Er hat schon wieder vergessen, den Müll rauszubringen, und auf dem dreckigen Geschirr in der Küche wächst bald neues Leben. Sie hat den nächsten gemeinsamen Urlaub immer noch nicht gebucht, obwohl sie versprochen hat, sich darum zu kümmern. Tatsächlich sind es oft solche banalen Kleinigkeiten, über die sich Partner und Eheleute schnell in die Haare kriegen.
Manchmal sind es auch die größeren Fragen, zum Beispiel die nach dem Geld. Sei es, weil das gemeinsame Budget ohnehin knapp ist, oder weil der Eine gern einen Luxusurlaub nach dem anderen machen möchte, während die Andere die Ersparnisse lieber für das erste Eigenheim anlegen möchte.
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Auch wenn sich eine der beiden Kinder wünscht, der Partner sich das aber nicht vorstellen kann, ist ein schier unüberwindbarer Konflikt vorprogrammiert. Deshalb sollten Paare sich frühzeitig über grundlegende Fragen einer gemeinsamen Zukunft unterhalten, erklärt Heike Bauer-Banzhaf, systemische Kommunikationscoach und Supervisorin.
Einige Konflikte beschwören die Paare selbst herauf, sagt sie. Beispielsweise im Fall von Lisa und Florian. Viel zu oft wirft sie ihrem Freund vor: "Du wirst wie dein Vater." Klar, dass Florian auf Verteidigung umstellt und entgegnet: "Du bist so eigensinnig – genau wie deine Mutter!" Ohne darüber nachzudenken, ob an Lisas Bemerkung auch ein Funken Wahrheit sein könnte. Doch es passiert noch mehr. Während Florian von solchen Pauschalaussagen genervt ist, führen sie oft auch dazu, dass Lisa immer mehr Sachen auffallen, die er tatsächlich so macht wie sein Vater. Die vielen Unterschiede zwischen den beiden nimmt sie immer weniger wahr. "Es geht dann nur noch darum, das eigene Urteil zu bestätigen", sagt Bauer-Banzhaf.
Das erste Kind bringt alles durcheinander
Welche dieser Auseinandersetzungen aber schwerwiegend sind und welche sich leicht aus der Welt schaffen lassen, ist nicht konkret zu benennen. "Schwerwiegend ist, wenn die Partner sich nicht lieben, aus Prestige, finanziellen Gründen oder Gewohnheit zusammen sind, da fehlen dann einfach die Emotionen", definiert Rechtsanwalt und Mediator Werner Schieferstein.
Konfliktpotenzial gibt es in einer Beziehung reichlich, in manchen Situationen kracht es aber besonders leicht: im Urlaub oder am Wochenende zum Beispiel. Da ist zwar eigentlich Entspannung angesagt, aber weil die Partner viel Zeit miteinander verbringen, fallen manche Macken des Anderen in dieser Zeit besonders auf.
Kritische Beziehungsphasen sind die erste gemeinsame Wohnung und das erste Kind. Plötzlich geht es nicht mehr nur um einen selbst und den Partner, sondern auch darum, die neue Rolle als Elternteil zu lernen. "Für gemeinsame Hobbys fehlen Zeit und Kraft, Sex kommt zu kurz, und auch emanzipierte Frauen werden plötzlich sehr mütterlich, da sind viele Männer überrascht. Viele reagieren auch auf die enge Beziehung zwischen Mutter und Kind eifersüchtig", erklärt Bauer-Banzhaf.
Erziehungsfragen sind aber nicht zwangsläufig ein Grund, sich zu entzweien. Auch hier ist Toleranz wichtig: "Wenn die Partner verstehen, dass es für Kinder ein Geschenk ist, zwei Elternteile zu haben, ist es in Ordnung, dass Mama andere Dinge erlaubt als Papa – solange sich die Eltern nicht gegenseitig in den Rücken fallen", findet Bauer-Banzhaf.
Kernpunkt vieler Streits: zu wenig Anerkennung
Sollten Streitereien in der Ehe oder Partnerschaft aber zum Dauerzustand werden, kann es sinnvoll sein, sich frühzeitig professionelle Hilfe von Eheberatern, Mediatoren oder Coaches zu holen, bevor die Beziehung zu Bruch geht, denn beim Streit um Alltägliches geht es meist um mehr: Man fühlt sich missverstanden, bekommt nach eigenem Empfinden nicht genug Anerkennung oder hat zu hohe Erwartungen an sich oder den Partner.
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"Jeder glaubt, zu verstehen, was der andere meint. Doch das ist leider nicht immer so – mit der Folge, dass der andere sich immer häufiger missverstanden fühlt", sagt Rechtsanwalt und Mediator Harald Wozniewski. "Das ist wechselseitig. Und je öfter man sich falsch verstanden fühlt und je weniger man auch den anderen richtig versteht, desto mehr sinken – auf beiden Seiten – Sympathie und Solidarität füreinander." Im Streit fühlen sich viele Menschen plötzlich wütend, ohnmächtig und könnten den Partner wegen irgendwelcher Lappalien zum Mond schießen.
Auch wenn der Partner nicht so reagiert, wie man selbst es sich wünscht, kracht es häufig. "In einigen Partnerschaften gilt auch heute noch: Der Mann verdient das Geld, die Frau kümmert sich um die Kinder", sagt Mediator Werner Schieferstein. "Wenn der Mann abgespannt nach Hause kommt, wünscht er sich, dass seine Frau sich um ihn kümmert, ihn aufbaut und wertschätzt, dass er das Geld nach Hause bringt, was sie – überspitzt gesagt – ausgibt. Er wiederum erkennt zu wenig an, dass die Frau genauso viel geleistet hat, und ist enttäuscht."
Jeder kann selbst etwas tun
Nicht immer sind sich die Beteiligten bewusst, welche Anerkennung sie sich von ihrem Partner wünschen. Jeder kann also selbst etwas tun, um Konflikte zu entschärfen: Erkennen, was einem selbst wichtig ist. Erst dann kann man das auch der Freundin oder dem Ehepartner mitteilen. "Viele Ehen gehen auseinander, weil wir keine gute Beziehung zu uns selbst haben", ist Heike Bauer-Banzhaf überzeugt.
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Es kann also helfen, sich selbst zu fragen: Was kann ich tun, um mich selbst wertzuschätzen? Heike Bauer-Banzhaf, empfiehlt, sich öfter vor Augen zu halten, was man selbst heute gut gemacht hat und weiterzudenken, welche positiven Konsequenzen das eigene Handeln für andere hatte. Der nächste Schritt: dem Partner danken. "Gegenseitige Wertschätzung muss nicht immer die ganz große Geste sein", mein Bauer-Banzhaf. Ein warmer Kaffee auf dem Frühstückstisch oder ein voller Kühlschrank, obwohl ich eigentlich nicht mit dem Einkauf dran war, sind auch ein Danke wert.
Schieferstein bekräftigt, dass viele Menschen ihre eigenen Gefühle zu wenig benennen können. "Die haben nur ein dumpfes Gefühl, sind nicht glücklich, wissen aber nicht genau, was ihnen fehlt." Selbst wenn sie es wissen, trauten sich viele nicht, ihre Gefühle und Bedürfnisse anzusprechen, denn sich dem Partner gegenüber zu öffnen, mache einen selbst immer verletzlich.
"Meist ist es gravierender, sich über eine offene Zahnpasta-Tube zu streiten als zum Beispiel über Sex", sagt Mediator Schieferstein. "Solange man über eigene Bedürfnisse und Gefühle streitet, über Sorgen und Ängste spricht, ist die Wahrscheinlichkeit größer, zu einem gemeinsamen Verständnis zu finden. Ein Ersatzkonflikt wie der um die Zahnpasta zeigt, dass man keinen Mut mehr hat, sich dem anderen zu öffnen."
Die Fachleute warnen davor, zu glauben, dass mit der nächsten Beziehung alles besser würde. Da die meisten Probleme mit einem selbst zu tun hätten, nehme man sie von der einen in die nächste Beziehung mit. Viele Menschen hätten den Wunsch, der Partner solle eine Eigenschaft mitbringen, die sie bei sich selbst vermissen, also das Ich gewissermaßen komplettieren, doch das könne auf die Dauer nicht gut gehen.
Wenn allerdings der Streit um eine offene Zahnpasta-Tube das einzig Aufregende ist, was in der Ehe noch passiert, sollten beide die Notbremse ziehen und sich Hilfe holen. Voraussetzung ist natürlich, dass beide eine Lösung finden und ihre Probleme nicht totschweigen wollen. Sie müssen bereit sein, offen und ehrlich miteinander über ihre Gefühle zu sprechen und Zeit, Mühe und – falls ein Profi helfen soll – auch Geld in die Beziehung zu investieren. "Vielleicht wird es an manchen Stellen auch schmerzhaft, aber sich Hilfe zu holen ist ein Zeichen, dass beide sich wichtig bleiben wollen", sagt Heike Bauer-Banzhaf.
Ein Mediator ist kein Zauberkünstler
Ziel einer Mediation ist es beispielsweise, gegenseitiges Verstehen zu ermöglichen. Im Beisein des Mediators schildern beide Beteiligten nacheinander ihre Sicht der Dinge. Der andere soll jeweils zuhören, ohne den Partner zu unterbrechen. Ganz wichtig: Der Mediator hält sich im Hintergrund. Er stellt Fragen, versucht herauszufinden, welche Ursachen der Konflikt wirklich hat, urteilt aber nicht, wer Recht oder Unrecht hat.
"Viele Menschen erwarten, dass der Mediator eine Art Zauberkünstler ist, der ihnen die eigene Arbeit an den Problemen abnimmt. Das geht natürlich nicht, die Menschen müssen selbst an ihrer Beziehung arbeiten wollen", stellt Schieferstein klar. Oft würden die Streithähne sich außerdem gegenseitig die Schuld an der Situation geben und hofften, dass sie einen Streit gewinnen könnten. "In einem gesunden Streit geht es aber nicht ums Gewinnen, sondern ums Verstehen", sagt der Mediator.
"Verständnis bedeutet nicht Akzeptanz, sondern nur ein nicht Missverstehen", ergänzt Mediator Wozniewski. Doch er ist sicher: "Die Akzeptanz kommt ganz von alleine, wenn Missverständnisse und damit auch Misstrauen und Befürchtungen geschwunden sind. Denn jeder hat ein Bedürfnis nach fairen und gerechten Lösungen. Deshalb berücksichtigt man auch die Interessen des anderen, vorausgesetzt – wie gesagt – man misstraut dem anderen nicht mehr, eben weil man ihn dann tatsächlich 'durchschaut'." Im Idealfall führt das dann dazu, dass Vertrauen und Sympathie füreinander wieder wachsen.
Ungewöhnliche Mittel für ungewöhnliche Situationen
Manchmal kann ein unkonventioneller Weg zum Erfolg führen: Heike Bauer-Banzhaf berichtet von einem Paar, bei dem nach 20 Jahren Ehe und einem Seitensprung einfach die Luft raus war. Aus Rücksicht auf die Kinder und aus finanziellen Gründen wollten jedoch beide um die Familie kämpfen. Die Lösung: Jeder richtete sich im gemeinsamen Haus ein eigenes Zimmer ein. Bald fingen die beiden wieder an, sich gegenseitig zu besuchen und sich anzunähern.
In anderen Fällen lässt die Aussprache vor einem Unbeteiligten plötzlich einen Knoten platzen. Werner Schieferstein arbeitete mit einem Ehepaar, bei dem die Frau sich von ihrem Mann trennen wollte, sich aber nicht traute, weil sie finanziell abhängig von ihm war und unsicher wirkte. Irgendwann während einer Mediation fragte er: "Können Sie sich denn mehr zutrauen?" Die Ehefrau antwortete ihm gar nicht, sondern ging plötzlich auf ihren Mann zu, gab ihm die Hand und sagte: "Ich will es versuchen." Schieferstein erzählt: "Beide hatten in diesem Moment Tränen in den Augen. Ich weiß nicht genau, was da passiert ist, aber es war wie eine Versöhnung und wirklich ergreifend."
Wenn die Partner mit sich selbst im Reinen sind und Geduld mit dem anderen haben, kann es also auch mit der Versöhnung klappen. Die Mediatoren berichten, dass manche Paare zur letzten Sitzung schon eine Flasche Rotwein mitgebracht haben, um auf die Zukunft anzustoßen. "Manchmal kriegen wir das Happy End auch nicht mit, aber ich glaube, dass man fast jede Beziehung retten kann, wenn sich beide mal geliebt haben", sagt Werner Schieferstein. "Es braucht manchmal nur jemanden, der dabei hilft, diesen Schatz wieder auszugraben."