Die evangelischen Pflegeeinrichtungen protestieren am 12. Mai bundesweit gegen Missstände in der Pflege. Warum eigentlich? Die Bundesregierung hat doch eine umfassende Pflegereform für diese Legislaturperiode angekündigt...
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Renate Gamp: Damit die Pflegereform wirklich umfassend wird, muss sich noch einiges tun. Dafür setzen wir uns am 12. Mai ein. Die Pflege leistet gute Arbeit, steht aber unter großem Druck. Den Druck, der auf uns lastet, und damit die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs wollen wir der Öffentlichkeit und der Politik aufzeigen. Durch die Aktionen in ganz Deutschland wollen wir an die Politik das Signal senden: Lasst den Worten Taten folgen!
Im nächsten Jahr erhöht die Bundesregierung das Budget für Pflegeleistungen um 2,5 Millionen Euro. Bis 2017 sollen die Beiträge der gesetzlichen Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte auf 2,55 Prozent des Bruttoeinkommens erhöht werden. Ist das nicht genug?
Gamp: Die Milliardensummen sind auf den ersten Blick beeindruckend. Bei näherem Hinschauen relativiert sich das allerdings: Denn die für 2015 geplanten Leistungserhöhungen der Pflegeversicherung um vier Prozent sind weder für die Pflegeeinrichtungen ein korrekter Inflationsausgleich noch fangen sie die Kostensteigerungen für die Pflegebedürftigen auf. Außerdem kommen von den Einnahmen der nächsten Beitragserhöhung 1,31 Milliarden Euro nicht der Pflege zugute, weil sie in den umstrittenen Pflege-Vorsorgefonds abfließen. Dieses Geld wird aber heute schon gebraucht.
Erst kürzlich hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verbreiten lassen, dass er es eilig hat mit einer strukturellen Pflegereform, die eine deutlich bessere Betreuung im Alter ermöglichen soll. Glauben Sie ihm nicht?
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Gamp: Aufgrund unserer Erfahrungen muss Skepsis erlaubt sein. Das sind richtige Schritte, aber Pflegende und pflegebedürftige Menschen haben in den letzten Jahren einfach zu viele Ankündigungen gehört, die sich nicht erfüllt haben. Währenddessen ist die Situation in der Pflege immer kritischer geworden. Wir fordern, die Leistungen der Pflegeversicherung bis 2020 zu verdoppeln, damit Pflege wieder bezahlbar wird. Die Pflegeversicherung muss, wie schon zu ihrer Einführung vor 20 Jahren beabsichtigt, wieder leisten, dass Menschen mit Pflegebedarf nicht über Gebühr auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
Gröhe will die aufwendige Pflegedokumentation vereinfachen. Die Pflegekräfte sollen dadurch wieder mehr Zeit für ihren eigentlichen Job bekommen, nämlich die Betreuung der Bedürftigen.
Gamp: Das ist sehr zu begrüßen. Beim Bürokratieabbau ist endlich Land in Sicht. Wir haben die Hoffnung, dass das neue, bundesweit geplante Dokumentationsverfahren das Zeug hat, die Pflegewelt nachhaltig zu verändern.
Der Pflegeberuf soll attraktiver werden. Dazu wollen Bund und Länder die Pflegeausbildung vereinheitlichen und das Schulgeld abschaffen. Hilft das, mehr Menschen in den Pflegeberuf zu locken und dadurch die Versorgungslücke zu schließen?
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Gamp: Das Schulgeld abzuschaffen, ist wohl das mindeste, was getan werden muss, um mehr Menschen für eine Pflegeausbildung zu interessieren. Die Attraktivität der Pflegeausbildung hängt jedoch von viel mehr ab. Den Wettbewerb um Pflegekräfte können wir nur mit guten Rahmenbedingungen, einem verlässlichen Tariflohn für alle Beschäftigten und neuen, attraktiven Ausbildungsprofilen gewinnen, die mehr Karrierewege zulassen. Wir unterstützen die von der Regierung beabsichtigte Vereinheitlichung der Pflegeausbildung. Denn die generalistische Ausbildung ermöglicht einen direkten beruflichen Einstieg in alle Tätigkeitsfelder des Gesundheits- und Pflegewesens.
Der Sozialverband VdK will vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Verletzung der Menschenwürde in der Pflege klagen. Wird der VdK hierfür Unterstützung aus Ihrem Verband bekommen?
Gamp: Problematisch an der Klage ist, dass suggeriert wird, die Versorgung im professionellen Kontext sei nicht verfassungskonform. Wir befürchten, dass mit dieser Argumentation ein katastrophales Bild der Pflege reaktiviert wird, das wir gerade hinter uns gelassen haben. Das dürfen wir nicht zulassen. Die politische Diskussion darüber, dass unsere Gesellschaft die vordringliche Aufgabe hat, "gut" mit ihren Pflegebedürftigen umzugehen, ist immer noch notwendig. Wir wollen das auf dem politischen Weg vorantreiben - wie am 12. Mai mit dem Diakonie-Aktionstag. Ansonsten geht es bei der Klage um eine interessante rechtliche Auseinandersetzung, die auch unter Verfassungsjuristen umstritten ist. Wir warten ab, wie das Bundesverfassungsgericht dazu steht.