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Hetzdorf: "Lass es wachsen!"
Kaum noch Menschen in der Kirche, kaum noch Bewohner im Dorf, Durchschnittsalter 70 Jahre - stirbt die evangelische Kirche aus? Im dünn besiedelten Uckerland hatte Pfarrer Ulrich Kasparick eine gute Idee: Er pflanzte einen Rosengarten - hinterm Pfarrhaus und im Internet. Seitdem kommen die Menschen wieder.
17.06.2014
Nicole Kiesewetter

Ein Schild weist den Weg: "Internet@Garten" steht dort zu lesen am Schuppen hinter dem Pfarrhaus im uckermärkischen Hetzdorf. "Ich weiß", sagt Pastor Ulrich Kasparick, "die Leute dachten damals, jetzt kommt so ein Verrückter aus der Stadt und will mit dem Laptop den Garten umgraben". Und ein wenig verrückt war die Idee vielleicht auch tatsächlich, die der 56-Jährige im Frühjahr 2012 nach eigenem Bekunden "unter der Dusche" hatte.

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Kasparick wollte mit Hilfe des Internets einen Rosengarten hinter seinem Pfarrhaus entstehen lassen. Einen Garten, der Menschen unterschiedlicher Religion und Kultur miteinander verbindet – und vor allem auch jene anspricht, die sich keiner Religion zugehörig fühlen. "Niedrigschwellig" sollte das Angebot sein in einer Region, in der rund 1.500 Einwohner zur kommunalen Gemeinde gehören, jedoch nur 500 davon Kirchenmitglieder sind - Tendenz fallend, denn das Durchschnittsalter liegt bei 70 Jahren.

Kasparick ist verantwortlich für elf Kirchen in 20 Dörfern und Siedlungen. In den ersten zehn Monaten seiner Amtszeit hat er acht Menschen beerdigt, aber nur vier Paare getraut, Konfirmanden hat er gar nicht, sie werden über die Gymnasien betreut. Hetzdorf liegt zwei Autostunden von Berlin entfernt, die Pfarrstelle war eineinhalb Jahre vakant.

Gesprächsrunden im Garten - nach dem Umgraben

"Drei Tage, nachdem ich im Internet um Rosen-Spenden für den Garten gebeten hatte, kam die erste per Post - von einer Facebook-Freundin aus Finnland." Inzwischen sind weit über 100 Rosenstöcke gepflanzt, sie kommen aus ganz Deutschland und darüber hinaus. Knapp 800 Menschen folgen Kasparicks Garten-Tagebuch im Internet, rund 3.500 Menschen haben den Garten seit 2012 besucht.

Pfarrer Ulrich Kasparick im Rosengarten

Insgesamt, schätzt er, haben etwa 26.000 Menschen seinen Rosengarten auf diese Weise entdeckt - und damit auch die evangelische Kirche in Hetzdorf in der Uckermark. Mittlerweile ist der Garten eine kleine Berühmtheit in Uckerland geworden. Reisebusse fahren vor, TV-Teams drehen kleine Berichte und Journalisten bitten um Interviews. Zudem ist der Internet-Garten eine Kooperation mit einem Garten in Kabul, der einstigen "Stadt der Rosen" in Afghanistan eingegangen.

Der Pastor wundert sich selbst ein wenig über seinen Erfolg. Selbstverständlich ist es schließlich nicht, in dieser "entkirchlichten Gegend" Leute zu finden, die sich für eine Kirchensache engagieren. Doch die Kirche, sagt er, stehe bei seinem Garten auch nicht im Vordergrund. "Es geht um die Menschen". Nach den regelmäßigen Umgrab- und Pflanzaktionen sitze man zusammen und rede miteinander, sagt der Pfarrer. Und das sei eine gute Gelegenheit, sich kennen zu lernen und Fragen zu stellen - auch nach seiner eigenen Person und wie er hierher kam.

"Eine Rose ist mehr als eine Rose"

Ulrich Kasparick ist selbst noch nicht lange in der Uckermark. 20 Jahre lang war er Politiker, zuletzt Staatssekretär, erst im Bildungs- und dann im Verkehrsministerium, bis Stress und Krankheit ihn zum beruflichen Wechsel zwangen. So kehrte er zurück in seine eigentliche Berufung. Er war Jugendpfarrer in Jena, bevor die politische Wende nach 1989 ihn in die Politik trieb.

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Viel hat Kasparick in den vergangenen zwei Jahren gelesen und gelernt über Rosen, über ihre Geschichte, ihre Symbolik. "Eine Rose ist mehr als eine Rose", sagt er. "Sie ist Hinweis auf eine über zweitausendjährige Geschichte, in der die Rose zu einem zentralen religiösen Symbol geworden ist". Außerdem sei Rosenzucht schon immer eine "internationale Angelegenheit" gewesen, die von der Begegnung der Kulturen gelebt hat.

"Wissen Sie, dass Rosen früher nur einmal im Jahr geblüht haben?" ist eine seiner beliebten Fragen. Erst die Einkreuzung mit chinesischen Rosen hat dazu geführt, dass sie öfter blühen. "Ein wunderbarer Hinweis auf die Kraft der Kooperation", findet Kasparick und sieht darin eine zentrale Botschaft des Hetzdorfer Rosengartens. "Wenn ich mit den Besuchern ins Gespräch komme, erzähle ich ihnen viel über die Rosen in unserem Garten, aber ich dolmetsche das auch theologisch."

Immer nach dem 'bottom-up-Prinzip'

Dazu war am vergangenen Wochenende ausführlich Gelegenheit, als sich der Internetgarten am "Tag der offenen Gärten" beteilige. Zu Besuch kam auch Gisela Teuchert-Benker aus Neustadt in Holstein. "Ich habe mit Kirche nicht viel am Hut", gibt sie unumwunden zu. "Aber als ich das Projekt bei facebook entdeckt habe, dachte ich mir: Das ist ein tolles Projekt und habe gleich eine Rose geschickt". Nun wollte sie selbst mal in Augenschein nehmen, wo "ihre Rose" ihren Platz gefunden hat.

"Internet-Garten" steht am Schuppen hinter dem Pfarrhaus.

Mittlerweile gibt es sogar Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten in Hetzdorf. Der Dachboden ist zu einer Pilgerunterkunft ausgebaut, eine Fachbibliothek zum Thema Rosen ist im Aufbau und ein "Rosencafé" in Gründung begriffen. "Damit würden wir mit unserem Projekt hier den ersten Arbeitsplatz schaffen", blickt Kasparick voraus und betont: "Bei uns geht immer alles nach dem 'bottom-up-Prinzip': Lass es wachsen!"

Gemäß dieser Philosophie ist es für ihn auch nicht entscheidend, ob jemand wegen des Internetgarten-Projekts in die Kirche eintritt. "Ich werte alle meine Veranstaltungen aus - Gottesdienste, Beerdigungen, Kirchenkonzerte, Garten-Veranstaltungen. Was denken Sie, wobei ich die meisten Menschen erreiche?", fragt Kasparick, um sich dann selbst zu antworten: "Nicht Mitgliedschaft, Kommunikation ist alles."

"Wichtig ist, dass Du als Christ Deinen Job kennst"

Einige Besucher haben bei ihrem Besuch am Wochenende in Hetzdorf wieder neue Rosen mitgebracht. "Wir sind jetzt bei 135 Rosenstöcken", berichtet Kasparick. "Das bedeutet, wir müssen den Garten erweitern." Ob und wie das gelingen kann, weiß der "Rosenpastor" im Moment noch nicht. "Aber ich lasse mich nicht mehr verrückt machen." Gelassenheit sei es, die der Garten ihn gelehrt habe. "Wichtig ist, dass Du als Christ Deinen Job kennst: Geh einfach los."

Ein Schild weist den Weg: Das @-Zeichen in "Internet@Garten" ist gestaltet wie das Fischsymbol des Christentums, nur spiegelverkehrt. Das ist für Kasparick auch Programm, denn er ist überzeugt: Die Kirche müsse das Internet, die Möglichkeiten von "Social Media" mit Facebook, Blogs und Livestream-Gottesdiensten noch mehr für sich entdecken.