Foto: epd-bild / Rainer Oettel
Wer die Gabe des Backens hat, der bringe Kuchen mit. Wer die Gabe des Verkündigens hat, der predige. Wer die Gabe des Leitens hat, der koordiniere. Eine Gemeinde sollte gabenorientiert arbeiten - nicht hierarchisch.
Am Anfang war das Ehrenamt
Wie Freiwillige in der Gemeinde mit Hauptamtlichen klarkommen
In einer Kirchengemeinde gibt es immer viel zu tun, manchmal zu viel. Pfarrerinnen fühlen sich schnell überlastet, Ehrenamtliche sind frustriert. Wie soll man die Arbeit verteilen? Wie löst man Konflikte in der Gemeinde? Und wer ist eigentlich Chefin oder Chef?

In der Gemeinde ist niemand Chef. Jesus gründete keine Kirche mit ordinierten oder gar bezahlten Klerikern, sondern er berief Menschen in die Nachfolge: Die sich rufen ließen, bildeten eine Dienstgemeinschaft – frei von Hierarchien. Alle waren Laien, alle waren Freiwillige. Doch offenbar barg die Frage, wer sich um was kümmert und wer wie wichtig ist, schon in der nächsten Generation Konfliktstoff.

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In den frühen Gemeinden bildeten sich Ämter heraus – Apostel, Presbyter (griechisch für Älteste, Titus 1,5), Diakone, Bischöfe (1. Timotheus 3), Hirten, Lehrer, Propheten und Evangelisten (Eph 4,11-12) – und damit auch Hierarchien in der Kirche. Der Klerus entwickelte sich zu einem eigenen Stand gegenüber den Laien. Im 16. Jahrhundert weist der Reformator Martin Luther darauf hin, dass Priester und Bischöfe theologisch gesehen nicht höhergestellt seien als alle anderen: "Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied außer allein des Amts halber", schreibt er 1520. "Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof oder Papst geweihet sei."

Der Grundsatz vom Priestertum aller Getauften gilt in den Kirchen der Reformation bis heute. "Nach evangelischer Auffassung haben wir eben keinen Priesterstand, sondern alle Getauften sind gleichzeitig zu Priestern geweiht, das heißt zu Gott unmittelbar, und sie haben Aufgabe, Recht und Pflicht, ihren Glauben im Alltag zu bewähren und zu bezeugen", erläutert Michael Herbst, Direktor des Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung an der Uni Greifswald. "Das ist immer die große theologische Linie, auf die man das Ehrenamt hin begründet."

Alle in der Gemeinde – ob ihre Arbeit bezahlt wird oder nicht, ob sie Theologie studiert haben oder nicht – sollten deshalb auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Doch das klappt nicht immer. "Pfarrer sagen zum Beispiel: 'Ich habe in meiner Gemeinde fünf ehrenamtliche Mitarbeiter, das sind meine Mitarbeiter'", beschreibt Michael Herbst ein oft gehörtes Missverständnis. Ehrenamtliche berichten zum Beispiel von E-Mails, in denen der Pfarrer einfach anweist, wer welchen Beitrag zum Gemeindefest zu leisten hat. Doch Michael Herbst stellt klar: "Der ehrenamtliche Mitarbeiter ist nicht der Hilfsmitarbeiter des Pfarrers oder Jugendleiters, sondern er ist Mitarbeiter aus eigenem Recht. Es geht um den gemeinsamen Dienst, und er wird teilweise ehrenamtlich und teilweise haupt- oder nebenamtlich versehen."

Ehrenamtliche investieren Zeit, Kreativität und oft auch Geld, um ihre Aufgaben in der Gemeinde auszuüben. Anerkennung und Unterstützung haben sie also verdient: Jemand in der Gemeinde sollte sich um die Ehrenamtlichen kümmern – das kann der Pfarrer sein oder auch eine Ehrenamtsbeauftragte. Ana Maria Stuth, Geschäftsführerin der Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland (AfED), hat Kriterien aufgestellt, damit die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen gut läuft. Ein Kriterium lautet zum Beispiel "umfassende Informationen" für interessierte Freiwillige. "Einarbeitung und Begleitung" sollten selbstverständlich sein, ebenso eine "Anerkennungskultur".

Die Rollen klar definieren

Außerdem – ganz wichtig – Gemeinden brauchen ein "Konfliktmanagementsystem". Für die Kölner Pfarrerin Eva Esche lautet Regel Nummer eins bei Konflikten: Miteinander reden, nicht übereinander. "Wir arbeiten alle viel, und wenn wir viel arbeiten, machen wir viele Fehler", sagt Esche und schließt sich selbst mit ein. "Also lasst uns versuchen, offen darüber zu reden." Michael Herbst empfiehlt: "Wenn es mehr als eine Handvoll Ehrenamtliche gibt, sollte es so etwas geben wie einen Mitarbeiterkreis, wo man über die Arbeit, aber auch über das Miteinander reden kann. Das klingt nach einem zusätzlichen Termin, erspart einem aber etliche Konfliktgespräche."

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Viele Konflikte lassen sich schon dadurch vermeiden, dass die Rollen klar definiert werden. Letzteres nennt auch die jüngste Sonderauswertung des dritten Freiwilligensurveys für die evangelische Kirche ("Evangelische engagiert – Tendenz steigend", Hannover 2012) als wichtige Aufgabe: "Ehrenamtliche in den Kirchen übernehmen immer mehr Aufgaben Hauptamtlicher. Zugleich wird das Engagement professioneller. Damit verschwimmen die Grenzen zwischen beruflicher Arbeit und ehrenamtlichem Engagement. Diese Entwicklung birgt die Gefahr in sich, dass sich in Zukunft Hauptamtliche nicht mehr in jeder Hinsicht für die Begleitung der Ehrenamtlichen zuständig fühlen." Je mehr die Grenzen verschwimmen, desto deutlicher muss festgehalten werden, wer welche Aufgaben übernimmt und auch, wer wann den Hut auf hat.

Werner Giese ist so ein Spezialfall: Laie und doch Profi, freiwillig Leitender. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Presbyteriums der evangelischen Kirchengemeinde Dortmund-Südwest mit mehr als 10.000 Gemeindegliedern und 3,75 Pfarrstellen. "Es hat in der Vergangenheit immer mal so gewisse Spannungen gegeben", berichtet er, doch mittlerweile laufe die Zusammenarbeit "auf Augenhöhe". Giese leitet Sitzungen, unterschreibt Briefe, ist Dienstvorgesetzter von rund 60 Angestellten. "Ich würde mir wünschen, dass Gemeinden nur durch Ehrenamtliche geleitet werden", sagt er, "wenn Leute da sind, die das können und die das auch wollen. Denn ich sag immer: Die Pfarrer sollen das machen, wofür sie ausgebildet sind. Und die sind nicht Manager einer Gemeinde, dafür sind sie nicht ausgebildet."

Kann es Gemeinden ohne Hauptamtliche geben?

Jein, sagt Eva Esche – und überlegt dann doch noch einmal. Ihre spontane Antwort auf die Frage nach ihren Kernaufgaben als Pfarrerin lautet: "Verkündigung, Seelsorge und religiöse Sozialisation", letzteres meint die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. "Ich hab das ziemlich klar", sagt Esche, fügt aber dann hinzu: "Der vierte große Bereich ist natürlich Leitung. Viel Arbeit koordiniere ich, so dass sie von Ehrenamtlichen gut gemacht werden kann." Das gilt zum Beispiel für den Besuchsdienstkreis der Gemeinde, mit dem sie sich einmal im Monat trifft. "Denen ist es auch wichtig, dass ich das leite und dass ich mich kümmere", ist Esche überzeugt.

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Ob eine Gemeinde ganz ohne Hauptamtliche auskommen könnte? Klar kann sie das, sagt Michael Herbst. "Ich bin selber in einer Gemeinde, die komplett ehrenamtlich läuft", erzählt der Theologieprofessor, "mit zehn Hauskreisen, jede Woche Gottesdienst, mehreren Glaubenskursen im Jahr, einer diakonischen Arbeit, Schularbeitenbetreuung im Plattenbaugebiet." Das läuft alles, aber Michael Herbst seufzt trotzdem, wenn er an die viele Arbeit denkt, "da brauchen Sie wirklich hochmotivierte ehrenamtliche Mitarbeiter, damit das funktioniert."

Vielleicht wird es in Zukunft mehr solcher Gemeinden geben. Denn bei den Pfarrerinnen und Pfarrern steht eine große Pensionierungswelle an, und der Nachwuchs an Theologiestudierenden reicht nicht aus, um die Stellen zu besetzen. Benachbarte Gemeinden müssen zusammenarbeiten, in Gottesdiensten werden häufiger Prädikanten oder Lektorinnen auf den Kanzeln stehen, das ist in Köln jetzt schon so. Eva Esche sieht das größere Problem allerdings in der Seelsorge: "Wer soll denn ans Sterbebett gehen? Wer soll denn Jesus Christus predigen oder von Gottes allumfassender Liebe erzählen und die Menschen in den Himmel hinein begleiten?"

"Es ist so, als ob wir direkt von Gott kämen"

Pfarrerinnen und Pfarrer sind dafür ausgebildet, die passenden Worte und Bilder zu finden. "Und wir sind berufen – das ist es, glaube ich", sagt Eva Esche. "Die Leute begegnen uns ja mit einem ungeheuren Vorschuss an Vertrauen, weil wir Pfarrerinnen und Pfarrer sind. Die glauben uns einfach."

Esche wundert sich manchmal über die Reaktion der Menschen auf ihr Reden – zum Beispiel am Sterbebett. "Ich will mir nichts anmaßen, ich bin in solchen Situationen ja auch angewiesen auf Gott und sage 'Hilf mir mal, dass ich die Worte finde.'" Im privaten Umfeld falle es ihr schwerer, von Gott zu sprechen. "Aber ich glaube, wenn ich als Pfarrerin komme, dann ist das so, als ob wir sozusagen direkt von Gott kämen."

Es geht nicht darum, dass Ordinierte wichtiger wären oder mehr zu sagen hätten als andere Mitarbeitende der Gemeinde. Sondern darum, dass wir "ihr Amt als ein Amt rechnen, das der christlichen Gemeinde gehöre und nützlich sei", so formuliert es Luther. Die theologische Ausbildung und das feste Gehalt haben allein den Sinn, dass der Dienst gut und zuverlässig ausgeführt werden kann. Wie vor 500 und vor 2000 Jahren bestehen auch heute das Priestertum aller Getauften und die Dienstgemeinschaft aller Christus-Nachfolgenden.