Mit Schutzwesten und Baseballschlägern will die jüdische Selbstschutzgruppe in Kiew ihre Minderheit vor Angriffen schützen.
Foto: Wikimedia Commons/Fedotto
Die Brodsky Synagoge in Kiew
Kiews Juden rüsten sich gegen Gewalt
Trotz der gerade zu Ende gegangenen Präsidentschaftswahlen ist die Lage in der Ukraine nach wie vor unstabil. Vor einem erneuten Ausbruch der Gewalt fürchten sich auch die ukrainischen Juden. In Kiew gründet sich deshalb eine Gruppe zum Schutz der Juden - von Israel unterstützt, von den ukrainischen Behörden geduldet.

Das Singen und Klatschen von vierzig Männern hallt durch die Synagoge. Sie stehen zwischen den Bänken und wiegen sich im Takt der Gesänge. Jeder trägt eine Kippa und einen Gebetsschal. Einige Frauen schauen von der Empore herunter, in ihren Händen halten sie eine Torah.

Es ist Sabbat, jüdischer Feiertag. Trotzdem ist die Brodksy-Synagoge, eine der Hauptsynagogen in Kiew, nicht voll besetzt. In der ukrainischen Hauptstadt leben rund 110.000 Juden. Glaubt man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, so sind die Juden des Landes in Gefahr. Denn die aktuelle Übergangsregierung der Ukraine sei faschistisch und antisemitisch eingestellt.

Man solle Putins Propaganda nicht glauben, sagt ein älterer Herr, der gerade aus der Synagoge kommt: "Es ist alles ruhig hier. Das, was Putin über Antisemitismus erzählt, ist glatt gelogen. Hier leben Ukrainer und Juden sehr friedlich miteinander."

Selbstschutzgruppe für die Sicherheit

Ein anderer Besucher der Synagoge war vor einigen Monaten mit auf dem Maidan und hat dort gegen Janukowitsch protestiert. "Ich denke, dass die Freundschaft zwischen Juden und Ukrainern noch enger geworden ist. Denn wir standen neben einander auf den Barrikaden – das schweißt zusammen", sagt er. Ein schüchterner junger Mann steht auf den Eingangstreppen der Synagoge.

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Er äußert sich als Einziger besorgt: "Wenn man auf dem Maidan rumlaufe, dann hat man schon etwas Angst – vor allem, wenn man eine Kippa trägt. Man könnte überfallen werden, wenn sie merken, dass du Jude bist. Sie kommen dann zu dir und fangen an, Fragen zu stellen: "Warum läufst du hier mit einer Kippa rum?""

In den vergangenen Monaten gab es einige Angriffe auf Juden und Synagogen, in Kiew und im Osten des Landes. Ein Mann wurde auf dem Weg von der Synagoge nach Hause verfolgt und mit einem Messer attackiert. In Donezk, im Osten des Landes, verteilten Separatisten Flyer in einer Synagoge. Darauf stand: Juden sollten sich registrieren lassen, weil ihre Rabbis für die ukrainische Regierung seien. Wer sich weigere, werde enteignet.

Einige jüdische Institutionen, darunter die Jewish Agency, gaben daraufhin bekannt, der jüdischen Gemeinschaft in der Ukraine dabei helfen zu wollen, die Sicherheit zu erhöhen.

Er wolle die Lage nicht dramatisieren, sagt Tzveli Arieli. Er ist aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Kiew. Vor zehn, zwanzig Jahren sei die Sicherheit für Juden viel schlechter gewesen. Trotzdem baut Arieli in Kiew derzeit eine Selbstschutzgruppe auf. Der Oberrabbiner der Ukraine, Yaakov Bleich, habe ihn vor einigen Wochen darum gebeten. "Alle Ukrainer sind im Moment nicht in Sicherheit. Aber die Juden sind noch gefährdeter als die anderen. Weil sie in jedem Konflikt als politischer Spielball missbraucht werden", sagt Arieli.

"Falls es Krieg gibt, werden wir da sein"

Er vermutet, dass pro-russische Separatisten hinter den Angriffen auf Juden stehen – um die ukrainische Regierung beschuldigen und ihr Antisemitismus vorwerfen zu können. In den vergangenen Monaten gehe es um politische Ziele: "Die früheren Angriffe auf Juden waren alle spontan. Nicht so, wie es jetzt passiert. Jetzt folgen sie alle paar Wochen einem Juden und schlagen ihn zusammen - organisiert. Wir beobachten einen Trend."

Tzveli Arieli, der Anführer der jüdischen Selbstschutzgruppe in Kiew.

Tzveli Arieli wurde in der israelischen Armee ausgebildet. Während der zweiten Intifada zur Jahrtausendwende war er Teil der Elitetruppe "Golani". Sein Körper wirkt durchtrainiert. Er ist höflich und sehr ernst. Vor zwei Wochen ist Arieli wieder nach Israel geflogen. Sein Auftrag: Waffen und andere Ausrüstung für die Gruppe zu organisieren. Alles, was sie bis jetzt haben, sind Baseballschläger. Nun hat Arieli einige schusssichere Westen aus Israel mitgebracht. Wenn mehr Spenden eingehen, werden sie auch Waffen kaufen, um die jüdische Gemeinde zu schützen.

Die acht Männer der Gruppe, darunter Anwälte und Ökonomen, trainieren zurzeit ein bis zwei Mal die Woche. Einer von ihnen ist Nicht-Jude. Fast alle haben eine militärische Ausbildung, einer ist Boxer. Grundsätzlich verstehen sie sich als "schnelle Eingreiftruppe", die bei Angriffen zu Hilfe eilt. Ihr Vorbild sind ähnliche Gruppen in Israel. Arieli betont aber immer wieder, dass seine Gruppe die Auseinandersetzung nicht suche: "Wir gehen nicht auf die Straße mit Waffen. Wir wollen andere nicht provozieren. Aber falls es Krieg gibt, werden wir da sein."

Antisemitismus macht unbeliebt

Die ukrainischen Behörden waren mit der Gründung der Selbstschutzgruppe einverstanden. Die Übergangsregierung, sagt Arieli, sei sehr freundlich gegenüber Juden. Aber die ukrainische Polizei und Armee seien sehr schlecht ausgebildet. Sollte es wieder zu Unruhen kommen, könnten sie die Juden nicht beschützen. "Deshalb sind sie ganz froh, dass es uns gibt. Denn auch für die ukrainische Regierung ist es besser, wenn keine Angriffe auf Juden in die Nachrichten kommen", sagt Arieli.

Dass die ukrainische Regierung antisemitisch eingestellt sei, hält auch Josef Zissels für russische Propaganda. Er ist Vorsitzender der Vereinigung jüdischer Organisationen in der Ukraine und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses. Er ist ein gefragter Gesprächspartner in diesen Tagen. Gerade kommt er aus den USA, in Kürze fliegt er weiter nach Polen.

Selbst die nationalistische Partei Swoboda, die zurzeit drei Minister stellt, hält er nicht für judenfeindlich. Dabei äußerte sich der Vorsitzende der Partei, Oleg Tyahnybok, oft antisemitisch. Josef Zissels nimmt das nicht ernst: "Einige Mitglieder von Swoboda sind antisemitisch. Aber Swoboda ist keine antisemitische Partei. Es gibt nichts Antisemitisches in ihrem politischen Programm. Swoboda ist eine radikal demagogische Partei. Sie reden nur und handeln nicht."

So wie Zissels äußern sich viele Juden in Kiew, auch Arieli, der Anführer der Selbstschutzgruppe. Swoboda habe erkannt, sagt er, dass man sich mit Antisemitismus in der Ukraine und im Westen nicht beliebt macht.