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TV-Tipp des Tages: "Giulias Verschwinden" (Arte)
TV-Tipp des Tages: "Giulias Verschwinden", 30. Juni, 20.15 Uhr auf Arte
"Alt werden ist nichts für Feiglinge", hat die Schauspielerin Mae West mal festgestellt; eine Erkenntnis, die im Zeitalter des verordneten Jugendwahns sympathisch trotzig klingt. Wie alles im Leben aber ist auch Altsein natürlich eine Frage des Standpunkts:

Für den Greis sind Menschen um die fünfzig junge Hüpfer, für den Teenager gehören die eigenen Eltern schon zum alten Eisen; und der Sponti-Spruch "Trau’ keinem über 30" ist mittlerweile auch schon über vierzig.

Von der Jugend bis zum hohen Alter

In seinem Drehbuch für den Film "Giulias Verschwinden" nimmt der Schweizer Schriftsteller Martin Suter ("Lila, lila", "Die dunkle Seite des Mondes") in munterem Wechsel die verschiedenen Perspektiven ein, von der Jugend bis zum hohen Alter. Die Titelheldin (Corinna Harfouch) ist im Grunde nur ein Vorwand, um die anderen Personen einzuführen. Suter konzentriert die Handlung auf den Abend des Tages, an dem Giulia fünfzig wird; und doch gelingt es ihm, vom ganzen Leben zu erzählen. Auf dem Weg in das Restaurant, in dem sich Giulia mit Freunden treffen will, hat sie ein Schlüsselerlebnis. Im Bus übersieht sie eine alte Frau, die das jedoch mit Fassung trägt: Im Alter werde man halt unsichtbar. Giulia denkt nicht weiter darüber nach, muss kurz drauf allerdings irritiert feststellen, dass sie in der Scheibe des Busses zwar die Spiegelbilder der jüngeren Fahrgäste, aber sich selbst nicht mehr sieht (tricktechnisch ein verblüffender Effekt). Derweil plappern zwei junge Mädchen mit unbekümmerter Ahnungslosigkeit über das Älterwerden.

Zentrale Figuren der Geschichte aber sind Giulias Freunde. Da die Jubilarin dem charmanten Werben einer Zufallsbekanntschaft namens John (Bruno Ganz) nachgegeben hat und sich in einer Bar vor der Feier drückt, vertreibt sich die Gruppe, ebenfalls alle um die fünfzig, die Zeit mit dem Austausch von Krankheitsgeschichten, Rezepten gegen vorzeitiges Altern und Gemeinheiten. Diese Gespräche sind das Herzstück des Films. Der Schweizer Regisseur Christoph Schaub und sein Bildgestalter Filip Zumbrunn haben sie mit zwei Kameras gedreht: eine für die Dialoge, die andere für die Atmosphäre. Auf diese Art konnten die Schauspieler (unter anderem Stefan Kurt, Sunnyi Melles, Teresa Harder, Max Herbrechter) fast wie auf der Bühne agieren; die entsprechenden Szenen sind zum Teil an die zehn Minuten lang.

Da die Feierrunde mit ihren mehr oder weniger existenziellen Problemen den Kern der Handlung bestreitet, wirken die Ausflüge zu den anderen Menschen aus dem Bus fast wie Exkurse: Die beiden Teenager gehen auf Diebestour, um ein Geschenk für einen Freund zu klauen, werden dabei erwischt und landen bei der Polizei. Die alte Frau wiederum ist ebenfalls zu einer Feier eingeladen: Eine Freundin (Christine Schorn) wird achtzig und brüskiert nahezu sämtliche Anwesenden mit unbequemen Wahrheiten; erst fliegen Bosheiten, dann Tortenstücke. In elegant inszenierter Beiläufigkeit finden sich schließlich alle handelnden Figuren zum Finale im Restaurant ein, wo ihnen Giulia die Aufwartung macht, bevor sie endgültig mit John in der Nacht verschwindet.

Mitunter nerven zwar gerade die Fünfziger mit ihrem altersbedingten Selbstmitleid; vor allem, wenn man ihr Gejammer nicht teilen kann (oder will). Schauspielerisch aber ist das vorzüglich; Schnitt und Regie konterkarieren die verbalen Gebrechlichkeiten der Figuren mit virtuoser Leichtigkeit. Deshalb seien den Machern dieses in Zürich, aber auf Hochdeutsch gedrehten Films auch einige Eitelkeiten verziehen. Suter erweist sich selbst die Ehre, als die alte Frau von ihrer Tochter das Hörbuch zu seinem Roman "Der letzte Weynfeldt" bekommt; möglicherweise auch eine Referenz des Regisseurs, von der der Autor gar nichts wusste. Die Achtzigjährige weist die CD übrigens empört zurück: Sie brauche keinen Vorleser, weil sie noch sehr gut selbst lesen könne. Das glaubt man ihr aufs Wort: Christine Schorn war zur Zeit der Dreharbeiten 65.