Das Handlungsmuster ist ein Klassiker. Eine Familie, zusammengepfercht auf engstem Raum und ohne Fluchtmöglichkeit: Da geht’s alsbald zur Sache. Weil die besonderen Umstände den alltäglichen Anstand zerfetzen wie eine dünne Plastikhülle, quillt nach und nach wie Eiter aus einer Wunde all das heraus, was die Beteiligten viel zu lange mühsam unterdrückt haben. Eifersucht, Missgunst, Ablehnung bis hin zum blanken Hass: Wer eine Familie hat, braucht keine Feinde.
Gemessen am Potenzial des Stoffes hat Rainer Kaufmann seine Möglichkeiten in dem Familiendrama "Das Beste kommt erst" gar nicht mal ausgeschöpft. Aber seiner Stammschreiberin Kathrin Richter ("Die Apothekerin", "Kalt ist der Abendhauch", "Ein fliehendes Pferd") und ihrem Koautor Jürgen Schlagenhof schwebte ohnehin eine Komödie vor, die mit leisen Tönen arbeitet. Abgesehen von einer Szene, in der die Lautstärke allerdings auch durch die Naturgewalten vorgegeben ist, fechten die handelnden Figuren lieber mit dem feinen Florett als mit dem verbalen Degen.
Auf eigenen Füßen stehen
Um so entscheidender war die Auswahl der Schauspieler. Kaufmann hat sich ein vorzügliches Ensemble zusammengestellt. Die acht Rollen sind fast gleichrangig, aber zwei ragen doch heraus: Friedrich von Thun verkörpert mit gewohnter Grandezza den Patriarchen Karl Maillinger, einen Schraubenfabrikanten, der nicht loslassen kann, obwohl seine Tochter Anna (Sophie von Kessel) längst bereit wäre, die Firma zu übernehmen. Nun wird der alte Herr siebzig, doch die geplante Feier in seiner Münchener Villa sagt er ab; statt dessen kommandiert er seine Familie in die Berghütte. Dort kommt es dann zu verschiedenen kleineren und größeren Eklats. Unter anderem schockiert Karl seine Kinder mit der Nachricht, seine gerade mal halb so alte moldawische Haushälterin Dina (Franziska Schlattner) heiraten zu wollen, obwohl er sie erst seit drei Monaten kennt. Als er Anna, die sich seit Jahren selbstlos um alles kümmert, brüskiert und die Leitung der Firma seinem ältesten Sohn (Marc Hosemann) anbietet, setzt er damit eine Entwicklung in Gang, die mit seiner eigenen Demontage endet. Und so führen diese Tage im Spätherbst eines Jahres und eines Lebens dazu, dass Maillingers Kinder endlich lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.
Die Figuren mögen ein wenig klischeehaft wirken, werden aber ausnahmslos vortrefflich verkörpert: Vince (Hosemann) ist ein Versager, der all sein Geld in Koks investiert. Er muss den verhassten Vater sogar um Geld anbetteln, um seinen Dealer (Eisi Gulp) zu bezahlen, der ihn auch in den Bergen beliefert. Sohn Tom (Fabian Hinrichs) ist ein Weltverbesserer, der seine Geschwister mit ständigen Vorträgen über die armen Menschen in Afrika nervt. Bei Vinces jüngster Eroberung (Petra Schmidt-Schaller) hinterlässt er damit allerdings nachhaltigen Eindruck. Nesthäkchen Miriam, genannt "Mausi" (Anneke Schwabe), ist ein verwöhntes Ding, das seit zehn Jahren Kunst studiert. Ihr Mangel an Selbstvertrauen hindert sie nicht daran, sich schamlos an Annas Mann (Filip Peeters) ranzumachen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Komödie, die allen Beteiligten offenbar vorschwebte, ist der Film jedoch nicht geworden, dafür sind Umstände und Dialoge doch zu lebensnah. Gerd Baumanns Kompositionen wirken allerdings immer wieder wie ein ironischer Kontrapunkt, zumal einige Szenen in der Tat von absurder Komik sind, etwa der Baumwipfel, der bei einem nächtlichen Unwetter ins Dach der Hütte kracht und am nächsten Morgen in seiner Plastikumhüllung wie ein bizarrer Fremdkörper wirkt. Annas Töchter schweben in ihren weißen Kleidern zudem wie zwei unberechenbare Waldgeister durch die Geschichte. Die Lichtsetzung von Kameramann Klaus Eichhammers Lichtsetzung sorgt zudem für eine wundervolle "Indian Summer"-Atmosphäre, die am Schluss dem Winter weichen muss: Ein überraschender Schneefall während der Dreharbeiten kam gerade recht, um die familiären Veränderungen zu verdeutlichen.