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Gärtnern gegen das System
In urbanen Gärten wachsen Gemüse und Gemeinschaft
Lebensmittelanbau in der Metropole: Urbane Gärten sind ein Modell für die Zukunft. Statt Lebensmittel herzukarren, lassen die Bewohner Obst und Gemüse auf Brachflächen oder Balkonen gedeihen. Beim gemeinsamen Gärtnern wächst nebenbei die Gemeinschaft. Wir haben uns im Kölner Neuland-Garten umgesehen.

Trotz kühlen zwölf Grad und Nieselregen schlendert eine ältere Dame über den Kölner Neuland-Garten. Knapp drei Kilometer vom Dom entfernt warten Setzlinge von Tomaten und Zucchini, Möhren, und Bohnen, Topinambur und Beerensträuchern in über 400 gezimmerten Pflanzkisten auf Pflege, Wärme und Sonne zum Wachsen.

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"Das gibt es nur hier. Vorher sah es ja schrecklich bei uns aus", erklärt die Dame in schönstem Kölsch. Einst war das Gelände eine Industriebrache. Sie schlendert durch ein Gewirr von Pflanztöpfen, bepflanzten Reissäcken, Bauwagen und Werkstatt-Containern. Sie sucht Rat und einen Eimer rote Tonerde für die Kübelpflanze auf ihrem Balkon. Beides bekommt sie ohne große Umstände von Dirk Kerstan. Seit 2012 sorgt der gelernte Verlagskaufmann als Gartenkoordinator dafür, dass die anfallenden Gartenarbeiten gut abgestimmt und möglichst fachgerecht vonstattengehen.

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Was ein urbaner Garten alles leisten kann, hat Kerstan bei einem Praktikum in den Berliner Prinzessinnengärten erlebt. Vor einigen Jahren befreiten Anwohner eine Brachfläche in Kreuzberg von Müll und verwandelten sie in einen Nutzgarten. Dirk Kerstan ist begeistert vom Konzept der urbanen Gärten, die es mittlerweile zum Beispiel in Wuppertal, Hamburg, Ludwigshafen und Bonn gibt. "Die Lebensmittelskandale der letzten Jahre, Dioxin, Pestizide, Gammelfleisch, haben mich genervt. Deshalb wollte ich etwas tun", erklärt er.

Obwohl das gärtnerische Wissen vor allem beim gemeinsamen Gießen oder Pflanzen weitergeben wird, ist die Organisation der Arbeit nicht einfach. In dem basisdemokratisch organisierten Garten gibt es keine festen Arbeitszeiten. Anders als in Schrebergärten kann hier niemand eine einzelne Parzelle mieten. Im Kölner Neuland soll das Allmende-Prinzip wiederbelebt werden. Aller Besitz ist gemeinsam, rund 150 Menschen aus verschiedensten Generationen und Schichten gärtnern mit. Da wächst nicht nur das Gemüse, sondern auch die Gemeinschaft.

Zeit für die Ernährungswende?

"Wir können zeigen, dass es möglich ist, Lebensmittel in der Stadt anzubauen. Es reicht nicht zur Selbstversorgung, aber wir können Menschen inspirieren", hofft Kerstan. Schulkinder erleben im Kölner Neuland, dass es Tomaten nicht das ganze Jahr über gibt und Kartoffeln nicht im Supermarkt wachsen. Erwachsene hören Vorträge über Bodengesundheit, Stadtentwicklung und Welternährung. In Workshops wird praktisches Wissen vermittelt – zum Beispiel über Mulchen, Gießen oder der Erhaltung alten Saatgutes.

###mehr-info### Für Wilfried Bommert, Sprecher des Instituts für Welternährung, gehören Initiativen wie der Kölner Neuland-Garten zu den Wegbereitern einer "Ernährungswende", die aus seiner Sicht unbedingt nötig ist. Die immer weiter wachsenden Städte "sind in Sachen Ernährungssicherheit nämlich höchst verwundbar", schreibt er in seinem Buch "Brot und Backsteine – Wer ernährt die Städte der Zukunft". Die Zukunft, glaubt Bommert, liegt nicht in globalen Lebensmittelströmen, sondern im regionalen Anbau in Stadtlandschaften.

Tatsächlich steigt die Zahl der Städter, die Garagendächer, Balkone oder winzige Vorgärten nutzen, um auf kleinstem Raum Salat, Tomaten oder Bohnen ziehen. "Jede Tomate, die auf dem Balkon angebaut wird, muss nicht aus Spanien hergekarrt oder aufwändig in holländischen High-Tech-Gewächshäusern gezogen werden", erklärt Kerstan.

Dazu passt, dass im Kölner Neuland mit Recycling-Werkzeugen gegärtnert wird. Toilettenpapierrollen werden zu Anzuchttöpfen, Haushaltseimer zu Komposteimern umfunktioniert. Die Pflanzkisten werden aus recycelten Euro-Paletten gezimmert.

Ein Anbau direkt im Stadtboden wäre oft gar nicht möglich. Zu viele Altlasten schlummern darin – wie im Kölner Neuland, wo nichts direkt in die Erde gesät werden darf.

Seit Karfreitag gibt es dank Südstadt-Pfarrer und Neuland-Sympathisant Hans Mörtter neben der roten Tonerde auch etliche Quadratmeter saftig grünen Rollrasens. Der stammt aus einem Kunstprojekt über den biblischen Garten Gethsemane in der Lutherkirchengemeinde. "Die Städte gehören den Menschen. Und das Kölner Neuland hilft, sie den Menschen wieder als Lebensraum zurückzugeben. Beim Gärtnern entsteht Gemeinschaft – wie etwa beim generationsübergreifenden Gärtnern, das hier angeboten wird", sagt Mörtter. "Hier können sinnliche Erd-Erfahrungen gemacht werden. Wir sind doch Erdlinge", erinnert der evangelische Pfarrer an die biblische Erzählung von dem aus Erde geschaffenen Adam.