"Vielfältige Volkskirche setzt starke regionale Präsenz voraus"
Rund 800 Leitungspersonen aus evangelische Dekanaten und Kirchenkreisen beraten von Donnerstag bis Samstag auf dem Zukunftsforum 2014 im Ruhrgebiet über den kirchlichen Reformprozess. Vizepräsident Thies Gundlach vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sieht in der Verdichtung der regionalen Präsenz ein strategisches Ziel aller Reformprozesse: "Die Stärkung der mittleren Ebene sollte darum aus theologischen Gründen fortgesetzt werden, denn nur eine starke mittlere Ebene kann eine offene, vielfältige und liberale Volkskirche bleiben."

Herr Vizepräsident Gundlach, zum Zukunftsforum 2014 hat die evangelische Kirche die Repräsentanten der regionalen Leitungsebene aus den 20 Landeskirchen eingeladen - Dekane, Superintendenten und Pröpste. Kommt der Reformprozess, den die EKD 2006 angestoßen hat, damit verspätet an der Basis an?

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Thies Gundlach: Die regionale Leitungsebene ist von Beginn der Reformprozesse an ein entscheidender Träger; ohne das Engagement dieser sogenannten mittleren Ebene gab es und gibt es keine Reformprozesse vor Ort. Insofern ist das Zukunftsforum im Ruhrgebiet eine Art Zwischenbilanz der regionalen Veränderungsprozesse. Es geht uns auch darum, dieses hohe, oft ja auch kritisierte Engagement zu würdigen; und wenn das Zukunftsforum dann auch noch ein großes "Familienfest" wird mit vielen guten Begegnungen und der Verabredung, Botschafter für das Reformationsjubiläum 2017 in ihren Regionen zu werden, dann haben wir unser Ziel erreicht.         

Auf der Landkarte des Protestantismus in Deutschland gab es seit dem Start der kirchlichen Reformaktivitäten durchaus Veränderungen. Stichwort Mitteldeutschland und Nordkirche. Welches Veränderungspotenzial - organisatorisch und mental - sehen Sie auf der regionalen Ebene?

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Gundlach: Eine Zahl ist für mich besonders erstaunlich: Während der letzten zehn Jahre hat sich die Zahl der Kirchenkreise von fast 700 auf 563 reduziert; jeder, der an solchen Prozessen der Fusion oder Regionalisierung beteiligt war, weiß, wie viel Kraft und Kommunikation dies kostet. Zugleich war und ist diese Verdichtung der mittleren Ebene ein zentrales strategisches Ziel aller Reformprozesse gewesen. Denn die Stärkung der mittleren Ebene erlaubt es den Regionen, handlungsfähig zu bleiben, vielfältige Angebote zu erhalten, verschiedene Berufsgruppen zu beschäftigen und viele Anstellungsverhältnisse zu ermöglichen. Die Stärkung der mittleren Ebene sollte darum aus theologischen Gründen fortgesetzt werden, denn nur mit einer starken mittlere Ebene kann eine offene, vielfältige und liberale Volkskirche bestehen bleiben.

Ein Befund der jüngsten Mitgliedschaftsstudie der evangelischen Kirche besagt, dass für Kontakte der Mitglieder zur Kirche die Pfarrerschaft eine Schlüsselstellung einnimmt. Bedarf es angesichts der strukturellen Veränderungen wie Zusammenlegung von Kirchengemeinden und -bezirken zu größeren Einheiten in der evangelischen Kirche neben Konzepten für beweglichere Formen auch einer Diskussion über das künftige Pfarrerbild?

Gundlach: Diese Diskussion bedarf es immer und zu allen Zeiten und wird ja auch geführt; richtig aber ist, dass die Mitgliedschaftsuntersuchung die Diskrepanz zwischen interner und externer Plausibilität noch einmal deutlich macht. Während uns intern das "Priestertum aller Getauften" besonders wichtig ist und die Rede vom Pfarrer als "Schlüsselberuf der Kirche" in der Reformschrift "Kirche der Freiheit" auf viel Skepsis gerade auch unter Pfarrern gestoßen ist, gilt von außen gesehen der Grundsatz: Wo der Pfarrer gekannt wird, sinkt die Neigung zum Kirchenaustritt deutlich. Dagegen spielen andere Berufsgruppen, aber auch die Kirchenleitungen kaum eine Rolle. Natürlich hat es keinen Sinn, die verschiedenen Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen oder gar die Hauptamtlichen gegen die Ehrenamtlichen - die Kirche braucht alle. 

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Aber die evangelische Kirche ist eine pastoral definierte Vor-Ort-Kirche, wobei diese Präsenz keineswegs allein an die Parochie gebunden ist, sondern vielfältige Präsenzen kennt - in Schule und Akademie, in Amtshandlungen und auf Pilgerwegen. Und es könnte durchaus eine Konsequenz der Untersuchung sein, dass die Kirchen das Verhältnis zwischen gemeindlichen und übergemeindlichen Pfarrstellen neu justieren müssen. Über diese und andere Fragen des Reformprozesses wird sicher auch selbstkritisch diskutiert werden während des Zukunftsforums, um ihn dann konstruktiv und engagiert fortsetzen zu können.