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Die deutsche evangelische Kirchengemeinde in Lissabon zählt zu den ältesten Auslandsgemeinden.
ZDF-Gottesdienst aus Lissabon: Die Gemeinde fühlt europäisch
Wenn Anke Stalling durch den Pfarrhaus-Flur schreitet, geht sie an ihren Vorgängern vorbei. 25 Porträts hängen dort. Die Wurzeln der deutschen evangelischen Gemeinde in Lissabon reichen bis 1761 zurück. Die Hauptstadt der Seemacht Portugal zog Einwanderer aus ganz Europa an, darunter reiche deutsche Kaufleute. Ihre Nachfahren trotzen der Euro-Krise.
22.05.2014
evangelisch.de
Dominik Speck

Nur die deutschen Kirchengemeinden in Stockholm und London sind älter als die Lissabonner Gemeinde. Auf diese Tradition ist die Gemeinde stolz. "Wir haben Familien, die seit fünf oder mehr Generationen in Lissabon leben und fest mit unserer Gemeinde verbunden sind", sagt Anke Stalling. "Diese deutsche Community ist lange Zeit unter sich geblieben."

Seit 2009 betreut die Pastorin der Oldenburgischen Landeskirche gemeinsam mit ihrem Mann Stefan die Gemeinde. Im ZDF-Fernsehgottesdienst am 25. Mai wird sie die Predigt halten, er musiziert.

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Das Gotteshaus der Gemeinde steht seit 78 Jahren. Seit 1961 lädt eine Glocke zu den Gottesdiensten ein. Es war die erste "evangelische" Glocke auf der katholischen iberischen Halbinsel. Zuvor durften Protestanten hier nicht läuten. Etwa 300 Mitglieder hat die Gemeinde, zu den Gottesdiensten kommen aber wesentlich mehr Menschen. Neben den alteingesessenen deutschstämmigen Familien kommen Auswanderer, die oft auch Portugiesen geheiratet haben. Und dann gibt es noch Gemeindebesucher, die nur für ein paar Jahre in Lissabon sind.

Die sozialen Härten im Krisenland Portugal bekommt auch die deutsche Gemeinde zu spüren. "Weniger bei unseren eigenen Finanzen, da sind wir noch ganz gut aufgestellt", sagt Stalling – und das, obwohl die Gemeinde nur rund 10 Prozent ihres Budgets von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erhält. "Einige Mitglieder konnten den Gemeindebetrag zwar nicht mehr bezahlen, aber insgesamt sind die Einnahmen stabil, auch durch Spenden aus Deutschland." Spenden erbittet die Gemeinde derzeit vor allem für ihr Kirchendach: Es ist marode und muss erneuert werden.

Eine wichtige Einnahmequelle für die Gemeinde sind Trauungen. "Lissabon ist gerade en vogue", sagt Stalling. "Viele Deutsche, die eigentlich gar nichts mit Portugal zu tun haben, kommen zum heiraten hier her, weil es so schön ist."

Das Gotteshaus der Gemeinde wurde 1934 eingeweiht

Obwohl es der Gemeinde selbst vergleichsweise gut geht, sind Armut und Arbeitslosigkeit allgegenwärtig. Arme Leute kommen zur Gemeinde, betteln um Brot. "Wir haben viele Rumänen hier, die in Portugal ihr Glück suchen", sagt Stalling. "Sie klingeln bei uns, wollen Geld und etwas zu Essen".

Altersarmut ist ein großes Problem in Portugal, die Renten sind niedrig, die Lebenskosten steigen. Seit der Regierungszeit des Diktators Salazar galt ein Gesetz, das Mieterhöhungen verbot. Manche Mieten galten über den Tod des Mieters hinaus, verharrten über 100 Jahre auf demselben Preis.

Auch manche Gemeindemitglieder hatten solche Erbrechtmietverträge, zahlten nur 60 Euro Miete. "Bei so niedrigen Mieten sind natürlich keine Investitionen möglich, was man den Gebäuden in Lissabon auch ansieht", sagt Stalling. Jetzt wurde das Gesetz gekippt. Die Folge: Manche Gemeindeglieder konnten sie sich die Mieten nicht mehr leisten und müssen noch im hohen Alter umziehen. Die Gemeinde hilft dabei.

Von sozialen Sicherungssystemen wie in Deutschland können die Portugiesen nur träumen. Umso mehr ist der diakonische Beistand der Gemeinde gefragt. Der zeigt sich auch, wenn Gemeindeglieder nach Operationen aus dem Krankenhaus entlassen werden – wie in Portugal üblich schon nach zwei Tagen. "Wir vermitteln dann Pflegedienste und Übernachtungsplätze, gehen einkaufen, kümmern uns um die Betroffenen", sagt Stalling. "So etwas wie Kurzpflege oder Reha gibt es hier ja gar nicht."

Angela Merkel ist tabu

Die mangelnde soziale Absicherung trifft auch deutsche Auswanderer, die bei der Arbeitssuche in Portugal glücklos bleiben. "Die stranden dann bei uns", sagt Anke Stalling. "Oft können wir ihnen nur raten, wieder nach Deutschland zurückzugehen."

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Dann ist da noch die hohe Jugendarbeitslosigkeit. "Als wir letztes Jahr eine Sekretärinnenstelle ausgeschrieben haben, haben sich unglaublich viele junge Portugiesen beworben, egal ob es von den Qualifikationen her gepasst hat", sagt sie. Und gerade die gut ausgebildeten jungen Leute gehen weg. "Das ist schwierig für die portugiesische Seele, die sehr stark auf die Familie ausgerichtet ist". Im Chor der Gemeinde singen junge Menschen, die unter der Perspektivlosigkeit leiden.

Dass Portugal jüngst den Euro-Rettungsschirm verlassen hat, stimmt Anke Stalling nur bedingt optimistisch: "Bis es hier wieder besser wird, wird es noch dauern". Die Sparmaßnahmen gehen weiter.

Kleinere Länder wie Portugal fürchten, dass die großen europäischen Geschwister sie überwältigen. Die reicheren Länder dagegen haben Angst, dass die ärmeren ihnen etwas wegnehmen, sagt Stalling. Nicht nur in Lissabon, wo 2007 kurz vor der Krise der EU-Reformvertrag unterzeichnet wurde, bröckelt die europäische Identität. Auch darum wird es im ZDF-Fernsehgottesdienst gehen.

Anfeindungen als Vertreter des reichen Deutschlands hat die Gemeinde nur selten erlebt. "Einmal war eine anti-deutsche Schmiererei an der Mauer", sagt Stalling. "Und eine Frau aus dem Seniorenkreis redet mit einer portugiesischen Freundin grundsätzlich nicht mehr über Angela Merkel."

Die Gemeinde fühlt europäisch – ob jemand Deutscher ist oder Portugiese, ist hier nicht so wichtig. "Viele hier sind halbe Portugiesen geworden, essen Stockfisch und schmücken ihre Häuser mit Azulejos, den typischen portugiesischen Kacheln", sagt Stalling. Die Pastorin appelliert an die europäische Solidargemeinschaft: "Wenn alle Länder in Europa gleich viel leisten müssen, kann Portugal nicht mithalten."