In Syrien und Irak kämpft die radikal-sunnitische "Isis" in Syrien und Irak gerade gegen die eigenen muslimischen Glaubensgeschwister der Schiiten. In der Zentralafrikanischen Republik metzeln sich christliche und muslimische Milizen gegenseitig ab. In Nigeria entführt die muslimische Boko Haram Mädchen und tötet Menschen. In Pakistan sind radikalmuslimische Morde an Minderheiten etwa auch gegen die muslimische Ahmadiyya ein Dauerbrenner.
Die Welt scheint also voll von Konflikten, die sich an Religion entzünden. Aber diese Konflikte seien nur vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Umbrüche in den jeweiligen Ländern zu verstehen, sagte Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, auf der gemeinsamen Veranstaltung der Europäischen Kommission in Deutschland, der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin.
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Nigeria zum Beispiel: Boko Haram ist eine Gefahr für die Menschen dort, aber nur in Gegenden großer wirtschaftlicher Ungleichheit. In anderen Teilen Nigerias würden Christen und Muslime bis heute durchaus friedlich und konstruktiv bei der Malariabekämpfung zusammenarbeiten, berichtet Bielefeldt.
Weniger Schlagzeilen als Boko Haram macht die Gewalt von Hindu-Nationalisten gegen Muslime und Christen auf dem indischen Subkontinent. In Sri Lanka gehen gar buddhistische Mönche gewaltsam gegen Nicht-Buddhisten vor, und oft würden solche Untaten in den jeweiligen Ländern von den Machthaben toleriert - aus politischen Gründen. Bielefeldt nennt als Beispiel Ägypten: "Oft sind es nicht-staatliche Akteure, die durch das Nicht-Handeln des Staates ermutigt werden. Feuerwehr und Polizei kommen nicht oder viel zu spät, wenn koptische Kirchen brennen", sagt Bielefeldt.
Bei allen diesen Konflikten sei Religion aber nur ein Faktor, selten aber die Hauptursache. Es gibt "keine klassischen Täter- und Opferreligionen": Wer behaupte, der Islam sei meist aggressiv gegen andere Religionen, der Buddhismus aber grundsätzlich friedlich, der kenne sich in der Welt schlicht nicht aus, machte Bielefeldt klar. Schon gar nicht gebe es Jahrtausende alte Wurzeln für Gewalt, als müssten sich etwa Juden und Muslime zwangsläufig quasi religionsgenetisch bedingt feindlich gegenüber stehen. Vor solchen gottgegebenen Fatalisierungen warnt Bielefeldt ausdrücklich, weil sie jede politische Lösung aussichtslos erscheinen lassen.
Politische Lösungen sind möglich
Politische Lösungen sind aber möglich: "Es gibt Gegenstimmen. Die gilt es zu stärken! Denn Religionen sind in sich immer auch Diskursuniversen und -felder. Warum kann Hass-Propaganda in manchen Ländern fruchtbar irre Blüten treiben und woanders nicht? In Sierra Leone zum Beispiel gab es einen furchtbaren Bürgerkrieg, jetzt reden alle Volks- und Religionsgruppen konstruktiv und friedlich miteinander. Im geografisch nahen Nigeria aber herrscht Gewalt", erklärt Bielefeldt.
Der Menschenrechtsexperte erklärt das mit einer massiven Vertrauenskrise. Wenn die Polizei wie die Mafia auftritt oder gute Noten in der Schule nur erreicht werden können, wenn man Lehrer schmiert, dann sei ein Klima des Misstrauens in staatliche Institutionen erreicht. Hinzu komme dann ein Kommunikationsabbruch zu anderen Gruppen. Es gebe dann nur noch ein Vertrauen auf die eigenen Netzwerke und die eigene Religion.
Will man also etwas gegen die Gewalt tun, dann brauche es möglichst bereits im Vorfeld viel interreligiöse Kommunikation. Nicht als akademisch abgehobenen Elitendiskurs, sondern als einen Prozess, der möglichst alle Glieder der Gesellschaft umfasse. So gebe es zum Beispiel hoffnungsvolle Zeichen in Zypern, in der die Kriegsstimmung zwischen Türken und Griechen, Muslimen und Christen allmählich aufbreche.
Öffentlicher Protest gegen Hass ist entscheidend
Dazu müsse es zu Institutionsbildungen kommen. Ob in Schulen, Universitäten oder in Betrieben sollten möglichst viele Wissens- und Austauschprogramme zwischen den jeweiligen Religionsvertretern initiiert werden. "Hate speech", also Hassreden und -predigten, sollte grundsätzlich verboten und geahndet werden. Es brauche daher eine breite zivilgesellschaftliche Solidarität mit Minderheiten, damit Provokateure nicht behaupten können, sie würden im Namen der schweigenden Mehrheit handeln und sprechen, meint Bielefeldt.
Dem stimmt auch Thomas Schirrmacher zu, Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit in Bonn. Wichtig sei eben der öffentliche Protest gegen Verbreitung religiösen Hasses. Als der us-amerikanische Prediger Terry Jones etwa eine öffentliche Koranverbrennung ankündigte, hätten gerade christliche Gruppen weltweit das mit ihrem massiven Protest zu verhindern gewusst. Gerade islamische Organisationen und praktizierende Scharia-Richter würden Briefe gegen völlig überzogene Scharia-Todesurteile schreiben.
Die Christin Mariam Jahia Ibrahim Ischag etwa ist wegen Gotteslästerung im Sudan zum Tode verurteilt worden. Ihr wird der Abfall vom Islam vorgeworfen. Der internationale Protest, vor allem der innerislamische, könnte jetzt eine große Hilfe und ein adäquates Signal für Menschenrechte und Religionsfreiheit setzen, wenn man den Gedanken Schirrmachers weiterführt.
Korruption ist ein "Brandbeschleuniger"
Auch Tom Koenigs, Mitglied des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen, setzt auf Prävention: "Wir können uns heute keine vernachlässigten Regionen mehr leisten. Der Knall ist heute global, irgendwann kommt der Konflikt auch zu uns. Korruption ist so ein Brandbeschleuniger. Mullah Omar begann in Afghanistan seine blutige Karriere damit, dass er Polizisten erschlug, die vorher ein Mädchen vergewaltigten. Ein weiterer Brandbeschleuniger sind Waffenexporte", warnt der grüne Menschenrechtspolitiker.
Nicht nur Kirchen und andere Nichtregierungsorganisationen könnten viel zur Befriedung der Welt beitragen, indem sie sich gegen Korruption und religiösen Hass aussprechen. Auch die Staaten müssten wesentlich mehr auf Verbesserungen drängen. Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, nimmt damit auch seine Politikerkollegen in die Pflicht: "Das sind langfristige Prozesse. Die EU leistet mit 60 Prozent Anteil die meiste Entwicklungshilfe in der Welt. Also kann die EU auch ihren Einfluss geltend machen."