Bibeln in verschiedenen Sprachen
Foto: Anne Kampf/evangelisch.de
Das Neue Testament in der Indianersprache Cree, auf Romanes und auf Uigurisch
Pfingstwunder bei Wycliff: "Gott spricht wie ich!"
Wenn es doch nicht so mühsam wäre! Das Neue Testament in eine noch unerforschte Sprache zu übersetzen, dauert Jahre, manchmal Jahrzehnte. Manchmal wünschen sich die Bibelübersetzer von Wycliff ein Wunder: Dass sie die Sprachen einfach könnten – wie in der Pfingstgeschichte.

"Gott liefert uns sein Wort aus, dass wir's übersetzen dürfen", sagt Silke Sauer, Pressereferentin von Wycliff Deutschland. 13 Jahre lang hat die Diplom-Übersetzerin mit ihrem Mann und drei Kindern im Tschad gelebt und gearbeitet. "Ich würde sagen, der Heilige Geist ist immer dabei. Wir arbeiten ja mit Gottes Wort, von dem wir glauben, dass es inspiriert ist. Da ist Ehrfurcht dabei. Ich will keine Fehler machen." Doch auch Luther hat Fehler gemacht beim Übersetzen der Bibel. Weil es fast unmöglich ist, in einer anderen Sprache exakt denselben Sinn wiederzugeben. "Die Arbeit ist immer vom Gebet begleitet, dass Gott uns diese Sprache aufschließt. Aber ich kann mich nicht nur auf den Heiligen Geist verlassen, ich muss schon gute Arbeit machen", ist Silke Sauer überzeugt.

Langsames Lernen statt Feuerzungen und Wind

Rund 7100 Sprachen gibt es auf der Welt, in 554 davon steht die komplette Bibel zur Verfügung, in 1333 das Neue Testament. Die Wycliff-Bibelübersetzer, benannt nach dem englischen Reformator John Wycliff, gehen davon aus, dass "in 1778 Sprachen ... noch ein Übersetzungsprojekt angefangen werden muss". Besonders schwierig sei die Arbeit in den Ländern, "wo Christen gar nicht gern gesehen werden", sagt Silke Sauer.  Der weiße Fleck liegt zwischen dem 10. und dem 14. Breitengrad – in Asien, im Nahen Osten.

Ein Übersetzungsprojekt beginnt damit, dass Sprachforscher ins Land reisen, zuhören und versuchen zu verstehen. Die Sprachen sind oft noch nicht verschriftlicht, also müssen Linguisten die Laute erst einmal in Buchstaben und Wörter fassen. "Es erfordert sehr viel Konzentration und man muss sich immer wieder hineinknien", seufzt Lydia Hoeft, die ab 1993 einige Jahre bei den Koorete in Äthiopien gelebt hat – als einzige weiße Ausländerin. Ein Sprachwunder wie zu Pfingsten in der Apostelgeschichte wäre ihr sehr gelegen gekommen: "Es gibt dort niemanden, der mir erklären kann: 'Guck mal, bei uns läuft das so und so ab, wenn jemand das tut, dann bedeutet es dieses'…", beschreibt sie die Schwierigkeiten am Anfang. "Die Leute leben in ihrer eigenen Kultur und reflektieren wenig darüber. Ich musste einfach vieles durch Beobachten lernen."

Audio: Anne Kampf/evangelisch.de

Noch während sie versuchen, Sprache und Kultur zu verstehen, denken die Wycliff-Forscher und ihre einheimischen Übersetzer-Kollegen schon an die Bibeltexte. Wie könnte man "Heiliger Geist" oder "Feuerzungen" in der Sprache dieses Volkes ausdrücken? Besonders schwierig sind abstrakte Begriffe aus dem Neuen Testament, "Vergebung" zum Beispiel, wenn es die Idee des Vergebens in der Kultur des Volkes einfach nicht gibt. Dann sucht das Team nach anderen Begriffen oder Redewendungen, die die Menschen kennen. Eine erste Textfassung wird aufgeschrieben und vorgelesen, um zu testen, ob die Menschen alles richtig verstehen. Nochmal korrigieren, nochmal prüfen. Das Neue Testament in Koorete war 2008 endlich fertig.

Bibeln zum Lesen, Hören und Anschauen

Es ist ein großer, schöner Moment, wenn Christen in einer kleinen Volksgruppe das Wort Gottes in ihrer eigenen Sprache in den Händen halten, wenn sie es lesen und verstehen können. "Ein Aha-Erlebnis", sagt Silke Sauer. "Es rührt die Leute an: Gott spricht so wie ich!" Dabei ist es mehr als ein Nebeneffekt, dass Menschen durch die Arbeit von Wycliff überhaupt lesen und schreiben lernen.

Angelika Marsch leitete bis 2014 das deutsche Wycliff-Zentrum in Burbach (NRW) mit rund 150 Mitarbeitenden. Das Buch in ihren Händen ist der Ethnologue, in dem alle bekannten Sprachen der Welt verzeichnet sind.

Alphabetisierung und Bildung ist – ganz im Sinne der Reformation – ein wichtiger Arbeitszweig der Organisation. "Das hat auch etwas mit der Würde des Menschen zu tun", sagt Angelika Marsch, die von 2000 bis 2014 Wycliff Deutschland leitete und vorher in Peru mit indigenen Völkern gearbeitet hatte. "Wenn sie ihre Sprache lesen und schreiben können, dann können sie wirklich sagen: 'Jetzt bin ich jemand!' Es erfüllt sie mit Stolz."

Neben gedruckten Bibeln gibt es mittlerweile auch Hörbibeln in diversen Sprachen, federführend ist dabei die Organisation "Faith Comes By Hearing" (FCBH). Praktisch ist das zum einen für ältere Menschen, denen das Lesenlernen zu viel Mühe bereiten würde, zum andern besitzen immer mehr Menschen Smartphones, auf denen sie ihre Hörbibel speichern können. Auch für die Koorete wurde eine Audioversion hergestellt, "mit Hintergrundgeräuschen und Musik", berichtet Lydia Hoeft. "Ich finde es sehr schön zu erleben, dass Leute danach fragen. Manche kommen zu mir und lassen es sich auf ihr Handy laden, aber sie geben es sich auch untereinander weiter." Das Interesse ist da, die Technik auch – so verbreitet sich Gottes Wort als mp3 in Äthiopien und anderswo auf der Welt.

Es gibt sogar Bibeln zum Anschauen. Wipawee und Olaf Kaiser produzieren gerade eine – und zwar in thailändischer Gebärdensprache. Beide sind gehörlos, haben sich in einer ungarischen Bibelschule für Gehörlose kennengelernt und beherrschen jeweils mehrere Gebärdensprachen: die deutsche, die thailändische und die amerikanische. In den vergangenen zwei Jahren hat das Ehepaar in Thailand biblische Geschichten für die gehörlosen Christen dort übersetzt.

Das dauert. Aus einem Kanon von 32 Erzählungen – von der Schöpfung bis zur Himmelfahrt – sind gerade mal drei komplett fertig: "Das ist die Geschichte von dem Taubstummen, der wieder hören und sprechen kann, dann von diesem lahmen Mann, der von seinen vier Freunden durchs Dach gelassen wird und die Geschichte von der blutflüssigen Frau, die durch Jesus geheilt wird", gebärdet Wipawee Kaiser. "Fertig" bedeutet: Es gibt sie als geprüftes Gebärden-Video mit Bildern im Hintergrund.

"Jede Sprache kann Gottes Schönheit ausdrücken"

Warum brauchen gehörlose Christen die Bibel in Gebärdensprache – können sie sie nicht einfach in der Schriftsprache lesen? Können sie, natürlich, aber "die Lautsprache ist eine Fremdsprache für Gehörlose", erklärt Olaf Kaiser. "Das heißt, sie lesen in einer Fremdsprache, in der sie viele Wörter nicht kennen und nicht verstehen. Deswegen ist das Verständnis sehr schwierig."

Zwei Sprachen, zwei Gebärden: Olaf und Wipawee Kaiser zeigen, wie "Heiliger Geist" in deutscher und thailändischer Gebärdensprache ausgedrückt wird.

In Thailand sei es noch komplizierter, denn zum einen sei die Schulbildung für Gehörlose nicht so gut wie in Europa, berichtet Wipawee Kaiser, zum andern sei die Bibel in der "Königssprache" geschrieben – in einer Hochsprache, die im Alltag niemand benutzt. "Ein Gehörloser hat noch mehr Schwierigkeiten, das zu verstehen als das normale Thai." Bei so vielen Hindernissen hilft nur ein gutes Video. "Bilder, das Visuelle insgesamt, ist für Gehörlose einfach sehr wichtig", ergänzt Olaf Kaiser.

Es sieht schön, fast anmutig aus, wenn Wipawee Kaiser mit erstem Gesichtsausdruck die Geschichte von der Heilung des Taubstummen gebärdet. Jede Sprache – ob zum Anschauen, Hören oder Lesen – hat ihre besondere Ästhetik. "In anderen Kulturen fangen plötzlich andere Dinge an zu leuchten", beschreibt Silke Sauer ihre Erfahrung. Das Forschen und Übersetzen "macht Gottes Wort reicher, es nimmt dem Wort nichts weg. Ich sehe etwas, was ich vorher nicht gesehen habe." Ein über 100 Jahre altes Beispiel aus Neuguinea ist mittlerweile zum Wycliff-Buchtitel geworden: Dort hatte ein Missionar lange nach einem Wort für "Hoffnung" gesucht – bis ein Einheimischer es ihm angesichts des Todes plötzlich sagte: "durch den Horizont sehen".

Ein Blick ins Bücherregal macht deutlich, wie groß der Reichtum der Sprachen ist. Silke Sauer zeigt Neue Testamente auf Cree, einer Indianersprache aus zackigen und runden Zeichen. Auf Uigurisch, das mit Ornamenten verziert ist. Auf Koorete, sehr fremd wirkende Schriftzeichen, die Lydia Hoeft fließend vorlesen kann. "Ich habe bei dieser Arbeit gesehen, dass jede Sprache etwas von Gottes Schönheit ausdrückt", sagt sie, nachdem sie die ersten Verse aus der Pfingstwundererzählung gelesen hat, "und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen" (Vers 4).

Nachdenklich lässt Lydia Hoeft die Koorete-Bibel sinken. "Ich denke auch, dass jede Sprache Gottes Wahrheit ausdrücken kann. Der Gedanke bewegt mich sehr. Gott hat nicht das Griechische gewählt, weil Griechisch so besonders geeignet wäre, um seine Gedanken auszudrücken. Jede Sprache kann das."