Foto: epd-bild/World Vision/Iris Manner
"Jeden Tag geht es ums Überleben"
Immer noch müssen weltweit Millionen Mädchen und Jungen malochen, obwohl seit 15 Jahren eine Konvention gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit gilt. In armen Ländern wie Kambodscha ist der Kampf gegen die Ausbeutung der Kinder zäh.
12.06.2014
epd
Jan Dirk Herbermann

Kin Chert steht vor einem vier Meter hohen Hügel aus Lehm. Die Sonne brennt, die Luft flirrt bei 40 Grad. Der Junge trägt keine Schuhe. Hose und Hemd sind zerschlissen. Sein Vater, Chorm Chon, wirft eine alte, verölte Maschine an, aus der rußige Luft quillt, schabt Lehm vom Hügel, und legt ihn auf ein ruckelndes Band. Der Lehm wird in der Maschine zu rechteckigen Ziegelsteinen geformt. Kin Chert greift die heißen Steine und stapelt sie auf einen Karren.

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Nach 20 Minuten hat er etwa Hundert Steine aufgeschichtet. Er zieht die Karre zu einem riesigen Ofen, dort warten drei weitere Kinder. Sie füllen den Ofen - rund 180.000 Steine passen in die Brennkammern. Kin Chert lebt in einem Außenbezirk der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh und ist 14 Jahre alt, seit vier Jahren stapelt er Steine und zieht die Karre. Wie er müssen in dem asiatischen Land Hunderttausende Jungen und Mädchen arbeiten. Vom Welttag gegen Kinderarbeit, der am 12. Juni begangen wird, hat Kin Chert noch nichts gehört. "Nein, was ist das?" fragt er und wischt sich mit den verdrecken Händen den Schweiß vom glühenden Gesicht.

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Jedes Jahr am 12. Juni erinnern die Vereinten Nationen an das bedrückende Schicksal der knapp 170 Millionen Kinderarbeiter. Sie schuften wie der Junge aus Phnom Penh in Ziegeleien, in Fabriken, in Bergwerken, auf Feldern. Viele werden gezwungen, ihre jungen Körper als sexuelle Ware feilzubieten. Um wenigstens einigen von ihnen zu helfen, verabschiedeten die Mitgliedsländer der Internationalen Arbeitsorganisation ILO vor 15 Jahren, am 17. Juni 1999, die Konvention gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit.

Das Abkommen für Kinder unter 18 Jahren trat 2000 in Kraft. Die Konvention verbietet etwa Sklaverei und Prostitution von Kindern. Kinder dürfen keine Arbeit verrichten, die ihre "Gesundheit, Sicherheit oder Moral" gefährdet. Die riskante Maloche des kleinen Kin Chert in der Ziegelfabrik fällt unter das Verbot. "Eigentlich sollte die Zahl der Kinder, die unter den schlimmsten Bedingungen arbeiten, schon längst bei einer großen runden Null liegen", verlangt der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation, Guy Ryder.

"Mein Sohn muss mithelfen, damit wir über die Runden kommen"

Doch der Kampf dagegen erweist sich in armen Ländern wie Kambodscha als zäh. "Kambodscha ist ein junges Land, mehr als ein Drittel aller Menschen sind unter 14 Jahre alt", erklärt Channpheaktra Hong von der Hilfsorganisation World Vision: "Für die meisten Eltern ist es selbstverständlich, dass die Kinder arbeiten."

Die schiere Not treibt die Kinder in die Fabriken und auf die Felder. Huon Pong, die Mutter des kleinen Kin Chert, erklärt: "Mein Sohn muss mithelfen, damit wir über die Runden kommen. Einen Schulbesuch können wir uns sowieso nicht leisten." Kin Chert hat vier Geschwister. Die Familie lebt in einem Verschlag aus Holz und Wellblech direkt neben dem Lehmhaufen, überall liegt Müll. Zwei magere Hühner ziehen gackernd umher. Der einzige Luxus ist ein altes TV-Gerät, das über der Kochstelle flimmert.

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Nur 60 Prozent aller Kinder Kambodschas besuchen die Schule noch in der fünften Klasse, viele andere müssen vorher helfen, die Familien zu ernähren. Schlimmer noch: Tausende Kinder schlagen sich alleine auf der Straße durch, ohne Eltern, ohne Zuhause, ohne Perspektive. "Als Straßenjunge in Phnom Penh musste ich Müll und Flaschen sammeln, ich nahm jeden kleinen Job an", erinnert sich der 15-jährige Ron: "Als Straßenjunge geht es jeden Tag ums Überleben."

Heute wohnt Ron mit anderen Mädchen und Jungen in einem Zentrum für frühere Straßenkinder der Hilfsorganisation World Vision - es ist ein großzügig gebautes Haus an einer ruhigen Straße. Im Innenhof spenden große Bäume wohltuenden Schatten. "Die Kinder haben hier einen geregelten Tagesablauf, sie erhalten Mahlzeiten, sie lernen lesen und schreiben, und sie werden mit sozialen Techniken vertraut gemacht", erläutert der Leiter der Einrichtung, Pharen San.

Die Kinder und Jugendlichen können bis zu einem Jahr bleiben. Das Ziel: Nach dem Aufenthalt sollen sie Schulen besuchen und eine ordentliche Arbeit finden. Seit 1993 fanden mehr als 2.000 Straßenkinder in dem Zentrum einen Halt.

"Doch wir müssen wahrscheinlich bald schließen", sagt Pharen San. "Die Finanzierung für die kommenden Jahre ist nicht gesichert."