Foto: Luise Poschmann
Pfarrer Johannes Block vor dem Portal der Stadtkirche Wittenberg
Wittenberg: Spenden für die Mutterkirche der Reformation
Zu wenig Geld, zu wenig Kirchgänger, verfallende Kirchen? Von wegen! Unsere evangelischen Gemeinden sagen "Jetzt erst recht!" und haben gute Ideen, wie sie ihre Gebäude erhalten können. Zum Beispiel in Wittenberg, der Stadt der Reformation. Die Stadtkirche ist stark sanierungsbedürftig, die Gemeinde muss für die Instandsetzung 1,5 Millionen Spendengelder selbst einholen – und ist stolz auf die vielen Einfälle, mit denen sie das schafft.

Die Stadtkirche Wittenberg ist von einem Baugerüst umhüllt.

Selbst das größte Schmuckstück der Stadt- und Pfarrkirche St. Marien in Wittenberg ist verhüllt, ein Gerüst umschließt den Reformationsaltar von Lukas Cranach dem Älteren. Unter den Plastikplanen lassen sich die feinen Darstellungen auf vier Tafeln aus dem Jahr 1547 nur erahnen, normalerweise ist es Besuchern auch gar nicht erlaubt, das Kirchenschiff während der Bauarbeiten zu betreten. Es wird gehämmert, gesägt und mit äußerster Sorgfalt an den wertvollen Kunstgegenständen gearbeitet, denn die Wittenberger Stadtkirche ist stark sanierungsbedürftig. Seit 2010 Jahren wird sie restauriert und soll spätestens 2017 vollständig in altem Glanz erstrahlen – ein Mammutprojekt, das 7,8 Millionen Euro kosten wird.

1,5 Millionen Euro davon muss die Kirchengemeinde selbst aufbringen – ein immenser Betrag für eine Gemeinde, die rund 3800 Mitglieder hat und mitten in Sachsen-Anhalt liegt, wo sich nur ein Bruchteil der Menschen überhaupt einer Kirche zugehörig fühlt. Dabei geht es bei der Sanierung nicht nur um die Instandsetzung irgendeiner Kirche: Von diesem Gebäude ging die Reformation im frühen 16. Jahrhundert aus. Dort hielt Martin Luther (1483-1546) den ersten Gottesdienst in deutscher Sprache und mit protestantischem Abendmahl ab, dort heiratete er die einstige Nonne Katharina von Bora (1499-1552) und ließ die gemeinsamen Kinder taufen. Die Wittenberger nennen die Stadtkirche deshalb stolz die Mutterkirche der Reformation – auch wenn die berühmten 95 Thesen wenige Schritte weiter an der Schlosskirche angeschlagen wurden.

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Die denkmalgeschützte Stadtkirche ist an vielen Ecken marode, seit Jahrzehnten ist sie stets nur dürftig restauriert worden. Um die finanzielle Kraftanstrengung zu bewältigen, hat sich die Gemeinde professionelle Hilfe von der Fundraising Akademie in Frankfurt geholt und eine Arbeitsgemeinschaft für die Spenden-Akquise gebildet. Bei regelmäßigen Treffen halten sie sich über die verschiedenen Projekte auf dem Laufenden, zuletzt gab es unter anderem eine große Versteigerung auf dem Ostermarkt.

Eine große Orgelpfeife habe mehrere Hundert Euro gebracht, erzählt Kirchmeister Bernard Naumann, zwei Wittenberger hätten sich "richtig hochgesteigert", freut sich der 59-Jährige. Kuchen, selbstgestrickte Socken, Stauden und alte Liedtafeln seien gut weggegangen. "Nächstes Mal sollten wir die Geschäfte aber auch mal direkt ansprechen", schlägt der Kirchmeister der Gemeinde vor. "Und wenn Sie nur fünf Kisten Tomaten oder ein paar Bücher für die Versteigerung geben."

"Das schönste und größte Originalgebäude der Reformation"

"Uferlos" viele Aktionen habe die Gemeinde angestoßen, berichtet Pfarrer Johannes Block und weiß gar nicht, wo er anfangen soll zu erzählen. Die Herausforderung habe ihn erst einmal ratlos gemacht, meint der Pfarrer, der seit drei Jahren die Stelle in Wittenberg innehat. "Die Summe liegt bei uns ja nicht unter dem Tisch", sagt er und fügt hinzu: "Aber dann kamen so viele, viele Ideen."

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Ein besonderer Gewinn sei die Schirmherrschaft von Opernsänger und Fernsehmoderator Gunther Emmerlich, berichtet Block. Emmerlich setze sich unter anderem mit Benefizkonzerten und mit seinen Kontakten in die Politik für das Projekt ein. Während die Kirche noch geöffnet war, lag dort eine spezielle Spendentüte aus und vor Ostern startete die Kampagne "500 x 500". Sie soll 500 Einzelspenden à 500 Euro zusammenbringen, aber auch Großspender werden direkt angesprochen. Weitere Aktionen sind zum Beispiel zum Reformationstag geplant. Über die Internetseite können sich die Bürger stets informieren, wie der Stand der Bauarbeiten und der Spenden ist.

Kirchmeister Bernhard Naumann neben einem Abbild vom "Weinberg des Herrn".

Alle Ideen und Projekte stehen unter dem Slogan "Luthers Kirche – Cranachs Werke – Ihre Spende", der genau das Gefühl anspricht, das die Gemeinde in Wittenberg hervorrufen will und selbst schon lebt: Natürlich zerren die Spenden-Akquise und der Umbau an den Kräften, doch die außergewöhnliche Aufgabe wiegt die Anstrengung auch auf. "Es ist eine große Ehre, das für die Mutterkirche der Reformation zu leisten", sagt Pfarrer Block mit Nachdruck, auch wenn bisher nur knapp ein Zehntel der erforderlichen 1,5 Millionen Euro zusammengekommen ist.

Schwierig ist auch, dass während der Bauarbeiten Besucher wegbleiben. Damit die Touristen wenigsten den Cranach-Altar aber doch noch zu sehen bekommen, ist von ihm in einem bereits fertig gestellten Teil der Kirche ein Abbild aufgebaut, anhand dessen zum Beispiel Kirchmeister Naumann die Darstellung erklärt. Ein "Trostpflästerchen" nennt Block diesen Bereich, in dem auch Postkarten und Kalender verkauft werden. Naumann erklärt den Reformationsaltar und ein daneben stehendes Tafelbild von Cranach dem Jüngeren mit dem gleichen Enthusiasmus wie vor dem Original.

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Seine Finger streifen über jedes Detail, er zeigt, wie die Grundzüge des evangelischen Kirchenlebens dargestellt und gleichzeitig die Akteure der Zeit bildlich mit eingebunden wurden. "Das ist die bildgewordene Antwort auf die Frage, was die evangelische Kirche ist", meint Naumann und fügt hinzu: "Und alles hier, in dem schönsten und größten Originalgebäude der Reformation."

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