evangelisch.de: Mr. Potts, "One Chance" erzählt nicht nur von Ihrem Weg zum Erfolg als Opersänger, sondern auch von einer Kindheit, die durch Mobbing und Gewalt in der Schule gekennzeichnet war. In Ihrem Buch werden diese Erfahrungen sehr viel deutlicher gezeigt als im Film.
###mehr-personen###
Paul Potts: Ja, und das war allein meine Entscheidung. Diese Erfahrungen waren sehr finster und es ist nicht einfach, damit zu leben. Hätten wir das im Film so dargestellt, wie es sich tatsächlich zugetragen hat, würde das die Zuschauer verstören. Ich wollte, dass dies in erster Linie ein lustiger Film wird, weil ich mein Leben trotz alledem als eine seltsame Komödie sehe. Wenn Sie denken, dass der Typ, den Sie im Film sehen, ungeschickt ist, kann ich Ihnen versichern, dass er im echten Leben noch sehr viel tollpatschiger war. Ich bin sieben- oder achtmal von einem Auto umgefahren worden. Im Film sieht man das nur einmal. Es stimmt, ich hatte eine sehr schwierige Kindheit, aber wenn der Film sich zu sehr darauf konzentriert hätte, wäre die Angelegenheit zu ernst geworden. Ich glaube die Botschaft des Filmes kommt besser rüber, wenn die Leute dabei lachen. Der Film zeigt, dass das Leben keine gerade Straße ist, die von A nach B führt.
Woher wussten Sie so genau, wo Sie hinwollten?
Potts: Ich wusste, wo ich hin will, aber ich hätte nie gedacht, dass ich dort ankomme. Dafür fehlte mir das Selbstvertrauen. Da war die Angst vor der Zurückweisung viel zu groß. Ich habe mir lieber vorgeworfen, dass ich nicht zu einem Vorsingen gegangen bin, weil ich dann wenigstens noch die Illusion hatte, dass ich es hätte schaffen können. Das war mir lieber, als hinzugehen und möglicherweise abgelehnt zu werden. Ich weiß, das macht wenig Sinn, aber so war ich damals strukturiert. Und das lag natürlich an meinen Kindheitserfahrungen. Wenn man zwölf Jahre lang in der Schule verprügelt wird, entwickelt man sich zu einem sehr verletzlichen Wesen. Ich habe mir für alles, was mir angetan wurde, selbst die Schuld gegeben. Das ging soweit, dass ich von dem Leiter einer Jugendgruppe sexuell missbraucht wurde und ich mich nicht gewehrt habe, weil ich dachte, ich sei nichts wert.
Paul Potts Auftritt bei "Britain's Got Talent" machte ihn 2007 zum YouTube-Star.
Was würden Sie einem Kind raten, das in der Schule gemobbt und geschlagen wird?
Potts: Es ist wichtig, dass man – anders als ich es getan habe - die Gewalt nicht in sich aufnimmt. Man kann sie nicht ignorieren. Viele Leute sagen, dass man Mobbing einfach ignorieren muss. Das ist falsch. Es ist am Besten, wenn man nicht darauf reagiert, aber man darf es nicht ignorieren. Ignorieren heißt Verdrängen. Verdrängen macht einen zu einem leichten Opfer für alle Formen von Missbrauch. Je mehr man das in sich hineinfrisst, umso weniger Selbstwertgefühl hat man. Es ist sehr wichtig, dass Kinder, die unter Mobbing leiden, mit anderen darüber reden. Viele Leute sagen, dass es an den Schulen null Toleranz gegenüber Mobbing geben sollte. Aber was heißt das schon? Rigide Strafen für die Täter helfen den Opfern nicht. Die Opfer brauchen eine bessere Beratung. Und es muss eine Möglichkeit geben darüber zu reden, ohne jemanden gleich anzeigen zu müssen.
Wie viel Selbstbewusstsein gibt Ihnen der Gesang. Wie viel Selbstbewusstsein brauchen Sie zum Singen?
Potts: Singen war das Einzige, was mir als Kind wirklich wichtig war. Der Gesang hat mich geerdet. Wenn ich sang, konnte mich niemand angreifen. Aber genau das machte es auch so schwierig, dass ich mich mit meinem Gesang dem Publikum stellte, weil ich meinen einzig sicheren Ort für andere öffnen musste. Deshalb habe ich lange nur für mich selbst gesungen. Ich bin auch heute trotz meines Erfolges kein besonders selbstbewusster Mensch. Mir hat einmal jemand gesagt, dass Sänger arrogant sein müssen, um auf der Bühne zu bestehen. Ich glaube, dann müsste ich mit dem Singen aufhören.
###mehr-info###
Sie sind durch eine Talentshow im Fernsehen buchstäblich über Nacht berühmt geworden. Wie blicken Sie heute auf diese schicksalhafte Wendung in Ihrem Leben?
Potts: Ich glaube nicht, dass das Schicksal darüber entscheidet, wo uns das Leben hinführt. Man bekommt für sein Leben bestimmte Zutaten in die Hand, aber egal wie hervorragend diese Zutaten auch sind: Man muss auch wissen, wie man sie zusammenrührt und daraus einen schmackhaften Kuchen backt. Und da kann man ganz schnell etwas falsch machen. Das Schicksal kommt nicht von selbst. Man muss ihm auch den Weg bahnen. Und dafür braucht man wiederum Selbstvertrauen. Mir fehlte das Selbstbewusstsein, mein Schicksal in die Hand zu nehmen, und am Ende hat mir der Zufall sehr geholfen.
Wie sind Sie mit dem plötzlichen Erfolg umgegangen?
Potts: Ein Vorteil von Mobbing-Erfahrungen ist, dass man lernt sich anzupassen. Als sich in meinem Leben nach dem Auftritt bei "Britain's Got Talent" alles ganz plötzlich änderte, war ich in der Lage mich anzupassen und von einem Tag auf den nächsten zu leben – so wie ich es immer getan habe.
###mehr-artikel###
Sie kommen aus Working-Class-Verhältnissen. Hat man da von Hause aus ein bodenständigeres Verhältnis zum Erfolg?
Potts: Meine Haltung hat sich in den meisten Dingen durch den Erfolg nicht geändert. Die britischen Medien haben sich darüber lustig gemacht, dass ich mir einen gebrauchten Mercedes gekauft habe, wo ich mir doch einen neuen hätte leisten können. Aber warum soll ich 6000 Pfund mehr bezahlen, nur damit ich ein nagelneues Auto habe, das nach der ersten Fahrt schon als Gebrauchtwagen gilt?
Was halten Sie von TV-Talentshows, in denen die Bewerber ja oft sehr rüde behandelt werden?
Potts: Diese Talentshows sind okay, solange die Leute nicht vorgeführt und zur Schnecke gemacht werden. Aber es gibt auch Menschen, die immer wieder in diese Shows gehen, um sich herunterputzen zu lassen. Manche Leute wollen einfach nur berühmt werden, koste es was es wolle. Berühmtheit ist mir vollkommen egal. Ich bin froh und glücklich, dass ich durch die Welt reisen kann, um das zu tun, was ich am liebsten mache. Aber was mich antreibt ist eher die Liebe zur Performance und zur Musik. Ich will einfach nur singen.