iStockphoto
TV-Tipp des Tages: "Clara Immerwahr" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Clara Immerwahr", 28. Mai, 20.15 Uhr im Ersten
Clara Immerwahr setzt sich über die gesellschaftlichen Konventionen des späten 19. Jahrhunderts hinweg, macht Abitur und besteht 1900 als erste deutsche Frau überhaupt das Doktorexamen. Doch der Versuch einer Emanzipation mündet in einem erschütternden Ende.

Dieses Drama hätte ein großer Film über eine große Frau werden können, über eine brillante Chemikerin, die schließlich allen Widerständen zum Trotz triumphiert und eine glänzende Karriere macht. Zu Beginn sieht auch alles danach aus, als könne Clara Immerwahr ihre Ziele verwirklichen: Sie setzt sich über die gesellschaftlichen Konventionen des späten 19. Jahrhunderts hinweg, macht Abitur und besteht 1900 als erste deutsche Frau überhaupt das Doktorexamen. Kurz drauf heiratet sie Fritz Haber, der wie sie aus einer jüdischen Breslauer Familie stammt. Auch er ist Chemiker. Gemeinsam träumen sie davon, eines der drängendsten Probleme jener Zeit zu lösen: Die Landwirtschaft benötigt dringend künstlichen Dünger; Clara und Fritz setzen sich das kühne Ziel, "Brot aus Luft" zu machen.

Die Geschichte eines Scheiterns

Eine Weile lang ist "Clara Immerwahr" in der Tat das Porträt einer starken Frau, die das Zeug dazu hat, Geschichte zu schreiben. Doch während Fritz Haber 1919 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist ihr Name in Vergessenheit geraten. Dass die ARD dennoch an diese Pionierin erinnert, ist respektabel, denn der Film erzählt die Geschichte eines Scheiterns: Der Versuch einer Emanzipation mündet in einem erschütternden Ende. Mit einem stummen Schrei als Schlusspunkt ihres Lebens setzt die pazifistische Heldin zudem ein vergebliches Zeichen: Ihr ehrgeiziger Gatte hat die einstigen Pläne in ihr Gegenteil verkehrt; es ist ihm zwar gelungen, mit künstlich hergestelltem Ammoniak eine Basis für Kunstdünger zu entwickeln, doch er nutzt die Erfindung, um ein Kampfgas herzustellen, das im Ersten Weltkrieg Tausende von Opfern fordert.

Die ARD zeigt den Film im Rahmen der Erinnerungen an den Kriegsbeginn vor hundert Jahren, doch "Clara Immerwahr" ist weit mehr als bloß ein Gedenktagsbeitrag. Die Anknüpfungspunkte des durch Regisseur Harald Sicheritz bearbeiteten Drehbuchs von Susanne Freund und Burt Weinshanker sind offensichtlich, und das nicht allein, weil Wissenschaft auch heute noch eine Männerdomäne ist: Als Clara schwanger wird und einen Sohn zur Welt bringt, ist die Karriere vorbei. In einer der bedrückendsten Szenen des Films verweigert man ihr den Zutritt zum Labor des in Amerika weilenden Gatten, obwohl sie bis zur Schwangerschaft maßgeblich an der Suche nach synthetischem Ammoniak beteiligt war; als sie sich zur Wehr setzt, wird sie kurzerhand in eine Nervenheilanstalt eingewiesen.

Sicheritz, Regisseur einiger bemerkenswerter ORF-"Tatorte", inszeniert das historische Drama nicht nur im Hinblick auf die Ausstattung sorgfältig, aber vergleichsweise konventionell. Damit entspricht er jedoch jener Handschrift, wie sie für Stoffe dieser Art typisch ist; das Drama erinnert optisch und inhaltlich an den gleichfalls im Auftrag des SWR entstandenen Film "Carl & Bertha" (über das Ehepaar Benz), der etwa zur gleichen Zeit spielte.

Dank der starken Handlung und vor allem der herausragenden Hauptdarsteller ist "Clara Immerwahr" dennoch ein nicht bloß wichtiger, sondern auch fesselnder Film. Sieht man davon ab, dass Katharina Schüttler ohne deutlich sichtbare äußerliche Veränderung einen Zeitraum von dreißig Jahren überbrückt, ist ihre Verkörperung der tragischen Titelfigur jederzeit nachvollziehbar. Gleiches gilt für Maximilian Brückner als Ehemann Fritz, der sich vom Idealisten zum Karrieristen wandelt und nicht nur die Träume seiner Frau, sondern auch die Ehe bedenkenlos opfert. Mit August Zirner als Claras Vater, der sie nach Kräften unterstützt, sowie Peter Simonischek als frauenfeindlichem Institutsleiter sind auch die Nebenrollen hochkarätig besetzt.