Foto: Maria Vaorin / photocase.com
Brasilien: Mit 15 auf dem Kinderstrich
Hunderttausende Kinder werden im brasilianischen Sexgewerbe missbraucht, Tendenz steigend. Professionelle Anwerber locken die Minderjährigen mit falschen Versprechen. Kinderschützer befürchten einen weiteren Anstieg während der Fußball-WM.
21.05.2014
epd
Andreas Behn

Zwei Mädchen gehen die lange Reihe wartender Lastwagen entlang. Sie tragen eng anliegende T-Shirts, kurze Jeans-Shorts und Flipflops. Die beiden Brasilianerinnen sind vielleicht 15, höchstens 16 Jahre alt. Sie bieten den Fahrern offensichtlich sexuelle Dienste an. Eine steigt in ein Führerhaus, die andere geht zum nächsten Lastwagen. Solche Szenen, wie sie der Fernsehsender "Globo" aus der Hafenstadt Paranaguá zeigte, spielen sich in Brasilien immer häufiger ab.

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Die Kinderprostitution wächst sprunghaft, und Hilfsorganisationen befürchten einen weiteren Anstieg während der Fußball-Weltmeisterschaft, die am 12. Juni beginnt. Immer wieder prangern Brasiliens Medien die Prostitution von Kindern und Jugendlichen an. Auch die Regierung warnt, dass Sex mit Minderjährigen mit Haftstrafen geahndet wird. Erst Mitte Mai verabschiedete der Kongress eine Gesetzesverschärfung, die Sex mit Kindern und Jugendlichen als schweres Verbrechen einstuft und den Strafrahmen erhöht.

Trotz Aufklärung ist das Phänomen im größten Land Lateinamerikas weit verbreitet, besonders im verarmten Nordosten, aber auch in den Metropolen Rio de Janeiro oder São Paulo im Süden. UNICEF schätzt, das über 250.000 Kinder im Sexgewerbe ausgebeutet werden. Zur Weltmeisterschaft wird eine Zunahme des Sex-Tourismus befürchtet, der auch Minderjährige betrifft.

Umgerechnet 20 Euro, Ausländer zahlen manchmal 40

"Viele sehen älter aus als sie sind. Aber es sind Kinder, die oft von skrupellosen Leuten ausgebeutet und in die Prostitution gezwungen werden," erklärt Johnny Gwynne. Der Brite organisiert zusammen mit brasilianischen Nationalspielern in England eine Kampagne, um die Fans zu sensibilisieren. Annäherungsversuche der Mädchen bedeuteten nicht, dass es sich um eine freiwillige sexuelle Dienstleistung handelt, warnt Gwynne. "Wer sich darauf einlässt, wird bestraft."

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"Kinderprostitution hat es hier schon immer gegeben, doch jetzt haben sich die bekannten Fälle verdreifacht," erklärt Marlúcia Ramos. Sie arbeitet in der Gesundheitsbehörde in Fortaleza, einem beliebten Urlaubsziel an der Atlantikküste. "Am Wochenende kommen Busse aus dem Landesinneren und bringen die Jugendlichen in die Puffs an den Stränden, manche sind jünger als zehn Jahre," berichtet Ramos. Die Kontrollen seien verschärft worden. Doch oft ließen sogar die großen Hotels Freier in Begleitung Minderjähriger unbehelligt.

Isa wird bald 16. Die Kunden zahlen umgerechnet 20 Euro für ihre Dienste. "Nein, meine Eltern wissen nicht, dass ich manchmal anschaffen gehe," sagt sie und blickt nervös die belebte Strandpromenade von Fortaleza entlang. Wenn Isa Geld braucht, kommt sie hierher, manchmal ist auch eine Freundin dabei: "Immer auf eigene Faust." Mit dem Bus braucht sie fast zwei Stunden. Aber der Platz mitten im Touristenviertel habe einen Vorteil: "Hier kommen viele Ausländer vorbei, und die zahlen mehr, manchmal sogar 40 Euro," sagt Isa.

Adidas nahm aufreizende T-Shirts zurück

Zumeist sind Mädchen Opfer der sexuellen Ausbeutung, knapp 20 Prozent sind Jungen. Die meisten kommen aus sehr armen Verhältnissen. Viele sind drogenabhängig. Kinderrechtler haben herausgefunden, dass professionelle Anwerber Minderjährige mit falschen Versprechen locken oder sogar mit dem Einverständnis der Eltern ins Sexgeschäft schleusen.

Beim Umgang mit dem Problem werfen Kritiker Regierung und Unternehmen mangelndes Fingerspitzengefühl vor. Für Aufregung sorgten etwa T-Shirts des Sportartikel-Herstellers Adidas mit aufreizenden Bikini-Mädchen und zweideutigen Sprüchen. Nach Sexismus-Vorwürfen nahm Adidas die Shirts Ende Februar aus den Sortiment. Präsidentin Dilma Rousseff nahm dies zum Anlass, vor Werbung für Sextourismus zu warnen.

Roberto Chateaubriand von der Organisation Davida, die sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen einsetzt, stellt vor der WM klar: Es sei "gefährlich, Ausbeutung von Kindern und Prostitution von Erwachsenen miteinander zu vermischen". Das eine sei eine Straftat, das andere ein legaler Beruf  - egal ob die Freier aus Brasilien oder aus dem Ausland stammen.