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Kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt
Die Diskussion um die Ökumenische Sozialinitiative geht weiter
Zu vage, zu unkonkret, zu wirtschaftsfreundlich, zu idealistisch - von vielen Seiten ist die ökumenische Sozialinitiative kritisiert worden. Nach dem offiziellen Kongress in Berlin zu dem Papier war klar: Es gibt noch Gesprächsbedarf, und die Kirchen werden darauf eingehen.

Das Beste kam - wie so oft - zum Schluss: Kardinal Reinhard Marx griff zum Mikrofon und verkündete in der voll besetzten Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin: Die Diskussion um die Ökumenische Sozialinitiative soll noch bis Februar 2015 weitergehen. Die vielen Gastbeiträge, Kommentare, Veranstaltungen und Diskussionen zu dem Papier sollen nicht ins Leere laufen. Am Ende, kündigte der Kardinal an, könnte eine "ökumenische Feststellung" stehen. Kein neues Sozialpapier, aber eine Sammlung von offenen Fragen und von Lösungsansätzen.

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Davon gibt es viele, das zeigte auch der Kongresstag in Berlin. Experten aus Sozialverbänden, Wirtschaft und Politik waren eingeladen, die Sozialinitiative zu reflektieren und die Diskussion weiterzuführen. Alles war dabei: Von der Frage, was ein normales Arbeitsverhältnis ist, über die Vorschriften zur Eigenkapitalquote deutscher Banken und den Bau von Niedrigenergiehäusern bis zur großen Frage: Was ist eigentlich Gerechtigkeit?

Eine einzige Antwort auf all das gab es naturgemäß nicht. Trotzdem gab der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio in einer klugen Rede die Blickrichtung vor, der sich die Teilnehmer beim Kongress weitgehend anschlossen. Di Fabio forderte, den Menschen nicht auf seine wirtschaftliche Funktionalität zu reduzieren und nicht alle Hoffnung in den Wunsch nach naturwissenschaftlicher Weltbeherrschung zu setzen. "Wir erwarten zu viel", mahnte er und lobte die Sozialinitiative als "ein ausgewogenes Papier, das eine Grundlage ist, zu diskutieren und über die ökonomische Blickverengung, unter der wir alle manchmal leiden, hinauszugehen."

"Man kann es nicht allen rechtmachen"

Auch Arbeitsministerin Andrea Nahles bekam viel Zustimmung, als sie sagte: "Die meisten Menschen haben ein ziemlich genaues Gefühl, wo es gerecht zugeht und wo nicht, und trotzdem lassen sich aus diesem Gefühl noch keine allgemeinen Handlungsanweisungen ableiten." Sie selbst werde mit Blick auf das Papier im nächsten Armutsbericht der Bundesregierung das Verhältnis von Reichtum und Chancengleichheit besonders beleuchten.

Das war immerhin ein konkreter Impuls. Andere Fragen blieben offen: Ist es gerecht, wenn die Deutsche Bank und eine regionale Genossenschaftsbank unter den gleichen strengen Auflagen arbeiten müssen, obwohl die kleinen Banken dadurch stärker eingeschränkt werden als die Großbanken? Ist es fair, wenn wir als Deutsche fordern, dass Fabriken in Schwellenländern genauso wenig CO2 ausstoßen dürfen wie Fabriken hierzulande? Helfen 1-Euro-Löhne bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt oder ersetzen sie sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze? Darf man Windkraftanlagen in Naturschutzgebiete stellen?

"Man kann es nicht allen rechtmachen", stellte Hildegard Müller, Sprecherin des Sachbereichs Wirtschaft und Soziales des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, am Nachmittag fest. Hans Diefenbacher, Beauftragter des Rates der EKD für Umweltfragen, ergänzte in der gleichen Diskussion, Kirche könne immerhin darauf hinweisen, an welchen Punkten konstruktiv gearbeitet werden solle. So wünschte es sich auch der katholische Sozialethiker Bernhard Emunds: "Meine Bitte ans Sozialpapier: Sich auf wenige Punkte konzentrieren und dann Fragen stellen!"

Deutlicher für die eine oder andere Seite entscheiden

Genau das soll jetzt passieren, nachdem die Sozialinitiative den ersten Aufschlag gemacht hat. "Der Text sollte ein Impulstext sein", betonte Kardinal Marx, und der Kongress in Berlin "kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt". "Die Diskussion um die Sozialinitiative nimmt jetzt erst richtig Fahrt auf", unterstützte ihn der bayrische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Er wies auch darauf hin, dass auch der Konsultationsprozess zum Sozialwort von 1997 mit einem Auftakt-Papier begonnen hatte, dass dann breit diskutiert wurde. Diesmal wird die Beteiligung nicht die gleiche Form haben wie damals. Aber mit Akademieveranstaltungen, Kongressen, Gesprächsrunden und Gastbeiträgen auf der Homepage der Sozialinitiative wird die Diskussion weitergehen.

Denn der erste Aufschlag war "insgesamt zu vage und zu wenig konkret", wie Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, die Reaktionen zusammenfasste. Diese Kritik am Papier kam übrigens sowohl von wirtschaftsfreundlichen als auch wirtschaftskritischen Kommentatoren. Der Kongress in Berlin hat gezeigt: Mit einem zweiten Papier nach dem ersten werden die beiden Kirchen nicht umhin kommen, sich gemeinsam deutlicher für die eine oder andere Seite zu entscheiden.