Als ich endlich an der neuen Moschee ankomme, ist niemand da. Dabei ist Freitag – Mittagszeit. Heute sind alle gläubigen Muslime dazu aufgerufen, zum Beten in die Moschee zu gehen. Doch hier ist alles ruhig. Nur die Grillen hört man zirpen, fast schon klischeehaft. Ich befinde mich in einem Gewerbegebiet am Stadtrand Friedbergs. Von hier aus könnte man die Bankentürme des knapp 30 Kilometer entfernten Frankfurt sehen, wäre der Blick nicht von den grauen Zweckbauten verstellt, die das muslimische Gotteshaus einrahmen.
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Noch eine Woche zuvor war die neue Moschee mit viel Tamtam eingeweiht worden. Sogar der Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, das weltweite religiöse Oberhaupt der Ahmadiyya-Gläubigen war angereist. Dazu die Lokalpolitik, das Fernsehen.
In Deutschland hat sich die Ahmadiyya mit ihrem Wahlspruch "Liebe für alle. Hass für keinen" in die Herzen der Öffentlichkeit spielen können, die Glaubensgemeinschaft gilt als friedfertig und missionarisch aktiv. Als erste muslimische Gemeinde ist sie in Hessen und Hamburg als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt worden. Ahmadiyya bezeichnet sich selbst als islamische Reformbewegung, doch der Theologe Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen hält den Begriff für irreführend: Die straff hierarchisch organisierte Religionsgemeinschaft sei in vielen Punkten sehr konservativ, die Lehre "streng sunnitisch".
Die Moschee existiert auf dem Smartphone nicht
Die meisten anderen Muslime erkennen Ahmadiyya nicht als islamische Glaubensrichtung an. Ihre Anhänger werden in vielen muslimischen Ländern verfolgt, vor allem in Pakistan, dem Herkunftsland der Ahmadiyya-Bewegung. Zur älteren Moschee Friedbergs, die zu den größten Hessens gehört, können die Ahmadiyya-Anhänger deswegen nicht gehen. Das machte eine zweite Moschee in Friedberg nötig.
Zwei Moscheen, beide mit Minarett und allem Drum und Dran – in einem kleinen Städtchen wie Friedberg mit nur 27.000 Einwohnern könnte das manch einer für zu viel des Guten halten – "Christliches Abendland" und so.... Ich will wissen, wie die normalen Friedberger auf der Straße das sehen, deswegen bin ich hingefahren.
Als ich am Bahnhof aus dem Zug aussteige, muss ich erst einmal feststellen, dass die Seite der Ahmadiyya-Gemeinde auf dem Smartphone nicht funktioniert. Die Adresse kann ich so nicht erfahren. Altmodisches nach-dem-Weg-fragen ist angesagt.
Zu lautes Beten stört die Sonntagsruhe
Bei den ersten Passanten, von denen ich wissen will, wie ich zur neuen Moschee komme, ernte ich nur unwissende Blicke. Schließlich zeigt eine junge Frau die Straße hinunter: "Probieren Sie es am besten in dieser Richtung. "Dort leben viele Menschen", sie kommt ins Stocken, "solchen Glaubens", bringt sie ihren Satz zu Ende.
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Die Richtung stellt sich schon bald als vollkommen falsch heraus. Natürlich. Also weiterfragen. Auf diese Weise erfahre ich, dass die meisten Friedberger noch nie etwas von der neuen Moschee gehört haben. Und diejenigen, die von ihr wissen, haben für sie kaum mehr als ein Achselzucken übrig. "Noch lassen sie uns schlafen", sagt ein älterer Herr im breitesten Hessisch und meint damit den Ruf des Muezzins. Er zieht lachend weiter, es sei eben eine weitere Moschee, am Stadtrand störe sie keinen.
Ich bin überrascht. In anderen Städten formierte sich schnell Widerstand gegen den Bau neuer Moscheen. Das bekannteste Beispiel ist Köln, wo aus dem letztlich erfolglosen Protest gegen eine Moschee im Stadtteil Ehrenfeld eine rechte politische Bewegung hervorging. In Köln hatte so ziemlich jeder eine Meinung zum Thema. Nicht so in Friedberg. Die Friedberger sind herrlich indifferent, was die zweite Moschee in ihrer Stadt angeht.
Minarett und Dixi-Klo
Für mich bedeutet das, dass mir kaum jemand bei der Suche nach der neuen Moschee behilflich sein kann. Ich treffe auf eine Blumenhändlerin, die findet, dass Menschen aus anderen Kulturkreisen ihre Religion nur in ihren eigenen vier Wänden ausüben sollten. So wirklich recht scheint ihr das dann aber auch nicht zu sein, denn letzten Sonntag habe ihr Nachbar, ein Moslem, so laut gebetet, dass an Sonntagsruhe nicht mehr zu denken war. Von der neuen Moschee hat aber auch die Blumenhändlerin noch nichts gehört.
Dennoch finde ich sie irgendwann. Es ist ein einstöckiger, im zarten grün gehaltener Fertigbau mit einer Kuppel auf dem Dach. Davor steht noch ein Dixiklo in all seiner Pracht, wohl das letzte Überbleibsel der Bauarbeiten. Daneben das neun Meter hohe Minarett. Es hat nur symbolischen Charakter. Nie wird ein Muezzin von ihm aus die Gläubigen zum Gebet rufen. Warum auch, hier wohnt ja niemand, den er rufen könnte. Ringsherum nur Industriebauten.
Da offensichtlich niemand aus der Gemeinde hier ist, treffe ich nur auf einen Nachbarn, dessen Betrieb an die Moschee angrenzt. Von allen Menschen, die mir in Friedberg begegnen, ist er der einzige, der mit der Moschee wirklich ein Problem hat, angeblich in erster Linie ein Parkplatzproblem. "Wenn hier 500 Gläubige mit ihres Autos kommen, dann stellen die hier alles zu. Ich komm da mit meinem Lastwagen nicht mehr durch."
Der Mann ist wütend. Das sieht man. Ich entscheide, dass es keinen Zweck hat, ihn darauf hinzuweisen, dass die Ahmadiyya-Gemeinde in Friedberg nur 320 Mitglieder zählt. Selbst bei der feierlichen Eröffnung waren es nur 200 Gäste. "Geht das mit den Parkplätzen so weiter, gibt es Atomkrieg", schimpft er wieder. Gerade als ich mit einer neue Tirade rechne, sagt er: "Aber nett und freundlich sind die Leute schon, das muss man der Fairness halber sagen." Jeder brauche seinen Dom, in dem er beten könne. Dann verschwindet er wieder in seiner Werkstatt.
In Friedberg ankommen
Ich rufe Azmat Amad an, er ist der Sprecher der kleinen Gemeinde. Von ihm erfahre ich, dass sich alle Gläubigen auf dem Ahmadiyya-Jahrestreffen in Karlsruhe befinden. Deswegen ist hier niemand. Darauf angesprochen, dass die neue Moschee bei den Friedbergern noch nicht so ganz angekommen ist, antwortet er, dass man schon dabei sei, viele Veranstaltungen zu organisieren, damit die Menschen die Gemeinde kennen lernen und Berührungsängste abbauen können.
Sogar Schulführungen seien geplant. "Wir wollen ein offenes Haus für alle sein", sagt Amad. Mit den Kirchen und den anderen muslimischen Gemeinden habe man zwar noch nicht gesprochen, aber der interreligiöse Dialog liege ihnen besonders am Herzen. "Aber es soll hier nicht nur um Religion gehen, wir wollen vor allem eine Begegnungsstätte schaffen." Man nimmt dem begeisterten Amad diesen Wunsch wirklich ab. Ich wünsche ihm viel Glück.
Ich gehe zurück in die Stadtmitte. Friedberg ist bekannt für seine Fachwerkhäuser. Ich frage mich, wie die Friedberger reagieren würden, wenn die neue Moschee nicht im Gewerbegebiet sondern hier, gut sichtbar in den idyllischen Straßen stehen würde.
Das ganze Herumlaufen hat mich hungrig gemacht. Während der Mann in der nächsten Dönerbude Salat in ein Fladenbrot stopft, frage ich ihn, was er von der zweiten Moschee hält. Entgeistert blickt er mich an. "Wollen die jetzt an jeder Ecke eine Moschee bauen? In Friedberg gibt es doch schon eine." Dann ist es ihm aber doch egal, er sei halt nicht religiös.
Der Dönerspieß dreht sich weiter. Heute Abend spielen die Niederlande gegen Spanien. In einem Gewerbegebiet am Rande von Friedberg steht eine neue Moschee.