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Staat und Kirche sind in Deutschland nicht ganz voneinander getrennt.
Die Politisierung der Reformation und der Mut zur Lücke
Von Luthers Zwei-Reiche-Lehre bis zum EKD-Reformationspapier: Eine Nürnberger Konferenz blickt auf das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland.
28.06.2014
epd
Bernd Buchner

Staat und Kirche: Das brisante Begriffspaar lässt an Luthers Zwei-Reiche-Lehre denken, die als Ursprung des deutschen Untertanengeistes gilt. In den Sinn kommt auch die "hinkende Trennung" beider Bereiche in der Gegenwart oder die berühmte These des Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der weltliche demokratische Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren könne - nämlich von der ethischen Kraft der Religion, zumal des Christentums.

All diese Aspekte versuchte die Konferenz "Staat in Deutschland und evangelische Kirche" in den Blick zu nehmen, die am Freitag in Nürnberg zu Ende ging. Auf Einladung des örtlichen Kulturreferats, Bayerns Kultusministerium und der staatlichen Geschäftsstelle "Luther 2017" diskutierten mehr als 100 Fachleute über das Verhältnis von Staat und Kirche - mit historisch-theologischer Kompetenz, Streitlust und auch mit Mut zur Lücke, was nicht verwunderlich ist angesichts des halben Jahrtausends, das seit der Reformation vergangen ist.

Lutherisch deftige Kritik am EKD-Papier

Einen Schwerpunkt der Tagung bildete die Zeit des 16. Jahrhunderts selbst. Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann legte die verschiedenen, ineinander wirkenden Reformprozesse der Lutherzeit dar, während der Berliner Historiker Heinz Schilling auf den "mächtigen Partikularisierungsschub" hinwies, der in Europa bereits lange vor der Reformation "die Zeit umgepflügt" habe. Diese Differenzierung habe die Papstkirche noch immer nicht anerkannt, urteilt der Lutherbiograf - eine Aufgabe für die Ökumene von heute.

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Schilling lobte Luthers Verdienste um die Bürgerrepublik der Neuzeit. Hingegen verwies der Jenaer Historiker Georg Schmidt auf die Politisierung der Reformation: Rasch hätten die Fürsten die theologischen Kontroversen für ihre eigenen Zwecke genutzt. Schmidt kritisierte Luthers in der Zwei-Reiche-Lehre angelegten Appell zur Untertänigkeit. Mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 riet er: "Lassen wir den Luther, den sich der deutsche Nationalstaat geschaffen hat, auf sich beruhen."

Lutherisch deftig ging es zu, als die Sprache auf das Papier "Rechtfertigung und Freiheit" kam, das die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) jüngst vorlegte. Kaufmann und Schilling, die darin eine Redogmatisierung der Reformationsgeschichte erkennen wollen, verschärften ihre Kritik noch. Kaufmann sprach von einem "dürftigen Dokument", Schilling gar von "Märchen". Ob der Wissenschaftliche Beirat von "Luther 2017", in dem Staat und Kirchen zusammenarbeiten, einen eigenen Text vorlegen will, ließen die Historiker indes offen.

Die Trennung hinkt immer noch

Politische und mentale Differenzen, wie sie in dem Streit um das EKD-Papier offenbar werden, prägten auch die Entwicklung der Konfessionen seit dem 16. Jahrhundert. Die Milieubildung hatte in der jüngeren Geschichte erhebliche Folgen: Während sich etwa die Katholiken nach dem Fall der Hohenzollernmonarchie am Aufbau des Weimarer Staates beteiligten, lehnte die evangelische Kirche die Demokratie mehrheitlich ab, wie der Münchner Kirchenhistoriker Harry Oelke unterstrich - entsprechend euphorisch seien viele Protestanten ins "Dritte Reich" gegangen, auch wenn die Ernüchterung auf dem Fuß gefolgt sei.

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Die Abschaffung des Staatskirchentums 1918 war indes nur halbherzig erfolgt, wie aus den Darlegungen Oelkes sowie des Gießener Kirchenhistorikers Martin Greschat hervorging, der über die Rolle der EKD in der Bundesrepublik sprach. Heute sind die Kirchen Körperschaften öffentlichen Rechts, der Staat zieht Steuern für sie ein, Religion ist Schulfach, es gibt Seelsorge in Kliniken und Gefängnissen. Schon in der Weimarer Republik sprach man von einer "hinkenden Trennung", etwa im Gegensatz zur strikten Scheidung von Staat und Religion im laizistischen Frankreich.

Greschat verwies zugleich auf die verbreitete religiöse Indifferenz in Deutschland. Ein ernüchterndes Fazit zog diesbezüglich Sachsen-Anhalts Kultusminister, der Theologe Stephan Dorgerloh (SPD): Die Reformation sei im öffentlichen Bewusstsein des 21. Jahrhunderts kaum noch präsent und kein Maßstab für die Politik von heute. Angesichts des bevorstehenden Jubiläumsjahres 2017 antwortete Schilling: Es gebe in der Reformation durchaus Elemente, "die für die moderne, zivilbürgerliche Gesellschaft wichtig sind".