Die Frühlingssonne scheint durch die großen Fenster in den hellen Innenraum der Lutherkirche in Duisburg-Röttgersbach. Mit dem letzten Läuten der Glocken kommt eine junge Familie herein und setzt sich in den Stuhlkreis. Praktisch, dass das Baby in seinem Kinderwagen liegen bleiben kann und doch direkt bei seinen Eltern ist. Während die Gemeinde schon das erste Lied singt, stößt noch eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter hinzu. Ihr wird es während des Gottesdienstes mit Pfarrerin Birgit Brügge nicht langweilig werden: Es wird viel gesungen, und passend zu den vorbereiteten Texten haben Küsterin, Presbyter und Gemeindepädagogin Steine, Moos, Tücher und Plakate mitgebracht. Am Ende bekommen alle eine kleine Kiste, in der Sonnenblumenkerne darauf warten eingepflanzt zu werden. Auch mehrere ältere Frauen, die Großmütter oder Urgroßmütter sein könnten, sind an diesem Sonntag zum kinderfreundlichen Gottesdienst gekommen.
Noch bis vor anderthalb Jahren gab es sonntags – zusätzlich zum Kindergottesdienst – auch einen Gottesdienst in traditioneller Liturgie in der Lutherkirche. Gemeindemitglieder, die diese Form der Andacht suchen, finden sie heute in der gut zweieinhalb Kilometer entfernten Kreuzeskirche im Stadtteil Marxloh, immer sonntags um 10 Uhr. Eine Gemeinde, zwei Kirchen mit eigenem Profil, weniger Doppelstrukturen – das ist das Konzept, mit dem sich die Bonhoeffer Gemeinde Marxloh-Obermarxloh für die Zukunft aufgestellt hat.
Sinkende Mitgliederzahlen und zu wenig Geld hatten im Jahr 2007 zur Fusion der beiden Gemeinden geführt. Mit rund 7200 Mitgliedern ist der Zusammenschluss nun die zweitgrößte Gemeinde in Duisburg. Die neue Gemeinde musste sich erst einmal finden, "um dann weitergehende Schritte zu machen", erzählt Hans-Peter Lauer, einer von drei Pfarrern. Eine Arbeitsgruppe des Presbyteriums stellte schließlich 2010 ein Konzept vor, wie die Fusion mit Leben gefüllt werden soll: das Programm "Bonhoeffer 2015".
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Demografische Entwicklung, doppelte Strukturen, fehlende Konzentration der Inhalte, finanzielle Entwicklung, Sanierungsstau, Profildruck – diese Gründe führte die Konzeptgruppe an, um auf einer Gemeindeversammlung für die Umstrukturierung zu werben. Fünf Jahre hielten alle für realistisch, um das Gemeindeleben umzukrempeln. Einen Endzeitpunkt festzulegen, sei wichtig, meint Pfarrerin Birgit Brügge. Die Konzeptionsarbeit habe viele wachgerüttelt: "Das bringt Schwung in die Gemeindearbeit, weil es Ziele gibt, die wir erreichen möchten. Es ist ein Neustart, der Energien freisetzt", findet die 57-Jährige.
Familien in der Lutherkirche, Kultur in der Kreuzeskirche
"Die Gebäudesituation war der Ausgangspunkt für alle Überlegungen", erklärt Pfarrer Lauer. Die Kreuzeskirche wurde 1905 eingeweiht, nachdem die Gemeinde im Zuge der Industrialisierung gegründet worden war. Die Lutherkirche ist etwas jünger und wurde 1913 in Dienst genommen. Beide stehen unter Denkmalschutz, unterscheiden sich optisch aber deutlich, sowohl von außen als auch von innen: Während in der Kreuzeskirche massive Kirchenbänke stehen, gibt es in der Lutherkirche einzelne Stühle, die flexibel eingesetzt werden können. Auch das passt zu ihrem neuen Profil: die Lutherkirche in Röttgersbach ist nun Kinder- und Familienkirche, die Kreuzeskirche in Marxloh Jugend-, Erwachsenen- und offene Gastkirche.
"Wir sind hier als Christen in der Minderheit. Eine der Kirchen aufzugeben, wäre ein verheerendes Signal gewesen", meint Pfarrerin Anja Humbert. "Die Kirchen sind sichtbare Identifikationspunkte", findet auch ihr Kollege Lauer, "anders als ein Gemeindehaus". Von ihren drei Gemeindehäusern haben sich die Gläubigen getrennt. Zwei sind schon verkauft, auch für das dritte gibt es einen Käufer, sagt Lauer. Statt zwei Kindergärten wird es künftig nur einen geben. Das Fundament der neuen Kita ist neben der Lutherkirche schon gegossen worden. "Wir haben nix neues erfunden, sondern geschaut: Was haben wir an Gemeindearbeit schon?", erläutert Pfarrer Lauer. Inhalte wurden konzentriert, Kräfte gebündelt. "Es müssen nur noch zwei Standorte bewirtschaftet werden", sagt Pfarrerin Brügge. Statt drei Frauenhilfen gibt es beispielsweise nur noch zwei. Die Marxloher profitieren unter anderem davon, dass nun auch dort hauptamtliche Jugendarbeit stattfindet.
Die Kreuzeskirche soll verstärkt ein Ort des bürgerlichen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Austauschs sein, der auch für externe Gruppen offen steht. "Sie soll eine Gastgeberrolle übernehmen", sagt Lauer. Kürzlich war dort beispielsweise die Ausstellung "Jüdische Spuren" der Geschichtswerkstatt Kreuzeskirche und des Heimatvereins Hamborn zu sehen. Durch die Öffnung für andere Gruppen soll auch Geld erwirtschaftet werden – beispielsweise durch Konzerte, Versammlungen von Vereinen oder Gewerkschaften. Seit gut einem Jahr ist die Kreuzeskirche auch Station auf der "Route der Industriekultur".
"Wenn man den Zeitpunkt verschläft, ist man Getriebener"
Doch die Generationen sollen durch die Profilbildung nicht getrennt werden. Neben einem monatlichen gemeinsamen Gottesdienst sind auch die Konfirmanden ein Bindeglied: Im ersten Jahr findet der Konfirmandenunterricht am Standort Lutherkirche statt, im zweiten Jahr ist er an der Kreuzeskirche angesiedelt. Ein weiteres Bauprojekt ist das in die Jahre gekommene Pfarrhaus gegenüber der Kreuzeskirche. Hierher zieht das Begegnungs- und Beratungszentrum für ältere Bürger, im Erdgeschoss des Nachbarhauses stehen Räume für die Jugendarbeit kurz vor der Fertigstellung, in denen unter anderem ein öffentlicher Jugendtreff eingerichtet werden soll. Insgesamt nimmt die Gemeinde voraussichtlich rund zwei Millionen Euro für bauliche Maßnahmen in die Hand.
Brügge und Lauer sind sich einig, dass es wichtig für die Gemeinde war, die Umstrukturierungen zeitnah anzugehen, um handlungsfähig zu bleiben. "Wenn man den Zeitpunkt verschläft, ist man nur noch Getriebener", so Lauer. Was hat er durch die Zusammenlegung und Profilbildung gelernt? "Was mir nicht von vornherein klar war, ist, dass die alten Kirchen durchaus ein Pfund sind, mit dem die Gemeinde wuchern kann." Sicherlich sei der Erhalt mit den Vorgaben des Denkmalschutzes auch belastend. Trotzdem: "Die Kirche ist für die Gemeinde da, umgekehrt kann die Gemeinde auch für die Kirche aus Stein da sein." Sie könne als Medium genutzt werden, um mit der Umwelt zu kommunizieren. "Sie spricht nicht für sich. Man muss sie in Gebrauch nehmen."
Manche hat gerade die Fusion motiviert, sich einzubringen. Olaf Pütz engagierte sich in den 90er-Jahren erst in der Marxloher Gemeinde, nach zehn Jahren Pause ist er nun Presbyter der Lutherkirche. Nicht nur seine private Situation, auch die Zusammenlegung sei für ihn Anlass gewesen, wieder einen Einstieg in die Gemeindearbeit zu bekommen.
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Die Küsterin der Lutherkirche, Silvia Fürmann, weiß, dass nicht allen Gemeindemitgliedern die Profilbildung leicht gefallen ist. Aber sie sagt: "Das Positive ist, dass jetzt auch junge Leute dazu kommen. Das ist ganz wichtig." Die 53-Jährige beobachtet außerdem, dass auch Senioren die Mitmachangebote der Familiengottesdienste mit Freude annehmen. Das erzählt auch Julia Starschinova. Für die Organistin hat die Umstrukturierung ganz praktische Auswirkungen. "Ich musste mich umstellen von der klassischen Liturgie auf eher kindgerechte Lieder." Und während der Gottesdienste wechselt die 24-Jährige nun auch die Instrumente, kommt von der Orgel zum Klavier hinunter und damit näher zu ihren Zuhörern. "Ich finde es schön, wenn alle Generationen vereint sind."