Frau Illner, ist "Ich kann Kanzler" Ihr Beitrag gegen die Politikverdrossenheit?
Maybrit Illner: Ach, ich finde die Deutschen ja gar nicht so politikverdrossen. Gucken Sie sich an, was gerade durch die Piraten passiert. Jeder Dritte hat doch gefühlt schon die Flagge gehisst und will den etablierten Politikbetrieb entern (lacht). Bei "Ich kann Kanzler" gibt es nun weniger sportliche Spontanbewerbungen, eher die Versuche von jungen Leuten, mit einer guten politischen Idee andere sprachlos zu machen - am besten auch Olli Welke, Michael Spreng und mich.
Könnten Sie selber Kanzler?
Illner: Das Kanzleramt oder schlicht das Politikerleben locken mich so gar nicht. Es braucht dafür schon eine besondere charakterliche Prägung: Man braucht eine Affengeduld. Man muss aushalten, dass einem dreihundert Mal am Tag gesagt wird, wie dämlich das ist, was man sich gerade ausgedacht hat, nur weil man in der gegnerischen Partei ist. Ganz zu schweigen von der Verantwortung, die man trägt. Ich habe davor ziemlich Respekt.
Was sind denn die wichtigsten Kanzler-Eigenschaften, die jeder Kandidat Ihrer Castingshow mitbringen muss?
Illner: Selber denken, das Wissen der anderen aufsaugen, vor lauter Bäumen den Wald nicht aus dem Blick verlieren, Humor, verbale Kraft, Hartnäckigkeit - und ne Tendenz zum ordentlichen Pulli.
Werden Sie die Finalisten genauso grillen wie die Teilnehmer Ihrer Talkshow, oder gibt es so was wie Welpenschutz?
Illner: Welpen grillen ist ohnehin verboten. Scherz beiseite: Inhaltlich brauchen die Kandidaten bestimmt keine Schonung. Wer kann, der muss können!
Was ist im Zeitalter von Internet und sozialen Netzwerken wichtiger - die politische Idee oder wie man sich verkauft?
Illner: Dass Verkaufen in der Politik die halbe Miete ist, ist ja nichts Neues. Und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Aber die Marketingabteilung muss mit Inhalten gefüttert werden. Da gilt die gleiche Warnung vor Leerverkäufen wie eh und je - egal, ob es ein Plakat ist, das verspricht "Die Rente ist sicher", oder eine Internetseite.
Welcher Kandidat hat Sie am meisten überrascht? Vielleicht ja der 18-Jährige, der Guido Westerwelle als sein politisches Vorbild nennt?
Illner: Überrascht haben mich viele. Es ist schon bemerkenswert, was hinter den Stirnen dieser Mit- und Nachdenker vorgeht. So viel Lust auf Veränderung und Verbesserung steckt fast schon an. Und dass jemand mit 18 Guido Westerwelle als Vorbild nennt, war eine hübsche Pointe.
Sie haben vorhin schon die Piratenpartei erwähnt. Wie hat sich deren aktueller Boom denn in den Bewerbungen zu "Ich kann Kanzler" niedergeschlagen?
Illner: Auf jeden Fall ist eine Piratin im Finale gelandet, und zwar mit der Wild Card - also über den Platz, den die Netzgemeinde noch vergeben konnte. Sie selbst will überparteilich antreten, aber die Unterstützung für ihren Online-Wahlkampf kam bestimmt auch aus dem Heimathafen...
Was könnten Politiker von den Kandidaten lernen, wenn sie denn wollten?
Illner: Sie könnten zum Beispiel ihre Empörung über Ungerechtigkeiten zurückgewinnen oder ihre Begeisterung für ungewöhnliche Ideen, die sich nicht gleich auszahlen. Beides hat viele sicher mal in die Politik getrieben.
Hat eines der politischen Talente, die Sie gesichtet haben, das Zeug zum Berufspolitiker und wird Ihnen eines Tages in Ihrer Talkshow gegenübersitzen?
Illner: Den Sieger von "Ich kann Kanzler" aus 2009, Jacob Schrot, hatten wir schon in unserer Sendung, und der war toll. Aber wer nun tatsächlich aus der Politik einen Beruf machen möchte, das ist schwer zu sagen. Den Mut dazu traue ich jedem zu.