Der Beginn des Sommers wird einsam für Fußballmuffel. Denn in Zeiten von Public Viewing ist Fußball-Schauen längst zum Mannschaftssport geworden. Sei es beim Rudelgucken vor Großleinwänden, vor dem Flachbildschirm in der Stammkneipe oder im Freundeskreis auf der Wohnzimmercouch: Über die Tore von Thomas Müller und Co. jubeln Fans am liebsten gemeinsam. Und wenn Jogis Jungs jetzt in Brasilien kicken, dann sitzen in der Heimat meistens auch diejenigen vor dem Bildschirm, die ihre Abende normalerweise nicht für die Sportschau reserviert haben.
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Wer vom kollektiven Fußballfieber verschont geblieben ist, der ist zu WM-Zeiten schnell um einige soziale Kontakte ärmer - und sitzt an diesem Donnerstag, wenn Deutschland gegen die USA spielt, womöglich allein zu Hause. Ein bitteres Gefühl, weiß Diplom-Psychologin Judith Knausenberger. "Es kann sehr schmerzhaft sein, im Freundeskreis ausgeschlossen zu werden", sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Münster.
Es gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen und selbst die Kontrolle über die sozialen Kontakte zu haben. Wenn man plötzlich nicht mehr zu Treffen im Freundeskreis eingeladen wird, bei denen Fußball geschaut wird, dann kann das wehtun. "Wenn man auch in Gesprächen nicht mehr mitreden kann oder nicht mehr einbezogen wird, ist das ähnlich", sagt Knausenberger. Und wer versucht, sich während eines WM-Spiels zu unterhalten, der merkt schnell: Wenn Mesut Özil einen Angriff aufs gegnerische Tor startet, wird selbst die lustigste Anekdote in den Ohren von Fußballfans zum störenden Nebengeräusch.
Wo findet man Ruhe vor jubelnden Fans?
Besonders schlimm sei Ausgeschlossensein, wenn man in seinem Freundeskreis alleine da stehe, sagt Knausenberger. Deshalb rät die Psychologin WM-Abtrünnigen, sich aktiv mit Gleichgesinnten zu umgeben und gemeinsam Ablenkung zu suchen. Dass es selbst zu WM-Zeiten möglich ist, dem Fußball-Trubel zu entkommen, bestätigt Julie Sengelhoff, Sprecherin des Dachverbandes Tourismus NRW in Düsseldorf. Im bevölkerungsreichsten Bundesland gebe es gerade "zahlreiche Festivals wie die Extraschicht, das Klavierfestival Ruhr, die Landesgartenschau in Zülpich oder die Karl-May-Festspiele, die gar nichts mit Fußball zu tun haben".
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Wer Ruhe vor jubelnden Fans haben will, dem empfiehlt Sengelhoff etwa einen Ausflug in den Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal oder den Sternenpark in der Eifel. Auch beim Wandern oder Fahrradfahren, in Thermen oder Saunen seien am Fußball Uninteressierte sicher ungestört. Der Vorteil: Radwege und Schwimmbäder hat man bei Deutschlandspielen sicher fast für sich alleine.
Dass sich Kulturveranstalter allerdings gezielt Alternativangebote für Fußball-Desinteressierte überlegen, beobacht Sengelhoff nicht. "Im Gegenteil: Es gibt eher vieles, das sich speziell an Fußballfans richtet." Teils richten auch Konzertveranstalter die Anfangszeiten nach den Deutschland-Partien.
Besser mitgucken als einsam bleiben
Ähnlich sei das auch in der Gastronomie, sagt Thorsten Hellweg, Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga in Neuss. "Das Risiko, gar kein Fußball zu zeigen, gehen die meisten Wirte nicht ein", sagt er. In vielen Lokalen stehe zumindest ein kleiner Fernseher - aus Angst, dass sonst die Gäste wegbleiben. Doch auch Hellweg macht Fußballhassern Hoffnung: "Es gibt auch die, die sagen: Das hier ist ein Restaurant, hier wird kein Fußball geguckt."
Genug Ablenkungsmöglichkeiten gibt es also. Psychologin Knausenberger glaubt aber, dass sich die meisten WM-Muffel dennoch über eine Einladung von Freunden zum gemeinsamen Fußballgucken freuen - selbst wenn sie diese dann ablehnen: "Es ist ein Unterschied, ob man selbst entscheidet, nicht hinzugehen, oder ob man gar nicht erst gefragt wird."
Wenn sich dann zum Finale am 13. Juli - möglicherweise unter deutscher Beteiligung - partout keine Alternativ-Beschäftigung findet, sollten WM-Abstinenzler dem Spiel vielleicht doch mal eine Chance geben, rät Knausenberger. "Bevor man alleine ist und sich ausgeschlossen fühlt, ist es möglicherweise besser, es zumindest mal zu versuchen." Vielleicht ist es gar nicht so schlimm.