Foto: epd-bild / Norbert Neetz
Michael Lapsley und sein Kampf gegen zwei Monster
An diesem Mittwoch sind Parlamentswahlen in Südafrika. Kurz vor den ersten freien Wahlen vor 20 Jahren überlebte der anglikanische Priester Michael Lapsley wie durch ein Wunder schwer verletzt ein Attentat des südafrikanischen Geheimdienstes. Heute hilft er als Traumatherapeut anderen Apartheidsopfern. Der Rassismus ist noch lange nicht überwunden, sagt Lapsley.
07.05.2014
epd
Bettina v. Clausewitz

"Als wir 1994 zur Demokratie wurden, waren wir so naiv zu glauben, dass wir das Land in kurzer Zeit verwandeln könnten. Aber 350 Jahre Kolonialismus verschwinden nicht in 20 Jahren", sagt Michael Lapsley, Direktor des "Instituts zur Heilung von Erinnerungen" in Kapstadt. Er liebt klare Worte, aber keine einfachen Antworten. Darin ist sich der anglikanische Ordensmann und Antiapartheidaktivist ein Leben lang treu geblieben, als unbequemer junger Priester, der gegen die Rassentrennung kämpfte, ebenso wie heute als international anerkannter Traumatherapeut.

Auf einfache Formeln lässt Lapsley sich nicht ein. Auch nicht bei der Frage, ob die "Regenbogennation" Südafrika ein Erfolg oder ein Fehlschlag ist. "Wir haben enorm viel erreicht, unzählige rassistische Gesetze sind verschwunden, aber es gibt auch viele Enttäuschungen", sagt der Aktivist. Er bezieht sich auf die anhaltende Armut, hohe Arbeitslosigkeit und Korruption - Themen, die auch den Wahlkampf vor der am Mittwoch anstehenden Parlamentswahl beherrschten. "Die Apartheid bestand aus politischer Unterdrückung und wirtschaftlicher Ausbeutung. Das eine der beiden Monster haben wir vernichtet, das andere ist noch lebendig", sagt Lapsley.

"Ich war ein Opfer - ich bin ein Sieger"

Die unglaubliche Brutalität des politischen Monsters hat der 64-Jährige am eigenen Leib zu spüren bekommen - die Narben der Apartheid trägt er bis heute unübersehbar. Während er auf dem Sofa im Empfangsraum seines Instituts sitzt, gestikuliert er lebhaft mit den glänzenden Metallkrallen, die ihm statt der Hände aus den Hemdsärmeln ragen. Abgerissen durch eine Briefbombe, die der südafrikanische Geheimdienst ihm 1990 ins Exil nach Simbabwe schickte - noch kurz vor der Wende. Sein erblindetes Auge ist hinter dicken Brillengläsern fast verborgen.

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Lapsley überlebte das Attentat wie durch ein Wunder und wandte sich später der Traumaarbeit zu, der Aufarbeitung von Rassismus und Unterdrückung - das eigene Schicksal als Motivation. Er selbst hat die lange Reise der inneren Heilung gemacht, auf der er andere Apartheidopfer jetzt begleitet. Heute hält Lapsley nicht nur sein Wasserglas ebenso geschickt wie das Smartphone oder das Lenkrad seines Autos mit den künstlichen Händen, er hat auch Bitterkeit, Selbstmitleid und den Wunsch nach Rache überwunden, wie er sagt: "Auf meiner Reise war ich zuerst ein Opfer, heute bin ich ein Überlebender, aber ich bin auch ein Sieger, denn ich habe das Heft des Handelns wieder übernommen und gestalte die Welt." 

Ein zentrales Instrument dazu sind Workshops zur "Heilung von Erinnerungen", die Lapsley anbietet, für unterschiedliche Gruppen aus Kirchen, Stadtteilen, Universitäten oder sozialen Einrichtungen. Weiße allerdings, eher Täter als Opfer, nehmen nur vereinzelt teil. "Der erste Schritt zur Heilung ist zuzugeben, dass du beschädigt bist," sagt Lapsley.

Hoffnung, dass Heilung möglich ist

Dem Aktivisten geht es um nationale Versöhnung, aber auch darum, die eigenen spirituellen Kräfte zu mobilisieren, egal welcher Religion jemand angehört: "Wir müssen darüber reden, was uns zugestoßen ist, um nicht auf ewig ein Gefangener der Vergangenheit zu sein." Das kann auch bedeuten, sich Schuld und Scham zu stellen. So wie der junge Mann es tat, der in seinem Dorf immer als Held des Widerstandes galt. Bei einem Workshop wollte er endlich einmal nicht über seine Heldentaten, sondern über sein Versagen sprechen, um die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen.

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Lapsley ist ein Kirchenmann, der tief in die Seele Südafrikas blickt. Erfolge und Enttäuschungen der jungen Demokratie misst er nicht nur an sozialen Daten, sondern auch am Prozess der Versöhnung. "Es ist viel leichter, diskriminierende Gesetze abzuschaffen als die Haltung der Menschen zu ändern", sagt er. Der Rassismus sei noch immer allgegenwärtig, in den Ghettos oder bei Übergriffen auf Migranten etwa.

Junge Leute erzählten ihm auch von Problemen mit ihren Eltern, wenn sie Freunde anderer Hautfarbe mit nach Hause bringen, sagte der 64-Jährige. "Aber das ist eine neue Generation, die sagt: Das sind die Probleme von gestern, wenn es nach uns ginge, könnten wir Freunde sein und problemlos zusammen leben." Für Lapsley ist das ein Grund zur Hoffnung, dass Heilung möglich ist - auch wenn darüber weitere 20 Jahre oder mehr ins Land gehen werden.