Die Titelfrage ist natürlich rein rhetorisch gemeint: Wer voller Liebe ist, darf ruhig ein bisschen mehr sündigen als andere. Viele Menschen können mit dem Begriff "Sünde" allerdings gar nichts anfangen, zumindest nicht im biblischen Sinn. Bestimmte Vorstellungen von Sitte und Moral haben selbstredend auch jene, die nicht mit christlichem Gedankengut aufgewachsen sind. Aber wie es Autorin Birgit Maiwald gelingt, sie alle unter einen Hut zu bekommen: Das ist schon verblüffend.
Wandelnde Todsünde
Repräsentantin der eher hedonistisch orientierten Nicht-Christen ist eine junge Frau, die auch noch Maria heißt (Stefanie Stappenbeck): Sie kann Versuchungen einfach nicht widerstehen. Wann immer ihr ein Mann gefällt, greift sie zu. Leider verträgt sich das nur selten mit der Moralvorstellung ihrer Arbeitgeber; oder mit der ihrer Ehefrauen. Der 17-jährige Laurin (Emil Reinke), ein fast schon fanatischer Katholik, hält seine Mutter gar für eine wandelnde Todsünde. Doch nicht er, sondern ein Priester (Stephan Luca) aus Südamerika, der sinnigerweise auch noch Gabriel heißt, repräsentiert das Christentum. Gabriel springt ein, als der Pfarrer der bayerischen Gemeinde, Laurins leuchtendes Vorbild, einen Herzanfall hat. Die unkonventionellen Methoden des Ersatzmanns sind dem jungen Fundamentalisten, der davon träumt, Priester zu werden, allerdings ein Dorn im Auge. Daher entwirft er einen perfiden Plan: Er sorgt dafür, dass Maria Gabriels Haushälterin wird. Sie soll dem schmucken Südamerikaner den Kopf verdrehen, so dass er vom Pfad der Tugend abweicht und zurück nach Ecuador muss.
Die Konstellation ist durchaus gewagt, und das gar nicht mal so sehr, weil Maria Gabriel in Versuchung führen soll: Frauen mit regelmäßig wechselnden Sexualpartnern gelten nach wie vor als Schlampen. Davon allerdings ist Maria dank Stefanie Stappenbeck weit entfernt. Natürlich kann von Keuschheit keine Rede sein, und selbstredend sind Stappenbecks Darbietungen aufregend und sexy, aber nie ordinär oder vulgär; eine äußerst gelungene Gratwanderung. Gleiches gilt für Luca, auch wenn sein Gabriel fast eine Karikatur ist: Der Pfarrer ist etwas chaotisch und fackelt beim ersten Auftritt in der Gemeinde beinahe den Beichtstuhl ab. Außerdem leidet er unter heftigem Lampenfieber. Die Schweißausbrüche vor jeder Predigt waren seiner Priesterlaufbahn bislang nicht eben förderlich. Maria weiß Rat und füttert ihn erst mal mit Hostien.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Hauptfiguren sind also schon mal ziemlich ungewöhnlich, zumal es da auch noch Marias eigenwilligen Vater gibt: Raimund (Michael Brandner), verwitweter Zahntechniker, verbringt seine Freizeit damit, die Gebisse prominenter Zeitgenossen zu modellieren, und will die enge Beziehung seiner Tochter zum Pfarrhaus nutzen, um eine Röntgenaufnahme der Zähne von Papst Benedikt zu bekommen. Spannender aber ist natürlich die Frage, ob sich Laurins Plan erfüllt; und wie lange es ihm gelingen mag, den Avancen des hübschen türkischen Nachbarmädchens (Julia Obst) zu widerstehen. Eine sehr hübsche, dem erotischen Sujet zum Trotz von Sophie Allet-Coche ("Doctor’s Diary") vergleichsweise zurückhaltend inszenierte Komödie mit vielen originellen Ideen, wunderbar geführten Darstellern und einem Ende, das leider zu schön ist, um wahr zu sein.