An den starken Einfluss der christlichen Rechten ist man in den USA seit Jahrzehnten gewöhnt, vor allem bei Auseinandersetzungen über Abtreibung, "Moral" oder die vermeintlich bevormundende Macht der Regierung. Doch aktuell machen linksliberale Christen in der politischen Arena einen Anlauf mit Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Auch der mutmaßlichen demokratischen Spitzenkandidatin für die nächste Präsidentschaftswahl, Hillary Clinton, sind die Gläubigen wichtig: Jüngst hat die Ex-Außenministerin und unterlegene Präsidentschaftsanwärterin von 2008 zu verstehen gegeben, sie wolle die "frommen" Wähler nicht den Republikanern überlassen.
Bei den seit Ende 2012 laufenden landesweiten Kampagnen für einen höheren Mindestlohn haben Kirchengemeinden nach Ansicht von US-Arbeitsminister Thomas Perez eine "Schlüsselrolle" gespielt. Mit einigem Erfolg. Präsident Barack Obama hat sich für die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von 7,25 auf 10,10 Dollar ausgesprochen. Mehrere Bundesstaaten, darunter Maryland, Connecticut, Kalifornien, Hawaii und Minnesota, haben die Mindestlöhne bereits erhöht. Vergangene Woche unterzeichneten mehr als 300 Vertreter kirchlicher und religiöser Verbände einen entsprechenden Aufruf. Die Bibel spreche sich "wiederholt gegen Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter aus", heißt es darin.
Verpflichtung zum "social gospel"
Eine neue Studie des Brookings Institute, einer den Demokraten nahestehenden Denkfabrik, kommt zum Schluss, dass viel gesellschaftlicher Raum offenstehe für progressive Christen und deren Forderungen nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Die politische Konstellation heute sei vergleichbar mit der Zeit vor der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren, als "religiöse und säkulare Progressive" zueinander gefunden hätten, heißt es in der Studie über "Wirtschaftliche Gerechtigkeit und die Zukunft der fortschrittlichen Gläubigen". Die Mehrheit der Bevölkerung mache sich Sorgen über die wachsende Kluft zwischen Armen und Mittelklasse einerseits, den Wohlhabenden und Superreichen andererseits.
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Hillary Clinton hat sich bei einer Ansprache vor 9.000 Frauen der Evangelisch-methodistischen Kirche unlängst auf die Seite der Progressiven gestellt. Clinton ist Methodistin. Sie sei ihrer Kirche dankbar, sagte sie, dass sie Menschen "nicht nur die große Gabe der persönlichen Errettung gebe, sondern auch die Verpflichtung zum 'social gospel'", das die christliche Lehre auf soziale und wirtschaftliche Themen bezieht. So engagiert sich die methodistische Kirche seit ihrer Gründung Ende des 18. Jahrhunderts gegen Armut, Not und Elend. Hillary Clinton sagte, sie habe auf der Grundlage ihres Glaubens immer versucht, für Unterprivilegierte einzutreten.
Komplexe Frömmigkeit
Die neue Webseite faithvotersforhillary.com richtet sich an mögliche christliche Clinton-Wähler. Als Teenager habe sie den Bürgerrechtler Martin Luther King reden hören, schreibt Clinton dort. Das habe ihr Leben verändert. Sie bete häufig und sei dankbar, dass ihre Eltern gebetet hätten und ihre Kirche die Bedeutung des Betens betone. Für die Demokratische Partei ist die Sache mit der Frömmigkeit allerdings komplex. Das demokratische Ja zum legalen Schwangerschaftsabbruch treibt besonders Evangelikale zu den Republikanern. Und junge US-Amerikaner, die weit überproportional demokratisch wählen, distanzieren sich zusehends von "organisierter Religion".
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Der Kirchenhistoriker William Lawrence von der "Southern Methodist"-Universität im texanischen Dallas wies kürzlich in der "Dallas Morning News" nach, in der US-Geschichte hätten sich progressive und konservative theologische Trends stets abgewechselt. Fortschrittliche Gläubige könnten sich am besten Gehör verschaffen, wenn sie die christliche Sprache für sich selbst in Anspruch nähmen. Von konservativer Seite werden Clintons biblisch begründete Appelle für Sozialprogramme mit Skepsis aufgenommen. In der Bibel stehe doch auch, dass jemand, der nicht arbeiten wolle, auch nicht essen solle, erinnerte der Kolumnist Cal Thomas im Fernsehsender Fox.
Nach Einschätzung von Beobachtern können Republikaner nur Wahlen gewinnen, wenn der "harte Kern" der Anhänger, besonders evangelikale Christen, in großer Zahl zur Urne geht. Politiker polieren ihr Image. Für Aufsehen sorgte im April der Gouverneur von Texas, Rick Perry, der als potenzieller republikanischer Präsidentschaftsanwärter gilt. Freikirchler Perry habe sich zum zweiten Mal taufen lassen, berichtete die Zeitung "Texas Tribune". Nach Angaben seines Pressesprechers wollte Perry damit seinen christlichen Glauben erneut bestätigen.