Gott, Karel trat 1968 an. Das war das erste Mal, dass der ESC in Farbe übertragen wurde.
Foto: dpa/Jan Woitas
Gott, Karel trat 1968 an. Das war das erste Mal, dass der ESC in Farbe übertragen wurde.
Wo Gott mit Vornamen Karel heißt
Von vielen Fans sehnsüchtig erwartet, findet eine neue Ausgabe des Eurovision Song Contests (ESC) statt. Ein Anlass, um ein paar Randnotizen zum Verhältnis von Schlagergipfel und Religion zu sammeln.

Gott hat nur einmal am Sängerwettstreit teilgenommen. Und zwar 1968 in London. Karel Gott, "die goldene Stimme aus Prag", sang "Tausend Fenster", den von Udo Jürgens komponierten Beitrag aus Österreich. Und auch wenn immer wieder mal die Namen der Interpreten in diese Richtung zu weisen scheinen (Nino de Angelo zum Beispiel, 1989 für Deutschland am Start, oder Eva Santamaria, 1993 für Spanien) - eines kann gleich vorweggenommen werden: Mit Religion hat der Eurovision Song Contest offiziell überhaupt nichts am Hut.

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Ganz deutlich wurde das bei der Causa "Heilsarmee". Deren Sektion Schweiz/Österreich/Ungarn kam nämlich auf die Idee, in einem internen Casting eine Band zusammenzustellen und mit einem schmissigen Song ("You And Me") die große Bühne in Malmö zur Mission zu nutzen. Den Schweizern gefiel das Ganze so gut, dass sie die Formation auch tatsächlich dazu auserkoren, für sie im Finale in Schweden ins Rennen zu gehen. Den ESC-Veranstaltern von der European Broadcasting Union (EBU) aber passte das gar nicht: Sie sahen in diesem Unterfangen einen Verstoß gegen die geltenden Regeln der politischen und religiösen Neutralität. Deshalb ließen sie einen Auftritt nur unter zwei Bedingungen zu: Die charakteristischen Heilsarmee-Uniformen mussten zuhause bleiben (und wurden gegen weiße Hemden getauscht) und der Bandname musste geändert werden. So nannte sich die Kapelle nun "Takasa", was auf Suaheli soviel wie "gereinigt" bedeutet (und prima zu den weißen Hemden passte). Alle, die etwas weiter dachten als die EBU, erkannten natürlich die Abkürzung für "The Artists Known As Salvation Army".

Takasa

Gegenwind kam für die frommen Bänkelsänger von der Heilsarmee aber auch noch von anderer Seite: Schweizer Homosexuellen-Organsiationen wehrten sich heftig dagegen, dass ausgerechnet beim unter Schwulen und Lesben besonders populären ESC eine von ihnen als homophob angesehene Organisation den Vertreter für ihr Land stellen sollte  - und riefen zum Boykott auf. Allein: Ohne Erfolg. Genauso wenig wie es andersherum den ultra-orthodoxen Juden gelang, den Auftritt der transsexuellen Sängerin Dana International beim Wettbewerb 1998 in Birmingham zu verhindern. Die Diva trat für Israel an und erreichte unter dem großen Jubel ihrer Anhänger und vieler liberaler Israelis sogar den ersten Platz.

Dana International

Wiederum in der Schweiz versuchten 2007 ebenfalls religiös-konservative Gruppen den Auftritt eines arrivierten Künstlers für ihr Land zu verhindern: DJ Bobo sollte nach Meinung evangelikaler Christen seinen Wettbewerbsbeitrag zurückziehen. Der Grund: Der angeblich satanisch inspirierte Song "Vampires Are Alive" verletze ihre religiösen Gefühle. Innerhalb von zwei Wochen sammelten Vertreter der evangelikalen Partei Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) 49.082 Unterschriften für eine Petition. In dieser wurde die Schweizer Regierung aufgefordert, zu verhindern, dass DJ Bobo das Land im Europäischen Gesangswettbewerb mit Satanismus und Okkultismus statt mit schweizerischen Werten vertrete. Nur so sei der religiöse Frieden zu bewahren, hieß es. Auch die Schweizerische Evangelische Allianz sah in dem Song eine gefährlich "düstere Botschaft", die vor allem bei seelisch angeschlagenen Jugendlichen und Menschen in schwierigen Lebensumständen gesundheitliche Folgen haben könne. Der so gescholtene Künstler hingegen bezeichnete die Kritik als "grotesk und absurd", trat für die Schweiz an - und kam über das Halbfinale in Helsinki nicht hinaus.

Die Rock'n'Roll-Engel und das Hardrock-Gotteslob

In Helsinki fand die Veranstaltung im Übrigen ja deshalb statt, weil im Vorjahr erstmals überraschend eine Formation aus Finnland die Endrunde gewonnen hatte: Die Kostüm-Rocker von Lordi. Ihr Song: "Hard Rock Hallelujah" – ein ironisch-humorvolles Stück, gespickt mit Wortspielen, die biblische Bezüge aufweisen. So heißt es dort unter anderem: "It's The Arockalypse" oder "On the day of Rockoning" und "Rock 'n' roll angels bring that Hard Rock Hallelujah". Aber natürlich ließ auch hier der Protest von Menschen, die das Ganze allzu ernst nahmen, nicht lange auf sich warten. So hieß es zum Beispiel im Forum von kathnews.com kurz nach der Finalnacht in Athen ungläubig: "Sogar der finnische Ministerpräsident Matti Vanhanen zollt dem gotteslästerlichen Song seinen Respekt. Barmherziger Jesus erbarme dich unser!"

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Dabei hatte der Text wohl mehr direkte biblische Bezüge (zum Beispiel auf die Offenbarung) als der seines eigentlichen Bezugssongs, des strahlenden Siegers von 1979 in Jerusalem: "Hallelujah" von Gali Atari und Milk & Honey aus Israel. Die Ohrwurm-Hymne im Stile der Carpenters, die in ihrer deutschen Übersetzung hierzulande zu einem veritablen Hit wurde, hatte eher etwas von einem halbesoterischen Natur- und Weltfriedensschlager, mit Zeilen wie "Und jeder Vogel am Himmelszelt, alle singen dieses Lied: Hallelujah. Hallelujah, Lied der Welt, das die Wege des Lebens erhellt..." Textlich war das übrigens ein ähnliches Erfolgsrezept, wie das, welches drei Jahre später auch Nicole mit "Ein bisschen Frieden" zum ersten Sieg für Deutschland verhalf: "Und höre die Schreie der Vögel im Wind. Ich singe als Antwort im Dunkel mein Lied (...) Sing mit mir ein kleines Lied, dass die Welt im Frieden lebt..."

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Die Konfliktlinie zwischen konservativ-religiösen Gruppen und Pop-Künstlern aber scheint sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des ESC zu ziehen. So bekam es zum Beispiel 2012 auch der Sänger Can Bonomo mit religiösen Kritikern zu tun. Allerdings mit ultra-konservativen Muslimen. Der damals 24-Jährige trat in Baku mit dem Song "Love Me Back" für die Türkei an – als Jude. Seine Gegner behaupteten, als solcher könne er die Türkei nicht in einem internationalen Wettbewerb vertreten, im Internet kursierten regelrechte Hassmails, vor allem aus antiisraelischen Kreisen. Und Bonomo musste sich tatsächlich in Interviews rechtfertigen: "Ich bin Türke und werde in Baku die Türkei vertreten. Das Judentum ist eine Religion und meine Privatsache. Mit Israel hat das gar nichts zu tun. Wir leben seit 540 Jahren hier."

Max Mutzke

Und in Deutschland? Hier sah man das Ganze dann doch schon immer etwas entspannter. Die religiöse Komponente verdankte sich zudem scheinbar vor allen Dingen einem, den man kaum eines religiösen Eifers verdächtigen würde: Dem Moderator, Entertainer und Produzenten Stefan Raab. Schließlich waren es die aus seinen Casting-Aktionen hervorgegangenen Interpreten, die auch ihre religiöse Seite nicht versteckten. Max Mutzke, der Soul-Crooner aus dem Schwarzwald, sprach in Interviews offen über seinen Glauben. Und Lena Meyer-Landruth fiel durch die Tätowierung einer Ritterlilie, dem Zeichen des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen, auf dem Oberarm auf. Um den Hals trug sie eine Kette aus Taizé. Und der "Stern" brachte eine große Geschichte mit dem Titel: "Lenas religiöse Seite". Garniert war sie mit alten Fotos von einem zurückliegenden Besuch der Sängerin in der französischen Klostergemeinschaft. Fazit des Artikels: "Die Sängerin ist gläubig."

Vor allem aber produzierte Stefan Raab den Hit, mit dem der Schlager-Contest in Deutschland seine Popularität zurück gewann und vor allem bei einem jüngeren Publikum Kultstatus erlangte: "Guildo hat Euch lieb", gesungen vom kletternden Sozialpädagogen mit der Halbglatze: Guildo Horn.

Lena Meyer-Landrut

Das Phänomen, das damit einher ging, hatte bei all seiner ironischen Brechung durchaus quasi-religiöse Züge. So analysierte der Kulturwissenschaftler Rainer Topitsch auf der von der Münchner Universität betriebenen Seite "Medienobservationen" treffend: "Die religiösen Konnotationen sind auch bei Guildo Horn, der eigenen Angaben zufolge Marienerscheinungen hat, unübersehbar: Er wird von seinen Jüngern "Meister" genannt. Er ist der Befreier, der uns vom Mief des deutschen Schlagers befreit. Guildo Horn führt einen "Kreuzzug der Zärtlichkeit", er sieht sich selbst - wie Jesus - als "Menschenfischer". Er leidet für uns, wenn er sich einen Abend vor dem Auftritt zur deutschen Grand-Prix-Vorentscheidung aus Versehen Rheuma-Creme in die Augen schmiert. (...) Er liebt uns, wie Gott uns geliebt hat. Wie Gott ist er uns so fern und gleichzeitig so nah: Da wär' ich so gern, wär' den Sternen nicht mehr allzu fern. Von dort schicke ich Euch meinen Liebesbeweis: Nussecken und Himbeereis."

Guildo Horn

Offen religiös wurde es schließlich immer wieder mal im deutschen Vorentscheid. Zum Beispiel im vergangenen Jahr, als "Die Priester" zusammen mit der Sängerin Mojca Erdmann und einer Neufassung des Marienlieds "Ave Maris Stella" antraten. Die Gruppe bestand aus drei "echten" Priestern, nämlich Benediktinerabt Rhabanus Petri aus dem niederbayerischen Kloster Schweiklberg, Pater Vianney Meister, Chefkantor der Mönchs-Schola in der oberbayerischen Erzabtei Sankt Ottilien, und dem in Wien ansässigen deutschen Weltpriester Andreas Schätzle. Als Geistliche hätten sie das Anliegen, das weiterzugeben, was das Glaubensleben ausmache, sagte Petri in einem Interview. Das Rennen machte allerdings ein anderes Trio: Cascada.

Mit Gott und der EKD zum Grand Prix

Und schlussendlich hatte ja auch die EKD ihren Versuch: 2002 - mit der großangelegten Aktion "Mit Gott zum Grand Prix" - versuchte sie damals zusammen mit der Nordelbischen Kirche und der Plattenfirma Polydor, die christliche Popband "Normal Generation?" mit ihrem Song "Hold On" zum Finale des Schlagergipfels zu bringen. Es reichte immerhin zu einem dritten Platz beim deutschen Vorentscheid in Kiel und einer ambitionierten Folgeaktion: "Mit Gott in die Charts". Ziel sei es, so hieß es damals, "durch die Symbiose von aktueller Popmusik und christlicher Ethik eine neue positive Grundstimmung für Glaubensaussagen in der jungen Generation zu schaffen."

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Vielleicht hätte man sich bei all diesen Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte ein Beispiel an einer ganz besonderen Formation aus dem Finale 2013 in Malmö nehmen sollen: Den russischen Großmütterchen der "Babuschkis". Sie beließen es zum einen dabei, den ESC als das zu sehen, was er de facto auch ist: Ein Event, das nur einer Sache verpflichtet ist – der Unterhaltung. Nicht umsonst hieß der Titel, mit dem die alten Damen einen umjubelten zweiten Platz für Russland holten, "Party For Everybody".

Zum anderen aber verkündeten die sechs Sängerinnen, dass sie mit den Einnahmen aus ihrem Erfolg gerne eine neue Kirche für ihr Dorf finanzieren wollten: Sie würden davon träumen, das in der Sowjetzeit zerstörte Gotteshaus wieder aufzubauen: “Das ist unser einziges Ziel. Großmütter brauchen keinen Ruhm und Reichtum.”

Dieser Beitrag erschien erstmals am 9. Mai 2014 auf evangelisch.de