Frau Behnken, will fünf Minuten vor Beginn des ESC-Finales überhaupt irgendjemand hören, was "die Kirche" zu sagen hat?
Annette Behnken: Also, klar ist: Die Leute schalten nicht ein, um das "Wort zum Sonntag" zu hören. Das tun sie sonst auch nicht, aber heute noch viel weniger. Sie schalten ein, weil sie das ESC-Finale sehen wollen. Das "Wort zum Sonntag" ist sicherlich an dieser Stelle ein bisschen sachfremd. Aber es hat inzwischen schon eine kleine Tradition: Ich weiß, dass es auf jeden Fall schon 1999 aus Jerusalem an dieser Stelle gesprochen wurde. Mindestens seitdem gibt es das schon, und manchmal haben solche schrägen Traditionen ja auch etwas für sich.
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Das Publikum ist vermutlich anders zusammengesetzt als sonst um diese Zeit, vielleicht schauen auch mehr Leute zu. Ist das für Sie eine schwierige Situation?
Behnken: Es schauen sicher sehr viel mehr Leute und zu und auch mehr jüngere Leute. Das finde ich nicht schwierig - ich finde, das ist eine schöne Herausforderung. Sonst schauen eher ältere Menschen das "Wort zum Sonntag", so ab 50/60 aufwärts, aber deshalb sind die Jüngeren ja nicht ganz weg. Und ich versuche auch sonst, Themen zu finden, die Menschen generationsübergreifend ansprechen. Heute ist es sicher so, dass sehr viel mehr jüngere Leute zuschauen. Die Themenauswahl ist nicht so breit, man muss natürlich auf den ESC eingehen, das ist ganz klar. Bei meinem ersten "Wort zum Sonntag" habe ich über Facebook gesprochen, da kam die Frage: Wissen die älteren Zuschauer, was das ist oder nicht? Ich würde sagen: Na klar wissen sie's, aber da gingen die Meinungen auseinander. Heute Abend muss man sich über so etwas bestimmt keine Sorgen drum machen - die meisten wissen, was Facebook ist. Ein kleiner Unterschied ist vielleicht: Wie spricht man, welche Sprache benutzt man?
"Ich muss mich einfach konzentrieren: Weiß ich, was ich jetzt sagen will?"
Kann man da Fehler machen, gerade sprachlich? Die Situation verleitet ja vielleicht ein bisschen zum Kalauern…
Behnken: Genau. Im Grunde gilt für heute Abend alles, was auch sonst beim "Wort zum Sonntag" gilt, aber in höherem Maße: dass man eben einfach sprechen muss. Anders ist heute Abend nur, dass alle in Partystimmung sind. Da ist klar, dass man keine hochkomplexen Inhalte und verschachtelten Sätze bringen kann, sondern dass man relativ einfach und klar bleiben muss. Das verleitet entweder zum Kalauern oder dazu, zu simpel und platt zu werden. Das sind die Fettnäpfe.
Abgesehen vom Sprachlichen: Bereiten Sie sich anders vor als sonst, wenn Sie das "Wort zum Sonntag" sprechen? Ziehen Sie etwas anderes an?
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Behnken: Ich trage ja sonst auch unterschiedliche Sachen, zum Beispiel nicht immer einen Blazer.Was ich heute Abend anziehen werde, steht noch nicht ganz fest. Allgemein sind wir ja angehalten, uns businessmäßig konservativ-seriös zu kleiden. Das finde ich auch heute Abend angemessen, aber es darf vielleicht ein bisschen lockerer sein als sonst. Ich bereite mich auf das Sprechen etwas mehr vor. Den Text habe ich zwar auch sonst gut drauf, um ihn möglichst frei sprechen zu können, aber normalerweise kann ich sonst auf den Teleprompter schielen, falls ich ihn vergesse. Das werde ich heute nicht können. Deshalb muss ich den Text wirklich drauf haben - oder eben so genau wissen, was ich sagen will, sodass ich frei sprechen kann. Darauf muss ich mich natürlich ein bisschen mehr vorbereiten.
Macht Sie das nervös? Spüren Sie Druck?
Behnken: Nervös macht es mich nicht. Ich muss mich einfach konzentrieren: Weiß ich, was ich jetzt sagen will? Sonst kann ich mich immer voll darauf konzentrieren, wie ich es sagen möchte, wie ich betonen will. Diesmal muss ich vor allem im Kopf haben, was jetzt als nächstes kommt und worauf ich hinaus will.
Über welches Thema wollen Sie sprechen?
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Behnken: Ich werde natürlich auf den ESC eingehen. Meine Idee ist, den Text der Gruppe Elaiza aufzunehmen, "Is it right, or is it wrong". Was ist eigentlich richtig und was ist falsch? Im Grunde geht es um eine Frage, die mich sehr beschäftigt und die, wie ich finde, eine große Frage unserer Zeit ist, nämlich wie schwer es ist, herauszufinden, was richtig und was falsch ist. Dass einfache Antworten – schwarz oder weiß, richtig oder falsch – eben in unserem Leben, im Politischen wie im Privaten, nicht mehr funktionieren. Ich werde auch auf die Ukraine eingehen, weil ich finde, dass man daran im Moment nicht vorbei kommt, gerade wenn es um Europa geht. Da wird ja ein Schwarzweißbild vermittelt, also entweder pro Russland oder pro Europa. Aber es gibt ja andere, differenziertere Stimmen und vielleicht auch Lösungen, in denen beides gelebt werden kann.
Die ganz einfachen Lösungen funktionieren nicht mehr. Aber ich glaube, wir suchen sehr danach, wir hätten gern einfache Antworten und starke Persönlichkeiten, die uns eine einfache Lösung präsentieren. Das betrifft auch unser Privatleben, da geht es nicht mehr nur darum: Lebe ich verheiratet oder unverheiratet? Es geht auch darum: Lebe ich hetero oder homo, lebe ich allein, zu zweit, zu dritt, zu viert? Es gibt so viele Lebensformen und nicht mehr die klare Linie, was richtig und was falsch ist. Da würde ich mir viel mehr Offenheit wünschen, sowohl gesellschaftlich als auch von kirchlicher Seite.
Liegt Ihren Gedanken eine Bibelstelle zugrunde?
Behnken: So direkt nicht, aber zu dieser Frage "Was ist richtig, was ist falsch" suche ich nach einer möglichen Antwort, die Jesus in der Bibel gibt. Ich weiß allerdings nicht, ob ich die schon verraten soll…