Bundespräsident Joachim Gauck hat die Debatte über Auslandseinsätze der Bundeswehr neu entfacht. Im Kampf um die Menschenrechte sei es manchmal erforderlich, zu den Waffen zu greifen, sagte er Mitte Juni in einem Radiointerview. Prompt erntet Gauck Widerspruch, vor allem von zwei Ost-Berliner Pfarrern, Klaus Galley und Siegfried Menthel. Sie warfen dem Bundespräsidenten in einem Protestbrief vor, sich von den Idealen der christlichen DDR-Friedensbewegung abzuwenden.
Ihr Brief, aus dem die "Bild"-Zeitung am Montag zitierte, sollte ursprünglich zeitgleich mit der Übersendung an Gauck erst am kommenden Montag veröffentlicht werden, sagte Menthel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er entschuldigte sich bei Gauck, dass der Brief vorab öffentlich geworden sei. Wer das Schreiben weitergegeben habe, könne er sich nicht erklären. Die Unterschriftensammlung soll bis Montag weitergehen.
Sie sind aber nicht die einzigen, die Kritik an Gaucks Äußerungen aussprechen. Auch Konfliktforscher und Entwicklungsexperten sehen Militäreinsätze etwa in Afrika sehr kritisch. "Es ist so einfach zu sagen, wir schicken mal das Militär, aber das ist nicht der richtige Zugang", urteilt Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. "Man muss die Ursachen für einen politischen Konflikt bekämpfen."
Aber das politische System eines Landes zu ändern, sei ein langsamer und fragiler Prozess. Man müsse die Lage genau analysieren und mit Diplomatie und Entwicklungshilfe reagieren. Hinter den militärischen Einsätzen sieht Erhart kein funktionierendes politisches Konzept, "und die Entwicklungshilfe leidet darunter."
Militärstrategie und Bundespräsidenten: keine gute Kombination
Manchmal leidet auch ein Bundespräsident darunter. Horst Köhler, Gaucks Vor-Vorgänger, war im Mai 2010 zurückgetreten, nachdem seine Position zu Militäreinsätzen öffentlich stark kritisiet wurde. Köhler hatte damals in einem Interview im Deutschlandfunk gesagt, "dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern".
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Bundespräsident Joachim Gauck hatte in seinem Interview gesagt, im Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen "ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen". Militärische Mittel solle man nicht von vornherein verwerfen. Schon bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Januar hatte Gauck für eine Außenpolitik des Eingreifens statt des Wegsehens plädiert.
Mit seiner Meinung steht Gauck in der Politik nicht allein. Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagten, Deutschland werde sich in Zukunft stärker bei internationalen Interventionen mit Soldaten und Waffen beteiligen, "schon aus humanitären Gründen."
Doch die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel, wertet Militäreinsätze eher als Gefahr. So gerieten zivile Helfer aus Deutschland in einem Krisenland oftmals zwischen die Fronten, wenn die Bundeswehr auch dort vertreten sei: "Sie werden von den Menschen vor Ort als Konfliktpartei und nicht als neutral wahrgenommen." Eine Befürchtung, die auch "Ärzte ohne Grenzen" teilt: "Letztendlich führen solche Entwicklungen sogar dazu, dass Organisationen in vielen Regionen nicht mehr arbeiten können", sagt Frank Dörner, der Geschäftsführer des deutschen Zweigs von "Ärzte ohne Grenzen".
Evangelische Kirche will gerechten Frieden statt gerechten Krieg
Die evangelische Kirche hatte sich zuletzt 2007 ausführlich mit der Frage nach Krieg und Frieden befasst. In der Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen" heißt es: "Auch neue Herausforderungen wie der internationale Terrorismus rechtfertigen keine Wiederbelebung der Lehre vom 'gerechten Krieg'." In der Denkschrift sprach sich der Rat der EKD deutlich "gegen die überkommenen Rahmentheorien des gerechten Kriegs" aus und formulierte "prinzipielle Einwände" dagegen: "In Situationen, in denen die Verantwortung für eigenes oder fremdes Leben zu einem Handeln nötigt, durch das zugleich Leben bedroht oder vernichtet wird, kann keine noch so sorgfältige Güterabwägung von dem Risiko des Schuldigwerdens befreien."
Diese Schuld auf sich zu laden ist insbesondere dann problematisch, wenn der Effekt nicht nachhaltig ist. Laut Füllkrug-Weitzel ist das selten der Fall, wofür Mali ein gutes Beispiel sei: "Die militärische Intervention hat eine vorübergehende Befreiung von Al-Kaida-nahen Kräften gebracht, im Norden ist die Wirkung schon wieder verpufft", sagt die Theologin. Stattdessen habe sich die Sicherheitslage wieder dramatisch verschlechtert, und der Konflikt sei durch regruppierte Milizen komplexer geworden. Die Ursachen blieben ungelöst.
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) betont dagegen immer wieder, die zivile Hilfe werde nicht zu kurz kommen, weil bei der Planung von Einsätzen entwicklungspolitische Strategien mitbedacht würden. "Militärische Einsätze schaffen keinen Frieden", sagte der Minister bereits in seiner ersten Rede nach seinem Amtsantritt im Dezember. Man müsse langfristig für politische Stabilität sorgen, gegen Korruption kämpfen, Bildungsangebote ausbauen und den Schutz der Menschenrechte sichern.
Derzeit 4.500 deutsche Soldaten im Ausland
Doch die Opposition kritisiert die Prioritätensetzung. "In erster Linie wird militärisch gedacht, und im Koalitionsvertrag sind das Zivile und das Militärische auf einer Ebene", kritisiert die entwicklungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, Heike Hänsel. "Wo sind die diplomatischen Bemühungen in Mali, Darfur, Westsahara oder Südsudan? Wo werden in großem Stil lokale Friedensinitiativen unterstützt?"
Derzeit sind etwa 4.500 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Ausland im Einsatz, die meisten davon in Afghanistan. In Afrika beteiligt sich die Bundeswehr an Missionen im Sudan und Südsudan, in Mali und am Horn von Afrika. Einzelne Soldaten sind im Kongo und in der Westsahara.
Nach der Ausweitung des Bundeswehreinsatzes für eine europäische Ausbildungsmission in Mali auf 250 Soldaten kamen Einsätze in Somalia und der Zentralafrikanischen Republik dazu. Konfliktforscher Erhart sieht auch dies kritisch. Ausbildungsmissionen ließen sich besser verkaufen als Kampfeinsätze. "Aber man kann kaum kontrollieren, dass ein Ausbildungseinsatz nicht zum Kampfeinsatz wird", betont er. "Was passiert, wenn man Profis ausbildet und die die Seite wechseln?"