juli wird er dabei sein. Das "Konzentrationslager Lublin", so der offizielle Name, war das erste deutsche Vernichtungslager, das vor 70 Jahren von der Roten Armee befreit wurde. Die Sowjets fanden noch etwa 1.000 Überlebende, als sie am 23. Juli 1944 nach Majdanek kamen. Schon seit April hatten Tausende Häftlinge das Lager auf qualvollen Fußmärschen verlassen müssen.
Es waren auch Soldaten der Roten Armee, die das Lager auf deutschen Befehl erstellt hatten - Kriegsgefangene. Im Herbst 1941 wurden sie in das besetzte Polen gebracht, um ein Arbeitslager für die deutsche Rüstungsindustrie zu bauen, die sich nahe der ostpolnischen Großstadt Lublin angesiedelt hatte.
Vom Vernichtungslager zum Museum
Als Arbeitskräfte deportierte die SS zumeist Juden aus der Region sowie katholische Polen, die ihre Dörfer verlassen mussten, um sogenannten "Volksdeutschen" aus Rumänien Platz zu machen. Einer von ihnen war Jozef Psuik. Von den rund 150.000 Menschen, die nach Majdanek kamen, wurden dort etwa 80.000 erschossen oder vergast, die meisten von ihnen Juden.
Durch die überhastete Flucht der deutschen Lagerleitung im Juli 1944 blieben die Gebäude des KZ größtenteils erhalten. Bereits im November 1944 wurde das Gelände von der provisorischen polnischen Regierung in Lublin als Museum eröffnet, Polen aus der Umgebung waren die ersten Besucher. Währenddessen lief im weiter westlich gelegenen Auschwitz noch die Vernichtungsmaschinerie bis zum Januar 1945.
Schon im August 1944 kamen Journalisten aus verschiedenen Ländern nach Majdanek. Die populäre US-Zeitschrift "Life" veröffentlichte einen Artikel unter dem Titel "Begräbnis in Lublin" - und mit Fotos, die das Grauen in der westlichen Welt bekanntmachten.
Heute sehen Besucher am Rand von Lublin hölzerne Wachtürme, eine Umzäunung aus Stacheldraht, einen Teil der ehemals 100 schwarzen Baracken, ein Holzgebäude mit der Aufschrift "Bad und Desinfektion" mit einer Gaskammer sowie ein Krematorium. Jozef Puiks Mutter habe damals dorthin gewiesen, erzählt er: "Wenn Du nicht brav bist, kommst Du dorthin." Sie wollte so ihren Sohn davon abzuhalten, gefährlichen Wärtern zu nahe zu kommen.
Suche nach ehemaligen Häftlingen und Wärtern läuft weiter
Bekannt ist Majdanek für die Prozesse gegen ehemalige Wärter und Wärterinnen. Die ersten fanden bereits im November 1944 in Lublin statt, bei den Majdanek-Prozessen in Düsseldorf sprach die deutsche Gerichtsbarkeit 1981 umstritten milde Urteile gegen die 16 Angeklagten.
Noch heute wird gefahndet. Die Behörde zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg übergab erst im Mai die Akten von 20 ehemaligen Wärtern in Deutschland der Staatsanwaltschaft. Geholfen bei der Recherche hatte das staatliche Museum Majdanek.
Dort sucht man auch nach ehemaligen Häftlingen. "Etwa 100 Menschen werden als Betroffene zu den Feierlichkeiten eingeladen, das sind Überlebende und ihre Angehörige", sagt Sprecherin Agnieszka Kowalczyk-Nowak.
Krankheiten retteten ihm das Leben
Jozef Psuik wird dann mit seinen 76 Jahren einer der jüngsten Überlebenden sein. Er sollte im Sommer 1943 mit seinen Eltern zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert werden. Doch aufgrund seiner Krankheiten kam er in ein Lubliner Spital, wo er knapp überlebte. Mit seinen Eltern harrte er in einer Hütte nahe des Dorfes aus, aus dem er deportiert worden war, beinahe wären sie verhungert.
Heute ist Psuik ein vitaler Mensch, der gern von seiner Zeit als Techniker bei polnischen Flugbetrieben oder von den beruflichen Erfolgen seiner beiden Töchter in London erzählt. Auch freut er sich über die Annäherung von Deutschland und Polen. Wenn er jedoch auf Majdanek zu sprechen kommt, dann wandelt er sich, wird fahrig, spricht stockend - wofür er sich entschuldigt: "Dieses Syndrom, das haben wir alle, die dort waren, das lässt einen nicht mehr los."