Foto: Reuters/Thomas Mukoya
Zelte bis zum Horizont: Eins der Flüchtlingslager bei Dadaab
"Du denkst immer, es trifft dich nicht"
Angst begleitet ständig die somalischen Flüchtlinge und Helfer in Kenia
In Kenia liegt eines der größten Flüchtlingslager der Welt. Aber von der ersehnten Sicherheit können die Somalier in Dadaab nur träumen. Selbst die Helfer wagen sich nur mit bewaffnetem Begleitschutz in die Camps.
20.06.2014
epd
Bettina Rühl

Bashir Ahmed Bihi füllt Reis aus einem Sack in kleinere Tüten, die er neben den Verkaufstresen stellt. In seinen Regalen stehen Päckchen mit Keksen, Seife, Zahnstocher und vieles andere. "Ich habe mir aufgebaut, was ich brauche", sagt der 48-Jährige. Es ist das Bemühen um ein Stück Normalität in einem Provisorium, das von Angst und Ungewissheit beherrscht wird. Denn Bashirs kleiner Wellblech-Laden steht im Lager Dagahaley im Nordosten Kenias, etwa 100 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt.

Insgesamt fünf überfüllte Camps mit gut 355.000 Menschen aus Somalia bilden hier bei dem Ort Dadaab eines der größten Flüchtlingslager der Welt. Manche Männer und Frauen leben hier schon seit 20 Jahren. Und weil der Krieg im Nachbarland Somalia andauert, drängen sich die Menschen weiter in den notdürftigen Unterkünften.

Bashir hat aus seiner Notlage das Beste gemacht. Seine mit Waren vollgestopfte Laden-Hütte steht an einem der zentralen Plätze des Dagahaley-Lagers. Ein Zuverdienst zu den kostenlosen Lebensmittelrationen der Hilfswerke ist überlebenswichtig: Denn die Flüchtlinge bekommen kein Fleisch, kein frisches Gemüse, kein Obst. Sie müssen Kleidung und Schuhe kaufen, sie brauchen Geld für Telefonate zum Beispiel mit Angehörigen, die noch in Somalia sind oder in der Welt verstreut.

Nur wenige wollen zurück nach Somalia

Jetzt aber will die kenianische Regierung die Lager von Dadaab so schnell wie möglich schließen. Sie behauptet schon länger, dass sich islamistische Kämpfer aus Somalia unter die Flüchtlinge mischen. Erst vor wenigen Tagen griffen mutmaßlich islamistische Kämpfer zwei Orte an der kenianischen Küste an, in Mpeketoni nahe der Ferieninsel Lamu töteten sie mindestens 48 Menschen. Während sich die somalische Terrorgruppe Al-Shabaab zu der Gewalttat bekannte, erklärte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta am Dienstag, das Attentat habe lokale politische Gründe.

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Die Vereinten Nationen und Menschenrechtler hatten heftig gegen die drohende Schließung der Dadaab-Lager protestiert. Im November 2013 lenkte Kenias Regierung schließlich ein. Sie schloss mit Somalia und dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) ein Abkommen, das die Abschiebung der Menschen verbietet. "Wir unterstützen nur die freiwillige Rückkehr", betont Ahmed Warsame, Leiter der UN-Einsätze in Dadaab.

Bisher ist der Rückkehrwunsch unter den Somaliern gering. Allerdings ist die Zahl der registrierten Flüchtlinge seit Sommer 2012 um ein paar Zehntausend geschrumpft. "Vermutlich sind sie selbstständig nach Somalia gegangen", meint Warsame. Außerdem habe die neue biometrische Registrierung der Flüchtlinge die Statistik womöglich etwas "bereinigt".

Bashir und die anderen Flüchtlinge fürchten die Schließung trotz aller Versicherungen wie ein Damoklesschwert. Natürlich empfinde er den Druck, nach Somalia zu gehen, sagt Bashir. Der Vater von 18 Kindern fühlt sich zu Unrecht unter Generalverdacht, auch wenn er selbst sich vor einigen Bewohnern in Dagahaley fürchtet. Das rege Treiben auf dem Platz vor seinem Laden lässt er deshalb immer nur kurz aus den Augen. "Du weißt nie, wer sich unter die Leute mischt", sagt er, "oder was im nächsten Augenblick passiert."

"Umso wichtiger, dass wir bleiben"

Angst begleitet auch die Helfer. "Du denkst immer, es trifft dich nicht", sagt der Kenianer Bishar Salat, der seit über 20 Jahren für die Hilfsorganisation CARE arbeitet. "Aber am 19. September 2011 wurde ein guter Freund von mir in einem der Lager entführt. Seitdem weiß ich, dass jeder zum Opfer werden kann. Auch ich, vielleicht schon morgen." Dass sich die Helfer nur noch mit bewaffnetem Begleitschutz unter den Flüchtlingen bewegen können, bedauert er zutiefst. "99 Prozent der Menschen haben mit dem Terror nichts zu tun."

"Wir sind immer auf der Hut", berichtet auch der Ernährungswissenschaftler Abubakar Mohamed Muhamud, der seit vielen Jahren für "Ärzte ohne Grenzen" arbeitet. Trotz aller Risiken will er nicht kündigen. "Man hilft so gut man kann, auch wenn man nicht weiß, ob man morgen vielleicht erschossen wird." Den Einsatz der Helfer findet er heute wichtiger denn je.

Denn viele Geldgeber sind der somalischen Flüchtlinge müde, die Mittel selbst für wichtige Projekte sind knapp. Wegen der Finanznot werden die hygienischen Zustände in den überfüllten Lagern problematisch. "Ärzte ohne Grenzen" warnt, jederzeit könne eine Cholera-Epidemie ausbrechen. "Da ist es umso wichtiger, dass wir bleiben", betont Muhamud.